hnlich; und der Gedanke,
dass man vielleicht sein Letztes hergegeben habe,
kann sie zur Verzweiflung steigern.
dass man vielleicht sein Letztes hergegeben habe,
kann sie zur Verzweiflung steigern.
Weininger - 1923 - Tod
Vieles in seinem Buche ist ganz
offenbar darauf angelegt, A? rgernis bei dem andern
Geschlecht zu erregen; so wollte er von dem eigenen
A? rger genesen.
Alle bedeutenden Bu? cher, die guten und die
bo? sen, sind gewidmet. Beatrice, Mathilde brauchen
nicht genannt zu sein; ja nicht einmal gelebt zu
haben. Jedes Werk tra? gt zumindest die anonyme
Widmung an eine ertra? umte Geliebte. Die guten
Werke sind der glu? cklich Geliebten, die bo? sen der
unglu? cklich Geliebten, der Gehassten, gewidmet. Die
guten Werke sollen die Geliebte erfreuen, die bo? sen
sollen ihr irgend ein Unlustgefu? hl, A? rger, Widerwillen,
Abscheu, Grauen, verursachen.
Eine solche Widmung scheint auch Weiningers
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Werk zu tragen. Es ist ihm zwar sicher keine Un-
bill widerfahren, die im richtigen Verha? ltnis zu seiner
Rache stu? nde. Allein, wie wenig Erfahrung braucht
ein scho? pferischer Mensch, um sofort das A? usserste
zu erleben. In scho? pferischen Menschen wird ja alles
nur ausgelo? st. Sie sind ganz Mo? glichkeit und brauchen
daher zum Leben am wenigsten Wirklichkeit. Viel-
leicht war es nur ein winziger peinlicher Eindruck,
fu? r den sich Weininger Genugtuung verschaffen
wollte; unzweifelhaft ist, dass er dies wollte. Und er
konnte es auch, wie niemand ausser ihm; kraft seiner
wissenschaftlichen Begabung konnte er seine An-
griffe gegen das ganze Geschlecht richten und ihnen
den denkbar gro? ssten Nachdruck verleihen. Und
wenn ich nur das angerichtete U? bel u? berschaue,
von dem ich weiss, die Beunruhigung und Kra? nkung
so manchen edlen Frauenherzens, muss ich sagen,
seine Absicht ist ihm vollkommen gelungen. Allein,
gerade das war sein Verha? ngnis. Er hatte sich mit
dem Buch, durch das er gesunden wollte, jede
Lebensmo? glichheit abgeschnitten.
Als Weininger ? Geschlecht und Charakter"
vollendet hatte, empfand er eine ungeheure Be-
friedigung; er hatte sich von seinem Groll gru? nd-
lich losgesprochen. Er triumphierte. Aber dieser
Triumph sollte ihn das Leben kosten. Derselbe
Umstand, der seinen Sieg anscheinend so voll-
sta? ndig machte, fu? hrte sein Verderben herbei: Die
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Wissenschaftlichkeit des Antifeminismus. Weininger
war gar kein Weiberfeind, seine wissenschaftlichen
Anschauungen u? ber das Weib zwangen ihn aber, einer
zu sein, wenn er nicht seine Wissenschaft preis-
geben wollte. Dazu konnte er sich nun nicht ent-
schliessen und den Hass vertrug er nicht -- das war
die verzweifelt schwierige Lage, in die ihn sein
Buch gebracht hatte.
Es waren schon viele Weiberhasser vor Wei-
ninger da, aber keiner hatte, zu seinem Glu? ck, ver-
mocht, seine Meinung in eine wissenschaftliche
Form zu bringen. Wenn einer reuig zu den Ge-
schma? hten zuru? ckkehren wollte, so stand dem nichts
entgegen; nichts, als die A? usserung einer voru? ber-
gehenden Laune. Launen verpflichten nicht; Launen
darf man, Launen soll man wechseln.
Es ist das gro? sste Unheil, welches der ewige
Wechsel der Launen anrichten kann, wenn sich
jemand durch eine Laune zu weittragenden Hand-
lungen verleiten la? sst, die nur in dieser Laune und
sonst keinen Sinn haben. Die wichtigste Lebens-
bedingung fu? r einen Launenhaften ist eine nach-
giebige Umgebung: nachgiebige Menschen, nach-
giebige Verha? ltnisse. Wer in einer starren Umgebung
lebt, ist einmal glu? cklich und sechs andere Male
unglu? cklich.
Weininger hatte sich durch sein wissenschaftliches
Gebaren in einem unertra? glichen Zustand fixiert.
