Uber des
Erschlagenen
Statte schweben rachende
Geister und lauern auf den wiederkehrenden Morder.
Geister und lauern auf den wiederkehrenden Morder.
Goethe - Faust- Der Tragödie erster Teil
MEPHISTOPHELES:
Der ganze Strudel strebt nach oben;
Du glaubst zu schieben, und du wirst geschoben.
FAUST:
Wer ist denn das?
MEPHISTOPHELES:
Betrachte sie genau! Lilith ist das.
FAUST:
Wer?
MEPHISTOPHELES:
Adams erste Frau. Nimm dich in acht vor ihren schonen Haaren,
Vor diesem Schmuck, mit dem sie einzig prangt.
Wenn sie damit den jungen Mann erlangt,
So lasst sie ihn so bald nicht wieder fahren.
FAUST:
Da sitzen zwei, die Alte mit der Jungen;
Die haben schon was Rechts gesprungen!
MEPHISTOPHELES:
Das hat nun heute keine Ruh.
Es geht zum neuen Tanz, nun komm! wir greifen zu.
FAUST (mit der Jungen tanzend):
Einst hatt ich einen schonen Traum
Da sah ich einen Apfelbaum,
Zwei schone Apfel glanzten dran,
Sie reizten mich, ich stieg hinan.
DIE SCHONE:
Der Apfelchen begehrt ihr sehr,
Und schon vom Paradiese her.
Von Freuden fuhl ich mich bewegt,
Dass auch mein Garten solche tragt.
MEPHISTOPHELES (mit der Alten):
Einst hatt ich einen wusten Traum
Da sah ich einen gespaltnen Baum,
Der hatt ein ungeheures Loch;
So gross es war, gefiel mir's doch.
DIE ALTE:
Ich biete meinen besten Gruss
Dem Ritter mit dem Pferdefuss!
Halt Er einen rechten Pfropf bereit,
Wenn Er das grosse Loch nicht scheut.
PROKTOPHANTASMIST:
Verfluchtes Volk! was untersteht ihr euch?
Hat man euch lange nicht bewiesen:
Ein Geist steht nie auf ordentlichen Fussen?
Nun tanzt ihr gar, uns andern Menschen gleich!
DIE SCHONE (tanzend):
Was will denn der auf unserm Ball?
FAUST (tanzend):
Ei! der ist eben uberall.
Was andre tanzen, muss er schatzen.
Kann er nicht jeden Schritt beschwatzen,
So ist der Schritt so gut als nicht geschehn.
Am meisten argert ihn, sobald wir vorwarts gehn.
Wenn ihr euch so im Kreise drehen wolltet,
Wie er's in seiner alten Muhle tut
Das hiess' er allenfalls noch gut
Besonders wenn ihr ihn darum begrussen solltet.
PROKTOPHANTASMIST:
Ihr seid noch immer da! nein, das ist unerhort.
Verschwindet doch! Wir haben ja aufgeklart!
Das Teufelspack, es fragt nach keiner Regel
Wir sind so klug, und dennoch spukt's in Tegel.
Wie lange hab ich nicht am Wahn hinausgekehrt,
Und nie wird's rein; das ist doch unerhort!
DIE SCHONE:
So hort doch auf, uns hier zu ennuyieren!
PROKTOPHANTASMIST:
Ich sag's euch Geistern ins Gesicht:
Den Geistesdespotismus leid ich nicht;
Mein Geist kann ihn nicht exerzieren.
(Es wird fortgetanzt. )
Heut, seh ich, will mir nichts gelingen;
Doch eine Reise nehm ich immer mit
Und hoffe noch vor meinem letzten Schritt
Die Teufel und die Dichter zu bezwingen.
MEPHISTOPHELES:
Er wird sich gleich in eine Pfutze setzen,
Das ist die Art, wie er sich soulagiert,
Und wenn Blutegel sich an seinem Steiss ergetzen,
Ist er von Geistern und von Geist kuriert.
(Zu Faust, der aus dem Tanz getreten ist. )
Was lassest du das schone Madchen fahren,
Das dir zum Tanz so lieblich sang?
FAUST:
Ach! mitten im Gesange sprang
Ein rotes Mauschen ihr aus dem Munde.
MEPHISTOPHELES:
Das ist was Rechts! das nimmt man nicht genau;
Genug, die Maus war doch nicht grau.
Wer fragt darnach in einer Schaferstunde?
FAUST:
Dann sah ich-
MEPHISTOPHELES:
Was?
FAUST:
Mephisto, siehst du dort Ein blasses, schones Kind allein und ferne stehen?
Sie schiebt sich langsam nur vom Ort,
Sie scheint mit geschlossnen Fussen zu gehen.
Ich muss bekennen, dass mir deucht,
Dass sie dem guten Gretchen gleicht.
MEPHISTOPHELES:
Lass das nur stehn! dabei wird's niemand wohl.
Es ist ein Zauberbild, ist leblos, ein Idol.
Ihm zu begegnen, ist nicht gut:
Vom starren Blick erstarrt des Menschen Blut,
Und er wird fast in Stein verkehrt;
Von der Meduse hast du ja gehort.
FAUST:
Furwahr, es sind die Augen einer Toten,
Die eine liebende Hand nicht schloss.
Das ist die Brust, die Gretchen mir geboten,
Das ist der susse Leib, den ich genoss.
MEPHISTOPHELES:
Das ist die Zauberei, du leicht verfuhrter Tor!
Denn jedem kommt sie wie sein Liebchen vor.
FAUST:
Welch eine Wonne! welch ein Leiden!
Ich kann von diesem Blick nicht scheiden.
Wie sonderbar muss diesen schonen Hals
Ein einzig rotes Schnurchen schmucken,
Nicht breiter als ein Messerrucken!
MEPHISTOPHELES:
Ganz recht! ich seh es ebenfalls.
Sie kann das Haupt auch unterm Arme tragen,
Denn Perseus hat's ihr abgeschlagen.
Nur immer diese Lust zum Wahn!
Komm doch das Hugelchen heran,
Hier ist's so lustig wie im Prater
Und hat man mir's nicht angetan,
So seh ich wahrlich ein Theater.
Was gibt's denn da?
SERVIBILIS:
Gleich fangt man wieder an. Ein neues Stuck, das letzte Stuck von sieben.
So viel zu geben ist allhier der Brauch,
Ein Dilettant hat es geschrieben
Und Dilettanten spielen's auch.
Verzeiht, ihr Herrn, wenn ich verschwinde
Mich dilettiert's, den Vorhang aufzuziehn.
MEPHISTOPHELES:
Wenn ich euch auf dem Blocksberg finde,
Das find ich gut; denn da gehort ihr hin.
Walpurgisnachtstraum
oder Oberons und Titanias goldne Hochzeit Intermezzo
THEATERMEISTER:
Heute ruhen wir einmal,
Miedings wackre Sohne.
Alter Berg und feuchtes Tal,
Das ist die ganze Szene!
HEROLD:
Dass die Hochzeit golden sei,
Solln funfzig Jahr sein voruber;
Aber ist der Streit vorbei,
Das golden ist mir lieber.
OBERON:
Seid ihr Geister, wo ich bin,
So zeigt's in diesen Stunden;
Konig und die Konigin,
Sie sind aufs neu verbunden.
PUCK:
Kommt der Puck und dreht sich quer
Und schleift den Fuss im Reihen;
Hundert kommen hinterher,
Sich auch mit ihm zu freuen.
ARIEL:
Ariel bewegt den Sang
In himmlisch reinen Tonen;
Viele Fratzen lockt sein Klang,
Doch lockt er auch die Schonen.
OBERON:
Gatten, die sich vertragen wollen,
Lernen's von uns beiden!
Wenn sich zweie lieben sollen,
Braucht man sie nur zu scheiden.
TITANIA:
Schmollt der Mann und grillt die Frau,
So fasst sie nur behende,
Fuhrt mir nach dem Mittag sie,
Und ihn an Nordens Ende.
ORCHESTER TUTTI (Fortissimo):
Fliegenschnauz und Muckennas
Mit ihren Anverwandten,
Frosch im Laub und Grill im Gras,
Das sind die Musikanten!
SOLO:
Seht, da kommt der Dudelsack!
Es ist die Seifenblase.
Hort den Schneckeschnickeschnack
Durch seine stumpfe Nase
GEIST, DER SICH ERST BILDET:
Spinnenfuss und Krotenbauch
Und Flugelchen dem Wichtchen!