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Er hatte aus einer voru? bergehenden Herzensnot zuerst
wissenschaftliche Lehrsa? tze und dann ein Lebens-
prinzip abgeleitet. Ha? tte er seine Anschauungen in
einem Roman ausgesprochen, mit ganz denselben
Worten, nur nicht mit diesem Anspruch auf un-
bedingte Geltung, so ha? tte er nach Belieben weiter-
leben ko? nnen. Nicht einmal von einem Philosophen
verlangt man, dass er nach seinen Grundsa? tzen lebt,
weil man ganz gut spu? rt, wieviel Schicksalsnot sich
hinter so mancher ? Erkenntnis" verbirgt. Wenn jemand
eine Maxime ausspricht, so will er gewo? hnlich nicht
danach leben, sondern sich durch das Aussprechen
Erleichterung von irgend einem Weh verschaffen.
Weininger wollte durch seine haarscharfe Beweis-
fu? hrung jeden Gedanken ausschliessen, dass es sich
bei seinen Behauptungen um eine A? usserung u? bler
Laune handeln ko? nne. Er lehnte perso? nliche Aus-
legungen immer sehr schroff ab. Er wollte nicht
zugeben, dass ihm das Thema u? berhaupt nahe gehe.
Aber zu innerst war er seiner Sache doch nicht
sicher. Gerade die Mu? he, die er sich gab, seinen
Grundsa? tzen die Treue zu wahren, beweist, dass er
ihnen misstraute. Er wollte die Wahrheit seiner An-
schauungen dadurch erweisen, dass er sie in die
Tat umsetzte. Er musste, um das Leben weiter zu
ertragen, sich in einem fort glauben machen, dass
er im Recht sei; dies konnte er nur durch strenge
Befolgung seiner Anschauungen. Nach diesen An-
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schauungen konnte er aber nicht leben, weil sie
weder wahr, noch seinem Wesen gema? ss waren.
Der Versuch, seine Grundsa? tze zu praktizieren,
machte ihn schon nach kurzer Zeit ko? rperlich und
seelisch unfa? hig, die Leiden eines solchen Versuches
weiter zu ertragen. Weiniger war ausserstande, seiner
Einsicht entsprechend zu leben, und er war zu
stolz, seiner so pomphaft verku? ndeten Einsicht ent-
gegen zu leben.
Dass Weininger sich dieses Dilemmas bewusst
war, beweist sein Ausspruch: Er oder sein Werk
mu? sse sterben. Es ist nichts versta? ndlicher, als da?
er es vorgezogen hat, sein Leben fu? r sein Werk
hinzugeben. Sein weiteres Leben ha? tte sich sehr un-
erquicklich gestaltet. Wa? re er, der seine Anschau-
ungen wie ein apostolisches Bekenntnis der Welt
verku? ndet hatte, durch einen Abfall hievon nicht
la? cherlich geworden? Einen schrecklicheren Ge-
danken konnte es fu? r Weininger, der so heiss be-
mu? ht war, seinem Leben Wu? rde zu verleihen, nicht
geben. Aber nicht nur der anderen, auch seiner
selbst wegen ha? tte es Weininger nie vermocht, sein
Werk durch die Tat zu verleugnen; die Selbst-
achtung war ihm Lebensbedu? rfnis. Allen eifrigen
Selbstbeobachtern ist dies eigen, dass sie am Leben
nur so lange Freude haben, als sie an sich selber
Wohlgefallen finden. Dieses Wohlgefallen wird nur
durch den vollkommenen Einklang von Denken,
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Reden und Handeln erzeugt. Endlich aber: Die
Liebe, die ans Leben bindet, jegliche Hoffnung auf
Liebe hatte Weininger aus seinem Leben verbannt.
Es befiel ihn Bangigkeit. Wie sollte er von diesem
Gefu? hle, a? rger als der Tod, je wieder genesen? Er
sah keinen Ausweg. Da nahm ihn die Verzweiflung.
Als er seinem Herzen die to? dliche Wunde zufu? gte,
war es schon la? ngst todkrank; er hatte es zum Tode
verurteilt, da er es von allen Banden loslo? ste. Es
war nicht zur Einsamkeit geschaffen. Es war ein
gutes, bedu? rftiges Kinderherz.
Das war Weiningers Geschick, von allen un-
seligen Nebenumsta? nden losgelo? st. Es gab leider
auch solche. Dazu geho? rte die Erscho? pfung, in die
er nach der Vollendung seines Werkes verfiel. Diese
Erscho? pfung ist ein bei produktiven Menschen ganz
normaler, wenn auch nicht angenehmer Zustand.