Zwar ein Tierchen gibt es nicht,
Doch gibt es ein Gedichtchen.
EIN PARCHEN:
Kleiner Schritt und hoher Sprung
Durch Honigtau und Dufte
Zwar du trippelst mir genung,
Doch geh's nicht in die Lufte.
NEUGIERIGER REISENDER:
Ist das nicht Maskeradenspott?
Soll ich den Augen trauen,
Oberon, den schonen Gott,
Auch heute hier zu schauen?
ORTHODOX:
Keine Klauen, keinen Schwanz!
Doch bleibt es ausser Zweifel:
So wie die Gotter Griechenlands,
So ist auch er ein Teufel.
NORDISCHER KUNSTLER:
Was ich ergreife, das ist heut
Furwahr nur skizzenweise;
Doch ich bereite mich beizeit
Zur italien'schen Reise.
PURIST:
Ach! mein Ungluck fuhrt mich her:
Wie wird nicht hier geludert!
Und von dem ganzen Hexenheer
Sind zweie nur gepudert.
JUNGE HEXE
Der Puder ist so wie der Rock
Fur alt' und graue Weibchen,
Drum sitz ich nackt auf meinem Bock
Und zeig ein derbes Leibchen.
MATRONE:
Wir haben zu viel Lebensart
Um hier mit euch zu maulen!
Doch hoff ich, sollt ihr jung und zart
So wie ihr seid, verfaulen.
KAPELLMEISTER:
Fliegenschnauz und Muckennas
Umschwarmt mir nicht die Nackte!
Frosch im Laub und Grill im Gras,
So bleibt doch auch im Takte!
WINDFAHNE (nach der einen Seite):
Gesellschaft, wie man wunschen kann:
Wahrhaftig lauter Braute!
Und Junggesellen, Mann fur Mann,
Die hoffnungsvollsten Leute!
WINDFAHNE (nach der andern Seite):
Und tut sich nicht der Boden auf,
Sie alle zu verschlingen,
So will ich mit behendem Lauf
Gleich in die Holle springen.
XENIEN:
Als Insekten sind wir da,
Mit kleinen scharfen Scheren,
Satan, unsern Herrn Papa,
Nach Wurden zu verehren.
HENNINGS:
Seht, wie sie in gedrangter Schar
Naiv zusammen scherzen!
Am Ende sagen sie noch gar,
Sie hatten gute Herzen.
MUSAGET:
Ich mag in diesem Hexenheer
Mich gar zu gern verlieren;
Denn freilich diese wusst ich eh'r
Als Musen anzufuhren.
CI-DEVANT GENIUS DER ZEIT:
Mit rechten Leuten wird man was.
Komm, fasse meinen Zipfel!
Der Blocksberg, wie der deutsche Parnass,
Hat gar einen breiten Gipfel.
NEUGIERIGER REISENDER:
Sagt, wie heisst der steife Mann?
Er geht mit stolzen Schritten.
Er schnopert, was er schnopern kann.
"Er spurt nach Jesuiten. "
KRANICH:
In dem klaren mag ich gern
Und auch im truben fischen;
Darum seht ihr den frommen Herrn
Sich auch mit Teufeln mischen.
WELTKIND:
Ja, fur die Frommen, glaubet mir,
Ist alles ein Vehikel,
Sie bilden auf dem Blocksberg hier
Gar manches Konventikel.
TANZER:
Da kommt ja wohl ein neues Chor?
Ich hore ferne Trommeln.
"Nur ungestort! es sind im Rohr
Die unisonen Dommeln. "
TANZMEISTER:
Wie jeder doch die Beine lupft!
Sich, wie er kann, herauszieht!
Der Krumme springt, der Plumpe hupft
Und fragt nicht, wie es aussieht.
FIEDLER:
Das hasst sich schwer, das Lumpenpack,
Und gab sich gern das Restchen;
Es eint sie hier der Dudelsack,
Wie Orpheus' Leier die Bestjen.
DOGMATIKER:
Ich lasse mich nicht irre schrein,
Nicht durch Kritik noch Zweifel.
Der Teufel muss doch etwas sein;
Wie gab's denn sonst auch Teufel?
IDEALIST:
Die Phantasie in meinem Sinn
Ist diesmal gar zu herrisch.
Furwahr, wenn ich das alles bin,
So bin ich heute narrisch.
REALIST:
Das Wesen ist mir recht zur Qual
Und muss mich bass verdriessen;
Ich stehe hier zum erstenmal
Nicht fest auf meinen Fussen.
SUPERNATURALIST:
Mit viel Vergnugen bin ich da
Und freue mich mit diesen;
Denn von den Teufeln kann ich ja
Auf gute Geister schliessen.
SKEPTIKER:
Sie gehn den Flammchen auf der Spur
Und glaubn sich nah dem Schatze.
Auf Teufel reimt der Zweifel nur;
Da bin ich recht am Platze.
KAPELLMEISTER:
Frosch im Laub und Grill im Gras,
Verfluchte Dilettanten!
Fliegenschnauz und Muckennas,
Ihr seid doch Musikanten!
DIE GEWANDTEN:
Sanssouci, so heisst das Heer
Von lustigen Geschopfen;
Auf den Fussen geht's nicht mehr,
Drum gehn wir auf den Kopfen.
DIE UNBEHILFLICHEN:
Sonst haben wir manchen Bissen erschranzt,
Nun aber Gott befohlen!
Unsere Schuhe sind durchgetanzt,
Wir laufen auf nackten Sohlen.
IRRLICHTER:
Von dem Sumpfe kommen wir,
Woraus wir erst entstanden;
Doch sind wir gleich im Reihen hier
Die glanzenden Galanten.
STERNSCHNUPPE:
Aus der Hohe schoss ich her
Im Stern- und Feuerscheine,
Liege nun im Grase quer-
Wer hilft mir auf die Beine?
DIE MASSIVEN:
Platz und Platz! und ringsherum!
So gehn die Graschen nieder.
Geister kommen, Geister auch,
Sie haben plumpe Glieder.
PUCK:
Tretet nicht so mastig auf
Wie Elefantenkalber,
Und der plumpst' an diesem Tag
Sei Puck, der derbe, selber.
ARIEL:
Gab die liebende Natur,
Gab der Geist euch Flugel,
Folget meiner leichten Spur,
Auf zum Rosenhugel!
ORCHESTER (Pianissimo):
Wolkenzug und Nebelflor
Erhellen sich von oben.
Luft im Laub und Wind im Rohr,
Und alles ist zerstoben.
Truber Tag. Feld
Faust. Mephistopheles.
FAUST:
Im Elend! Verzweifelnd! Erbarmlich auf der Erde lange verirrt und nun
gefangen! Als Missetaterin Im Kerker zu entsetzlichen Qualen eingesperrt,
das holde unselige Geschopf! Bis dahin! dahin! - Verraterischer,
nichtswurdiger Geist, und das hast du mir verheimlicht! - Steh nur, steh!
walze die teuflischen Augen ingrimmend im Kopf herum! Steh und trutze mir
durch deine unertragliche Gegenwart! Gefangen! Im unwiederbringlichen
Elend! Bosen Geistern ubergeben und der richtenden gefuhllosen Menschheit!
Und mich wiegst du indes in abgeschmackten Zerstreuungen, verbirgst mir
ihren wachsenden Jammer und lassest sie hilflos verderben!
MEPHISTOPHELES:
Sie ist die erste nicht.
FAUST:
Hund! abscheuliches Untier! - Wandle ihn, du unendlicher Geist! wandle den
Wurm wieder in seine Hundsgestalt, wie er sich oft nachtlicherweile gefiel,
vor mir herzutrotten, dem harmlosen Wandrer vor die Fusse zu kollern und
sich dem niedersturzenden auf die Schultern zu hangen. Wandl' ihn wieder in
seine Lieblingsbildung, dass er vor mir im Sand auf dem Bauch krieche, ich
ihn mit Fussen trete, den Verworfnen! - "Die erste nicht! "- Jammer! Jammer!
von keiner Menschenseele zu fassen, dass mehr als ein Geschopf in die Tiefe
dieses Elendes versank, dass nicht das erste genugtat fur die Schuld aller
ubrigen in seiner windenden Todesnot vor den Augen des ewig Verzeihenden!