Produktive Menschen fu? hlen sich nur wohl, wenn
sie an einem Werk tragen. Es gibt fu? r sie nichts
A? rgeres als die o? de, leere Zeit, die auf die Ent-
bindung von einem Werk folgt. Schwere Verstim-
mungen sind ganz gewo?
hnlich; und der Gedanke,
dass man vielleicht sein Letztes hergegeben habe,
kann sie zur Verzweiflung steigern. Jeder Mensch
braucht zum Leben eine Absicht fu? r morgen. Lebens-
ziele erhalten am Leben; oder vielmehr so: Lebens-
ziele sind ein Beweis, dass jemand noch Leben vor
sich hat. Deshalb ruft der zeitweilige Mangel an
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einem Lebensziel das Gefu? hl hervor, dass es nun
mit dem Leben aus sei. Ha? tte Weininger ein neues
Werk in sich keimen gespu? rt, so wa? re er gegen
alle Not gefeit gewesen; nichts ha? tte ihn dazu ge-
bracht, diesen Keim mit sich selber zu to? ten. Es
gibt auch gegen die geistige Nachkommenschaft
eine Pflicht, die in schweren Stunden aufrecht
erha? lt.
Zur Verschlimmerung seines Zustandes trug
auch viel die Wirkung des Buches bei. Er wurde
bald gewahr, was fu? r einen Aufruhr es in den
Ko? pfen und Herzen erzeugte. Nun mo? chte man
glauben, diese Wirkung sei berechnet und gewu? nscht
gewesen. Es war aber offenbar doch nicht so. Ich
erinnere da an eine Beobachtung, die man in Ver-
sammlungen ha? ufig machen kann: Es ha? lt jemand
ku? hn und keck eine donnernde Rede, von deren
Wirkung er unmo? glich u? berrascht sein kann. Wie
aber die Wirkung eintritt und der Sturm unter den
Zuho? rern losbricht, da erbleicht der Redner auf ein-
mal und bietet ein kla? gliches Bild. Es sind das
offenbar Leute mit ganz oberfla? chlicher Beziehung
zur Aussenwelt, die eine beleidigende Rede halten,
wie man einen Brief schreibt, den man dann in der
Lade liegen la? sst. Sie reden fu? r sich; sie werden erst
durch die Wirkung ihrer Rede ins Leben gerufen.
Auch Weininger ist erst durch die Folgen seines
Werkes wach geworden. Ich glaube, er ha? tte gerne
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bekannt, dass er's nicht so ernst gemeint habe.
Seine Gedanken waren nur eine du? ster-pra? chtige
Phantasie; er hatte zu innerst sicher auch keine
andere Auffassung davon. Und nun sah er auf
einmal Leidenschaften gegen sich entfacht, ho? rte
rauhes Geza? nke und sah ergrimmte Mienen. Da
erfuhr er erst, dass Worte Taten sein ko? nnen und
was das sei, eine Tat, und was das heisse, Verant-
wortung. So kam zu allem u? brigen auch noch
diese Last.
Aber, so einzig schwierig Weiningers Lage war,
es wa? re ihm doch zu helfen gewesen. Er selbst
konnte sich unmo? glich halten, aber andere ha? tten
ihn halten ko? nnen. Er war ja nicht Herr der Lage.
Seiner Selbstbeobachtung entging gerade der Punkt,
um den sich alles in ihm drehte. Kein Mensch u? ber-
sieht sich ganz. Das Unheilvollste war da eine Um-
gebung, die ihn mit seinen Augen ansah, die gerade
das an ihm bewunderte, was ihm selber gefiel.
Weininger ha? tte einen Tropfen blutsfremde Arznei
gebraucht; er ha? tte durch eine fremde Auffassung
zu einer andern Selbstbetrachtung angeleitet werden
mu? ssen. Aber wie ha? tte er Helfer finden sollen unter
denen, welchen er fu? r einen Heiland galt? Einen
Erlo? ser erlo? sen, einen Retter erretten, das konnte
natu? rlich diesen Gla? ubigen nicht in den Sinn kommen.
Es gibt u? brigens Menschen, die vom Leben nicht
anders beru? hrt werden als von einem Roman oder
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Schauspiel. Sie finden alles in Ordnung, wofern
es nur a? sthetisch wirkt; und sie sind imstande,
sich von anderen, ohne eine Hand zu ru? hren,
eine erschu? tternde Trago? die vorleben zu lassen.
So weit kann die Verwechslung von Vorstellung
und Wirklichkeit bei diesen harmlos-gefa? hrlichen
Menschen fu? hren, dass sie ihren Tra? umereien mit
kindlicher Unschuld sogar blutige Opfer bringen.