Mir wuhlt es Mark und Leben durch, das Elend dieser einzigen- du grinsest
gelassen uber das Schicksal von Tausenden hin!
MEPHISTOPHELES:
Nun sind wir schon wieder an der Grenze unsres Witzes, da, wo euch Menschen
der Sinn uberschnappt. Warum machst du Gemeinschaft mit uns wenn du sie
nicht durchfuhren kannst? Willst fliegen und bist vorm Schwindel nicht
sicher? Drangen wir uns dir auf, oder du dich uns?
FAUST:
Fletsche deine gefrassigen Zahne mir nicht so entgegen! Mir ekelt's! -
Grosser, herrlicher Geist, der du mir zu erscheinen wurdigtest, der du mein
Herz kennest und meine Seele, warum an den Schandgesellen mich schmieden,
der sich am Schaden weidet und am Verderben sich letzt?
MEPHISTOPHELES:
Endigst du?
FAUST:
Rette sie! oder weh dir! Den grasslichsten Fluch uber dich auf Jahrtausende!
MEPHISTOPHELES:
Ich kann die Bande des Rachers nicht losen, seine Riegel nicht offnen. -
"Rette sie! "- Wer war's, der sie ins Verderben sturzte? Ich oder du?
(Faust blickt wild umher. )
Greifst du nach dem Donner? Wohl, dass er euch elenden Sterblichen nicht
gegeben ward! Den unschuldig Entgegnenden zu zerschmettern, das ist so
Tyrannenart, sich in Verlegenheiten Luft zu machen.
FAUST:
Bringe mich hin! Sie soll frei sein!
MEPHISTOPHELES:
Und die Gefahr, der du dich aussetzest? Wisse, noch liegt auf der Stadt
Blutschuld von deiner Hand.
Uber des Erschlagenen Statte schweben rachende
Geister und lauern auf den wiederkehrenden Morder.
FAUST:
Noch das von dir? Mord und Tod einer Welt uber dich Ungeheuer! Fuhre mich
hin, sag ich, und befrei sie.
MEPHISTOPHELES:
Ich fuhre dich, und was ich tun kann, hore! Habe ich alle Macht im Himmel
und auf Erden? Des Turners Sinne will ich umnebeln, bemachtige dich der
Schlussel und fuhre sie heraus mit Menschenhand! Ich wache, die
Zauberpferde sind bereit, ich entfuhre euch. Das vermag ich.
FAUST:
Auf und davon!
Nacht, offen Feld
Faust, Mephistopheles, auf schwarzen Pferden daherbrausend.
FAUST:
Was weben die dort um den Rabenstein?
MEPHISTOPHELES:
Weiss nicht, was sie kochen und schaffen.
FAUST:
Schweben auf, schweben ab, neigen sich, beugen sich.
MEPHISTOPHELES:
Eine Hexenzunft.
FAUST:
Sie streuen und weihen.
MEPHISTOPHELES:
Vorbei! Vorbei!
Kerker
Faust mit einem Bund Schlussel und einer Lampe, vor einem eisernen Turchen.
Mich fasst ein langst entwohnter Schauer,
Der Menschheit ganzer Jammer fasst mich an
Hier wohnt sie hinter dieser feuchten Mauer
Und ihr Verbrechen war ein guter Wahn
Du zauderst, zu ihr zu gehen!
Du furchtest, sie wiederzusehen!
Fort! dein Zagen zogert den Tod heran.
(Er ergreift das Schloss. Es singt inwendig. )
Meine Mutter, die Hur
Die mich umgebracht hat!
Mein Vater, der Schelm
Der mich gessen hat!
Mein Schwesterlein klein
Hub auf die Bein
An einem kuhlen Ort;
Da ward ich ein schones Waldvogelein;
Fliege fort, fliege fort!
FAUST (aufschliessend):
Sie ahnet nicht, dass der Geliebte lauscht,
Die Ketten klirren hort, das Stroh, das rauscht.
(Er tritt ein. )
MARGARETE (sich auf dem Lager verbergend):
Weh! Weh! Sie kommen. Bittrer Tod!
FAUST (leise):
Still! Still! ich komme, dich zu befreien.
MARGARETE (sich vor ihn hinwalzend):
Bist du ein Mensch, so fuhle meine Not.
FAUST:
Du wirst die Wachter aus dem Schlafe schreien!
(Er fasst die Ketten, sie aufzuschliessen. )
MARGARETE (auf den Knien):
Wer hat dir Henker diese Macht
Uber mich gegeben!
Du holst mich schon um Mitternacht.
Erbarme dich und lass mich leben!
Ist's morgen fruh nicht zeitig genung?
(Sie steht auf. )
Bin ich doch noch so jung, so jung!
Und soll schon sterben!
Schon war ich auch, und das war mein Verderben.
Nah war der Freund, nun ist er weit;
Zerrissen liegt der Kranz, die Blumen zerstreut.
Fasse mich nicht so gewaltsam an!
Schone mich! Was hab ich dir getan?
Lass mich nicht vergebens flehen,
Hab ich dich doch mein Tage nicht gesehen!
FAUST:
Werd ich den Jammer uberstehen!
MARGARETE:
Ich bin nun ganz in deiner Macht.
Lass mich nur erst das Kind noch tranken.
Ich herzt es diese ganze Nacht;
Sie nahmen mir's, um mich zu kranken,
Und sagen nun, ich hatt es umgebracht.
Und niemals werd ich wieder froh. .
Sie singen Lieder auf mich! Es ist bos von den Leuten!
Ein altes Marchen endigt so,
Wer heisst sie's deuten?
FAUST (wirft sich nieder):
Ein Liebender liegt dir zu Fussen,
Die Jammerknechtschaft aufzuschliessen.
MARGARETE (wirft sich zu ihm):
O lass uns knien, die Heil'gen anzurufen!
Sieh! unter diesen Stufen,
Unter der Schwelle
Siedet die Holle!
Der Bose,
Mit furchtbarem Grimme,
Macht ein Getose!
FAUST (laut):
Gretchen! Gretchen!
MARGARETE (aufmerksam):
Das war des Freundes Stimme!
(Sie springt auf. Die Ketten fallen ab. )
Wo ist er? ich hab ihn rufen horen.
Ich bin frei! mir soll niemand wehren.
An seinen Hals will ich fliegen,
An seinem Busen liegen!
Er rief Gretchen! Er stand auf der Schwelle.
Mitten durchs Heulen und Klappen der Holle,
Durch den grimmigen, teuflischen Hohn
Erkannt ich den sussen, den liebenden Ton.
FAUST:
Ich bin's!
MARGARETE:
Du bist's! O sag es noch einmal!
(Ihn fassend. )
Er ist's! Er ist's! Wohin ist alle Qual?
Wohin die Angst des Kerkers? der Ketten?
Du bist's! Kommst, mich zu retten.
Ich bin gerettet!
Schon ist die Strasse wieder da
Auf der ich dich zum ersten Male sah
Und der heitere Garten'
Wo ich und Marthe deiner warten
FAUST (fortstrebend):
Komm mit! Komm mit!
MARGARETE:
O weile Weil ich doch so gern, wo du weilest.
(Liebkosend. )
FAUST:
Eile!
Wenn du nicht eilest
Werden wir's teuer bussen mussen.
MARGARETE:
Wie? du kannst nicht mehr kussen?
Mein Freund, so kurz von mir entfernt
Und hast's Kussen verlernt?
Warum wird mir an deinem Halse so bang?
Wenn sonst von deinen Worten, deinen Blicken
Ein ganzer Himmel mich uberdrang
Und du mich kusstest, als wolltest du mich ersticken.
Kusse mich!
Sonst kuss ich dich! (Sie umfasst ihn. )
O weh! deine Lippen sind kalt,
Sind stumm.
Wo ist dein Lieben
Geblieben?
Wer brachte mich drum? (Sie wendet sich von ihm. )
FAUST:
Komm! Folge mir! Liebchen, fasse Mut!
Ich herze dich mit tausendfacher Glut
Nur folge mir! Ich bitte dich nur dies!
MARGARETE (zu ihm gewendet):
Und bist du's denn? Und bist du's auch gewiss?
FAUST:
Ich bin's! Komm mit!
MARGARETE:
Du machst die Fesseln los, Nimmst wieder mich in deinen Schoss.
Wie kommt es, dass du dich vor mir nicht scheust?
Und weisst du denn, mein Freund, wen du befreist?
FAUST:
Komm! komm! schon weicht die tiefe Nacht.
MARGARETE:
Meine Mutter hab ich umgebracht,
Mein Kind hab ich ertrankt.
War es nicht dir und mir geschenkt?
Dir auch. - Du bist's! ich glaub es kaum.
Gib deine Hand! Es ist kein Traum!
Deine liebe Hand! - Ach, aber sie ist feucht!
Wische sie ab! Wie mich deucht,
Ist Blut dran.
Ach Gott! was hast du getan!
Stecke den Degen ein,
Ich bitte dich drum!
FAUST:
Lass das Vergangne vergangen sein,
Du bringst mich um.
MARGARETE:
Nein, du musst ubrigbleiben!
Ich will dir die Graber beschreiben,
Fur die musst du sorgen
Gleich morgen;
Der Mutter den besten Platz geben,
Meinen Bruder sogleich darneben,
Mich ein wenig beiseit',
Nur nicht gar zu weit!
Und das Kleine mir an die rechte Brust.
Niemand wird sonst bei mir liegen! -
Mich an deine Seite zu schmiegen,
Das war ein susses, ein holdes Gluck!
Aber es will mir nicht mehr gelingen;
Mir ist's, als musst ich mich zu dir zwingen,
Als stiessest du mich von dir zuruck;
Und doch bist du's und blickst so gut, so fromm.
FAUST:
Fuhlst du, dass ich es bin, so komm!
MARGARETE:
Dahinaus?
FAUST:
Ins Freie.
MARGARETE:
Ist das Grab drauss, Lauert der Tod, so komm!
Von hier ins ewige Ruhebett
Und weiter keinen Schritt
Du gehst nun fort? O Heinrich, konnt ich mit!
FAUST:
Du kannst! So wolle nur! Die Tur steht offen!
MARGARETE:
Ich darf nicht fort; fur mich ist nichts zu hoffen.
Was hilft es, fliehn? Sie lauern doch mir auf.
Es ist so elend, betteln zu mussen
Und noch dazu mit bosem Gewissen!
Es ist so elend, in der Fremde schweifen
Und sie werden mich doch ergreifen!
FAUST:
Ich bleibe bei dir
MARGARETE:
Geschwind! Geschwind!
Rette dein armes Kind!
Fort! immer den Weg
Am Bach hinauf,
Uber den Steg,
In den Wald hinein,
Links, wo die Planke steht,
Im Teich.
Fass es nur gleich!
Es will sich heben,
Es zappelt noch!
Rette! rette!
FAUST:
Besinne dich doch!
Nur einen Schritt, so bist du frei!
MARGARETE:
Waren wir nur den Berg vorbei!
Da sitzt meine Mutter auf einem Stein,
Es fasst mich kalt beim Schopfe!
Da sitzt meine Mutter auf einem Stein
Und wackelt mit dem Kopfe
Sie winkt nicht, sie nickt nicht, der Kopf ist ihr schwer,
Sie schlief so lange, sie wacht nicht mehr.
Sie schlief, damit wir uns freuten.
Es waren gluckliche Zeiten!
FAUST:
Hilft hier kein Flehen, hilft kein Sagen,
So wag ich's, dich hinwegzutragen.
MARGARETE:
Lass mich! Nein, ich leide keine Gewalt!
Fasse mich nicht so morderisch an!
Sonst hab ich dir ja alles zulieb getan.
FAUST:
Der Tag graut! Liebchen! Liebchen!
MARGARETE:
Tag! Ja, es wird Tag! der letzte Tag dringt herein;
Mein Hochzeittag sollt es sein!
Sag niemand, dass du schon bei Gretchen warst.
Weh meinem Kranze!
Es ist eben geschehn!
Wir werden uns wiedersehn;
Aber nicht beim Tanze.
Die Menge drangt sich, man hort sie nicht.
Der Platz, die Gassen
Konnen sie nicht fassen.
Die Glocke ruft, das Stabchen bricht.
Wie sie mich binden und packen!
Zum Blutstuhl bin ich schon entruckt.
Schon zuckt nach jedem Nacken
Die Scharfe, die nach meinem zuckt.
Stumm liegt die Welt wie das Grab!
FAUST:
O war ich nie geboren!
MEPHISTOPHELES (erscheint draussen):
Auf!