Wirklich leben sie eben nur die paar Male,
wo sie aufschrecken. Sie eignen sich vielleicht
zu Dramaturgen, aber nicht zu Ratgebern. --
Niemand wa? re natu? rlich imstande gewesen, an
Weiningers Leben, wie es sich nun einmal gestaltet
hatte, eine gru? ndliche Vera? nderung vorzunehmen.
Aber vielleicht wa? re es gelungen, ihn zu einem
Kompromiss zu bewegen zwischen seinen idealen
Forderungen und den Forderungen, die das Leben
unerbittlich, unabla? ssig stellt. Jeder Mensch erlebt
einmal den Schmerz, dass das Leben sich nicht in
gedanklicher Reinheit und Vollkommenheit durch-
fu? hren la? sst. Er wird aber bald der Naturnotwendig-
keit dieser Tatsache inne, gibt der Welt das Ihre
und dem Geist das Seine. Weininger konnte an
seinem Leben keine Freude mehr haben; aber man
ha? tte ihn wohl dazu vermocht, es zu tragen. Das
Leben ist ja doch der Gu? ter ho? chstes. Durch ein
ta? tiges Leben kann man mehr su? hnen als durch den
Tod. Durch den Tod wird in der Dichtung gesu? hnt;
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das Leben hat andere Gesetze als die Kunst; sonst
brauchte man die Kunst nicht.
Weininger hatte noch den heissen Wunsch, mit
dem so mancher ins Leben tritt: Traumscho? n wollte
er es gestalten, vollkommen wie ein Kunstwerk. Ob
nicht der Entschluss, sein Leben zu enden, von
diesem Wunsche beeinflusst war? Er schloss die Reihe
innerer Verwicklungen mit einem regelrechten fu? nften
Akt ab. Er behandelte sich so, wie ihn jeder Dichter
als Stoff ha? tte behandeln mu? ssen. Die Lo? sung war,
als Werk der Phantasie betrachtet, rein und be-
friedigend. Allein, was in der Kunst notwendig ist,
kann im Leben der helle Wahnsinn sein. Es ist das
vielleicht die gro? sste Gefahr jedes Selbstbeobachters,
dass er gleichzeitig Selbstgestalter ist, daher ein
ku? nstlerisches Interesse an sich hat und sich mit
Anforderungen qua? lt, die nur im Reich des Geistes
zu befriedigen sind.
Sehr bezeichnend ist, was Weininger einmal
wie eine Lebensregel ausspricht oder wie einen
Tadel gegen alle, die's anders machen: Tristan und
Isolde gehen in den Tod, nicht ins Brautbett. Der Miss-
verstand, als wa? re die Kunst eine Anleitung zu einem
vollkommenen Leben! Die Kunst hat man ja eben
deswegen, weil man nicht so scho? n leben kann, als
man mo? chte. Es ist auch mit scho? nen Gedanken nicht
anders. Maximen spricht man nicht aus, damit nach
ihnen gehandelt werde, sondern weil man nach ihnen
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nicht handeln kann. Man erholt sich von der irdischen
Unzula? nglichkeit im Reich das Vollkommenen. Das
Ideal verlangt gar nicht nach Verwirklichung, weil
es schon in Gedanken wirklich ist. Das Ideal ist
die ho? chste und letzte Wirklichkeit, nicht die Vor-
stufe zu einer gro? sseren Realita? t. Das Ideal verha? lt
sich zum Leben keineswegs wie der Gedanke einer
Erfindung zu seiner Ausfu? hrung. Das Leben ist fu? r
das Ideal der bildungsbedu? rftige Stoff. Wem das
Ideal noch nicht genu? gt, der ha? ngt zuviel am Leben,
der ist im Jenseits noch nicht heimisch genug.
Tragische Konflikte stammen aus der Ver-
kennung dieses Sachverhaltes. Wer nach a? usserster
Reinheit strebt, wird erst recht schmutzig; wer jede
Sto? rung vermeiden will, kommt aus den Sto? rungen
nicht heraus; wer der Welt ganz entfliehen will, wird
erst recht in sie verstrickt.
Weiningers ru? cksichtsloses Streben nach Ver-
wirklichung des Gedankenhaften hat etwas Helden-
mu? tiges. Der Held ist eben derjenige, welcher das
Vollkommene im Leben anstrebt; im Gegensatz
zum Dichter, der es im Werk darstellt. Der Held
geht in den Tod, wenn es die Gerechtigkeit er-
fordert; der Dichter la? sst einen Helden an seiner
Statt sterben. Der Held ist ein Dichter in Taten,
der Dichter ein Held in Worten. Der Dichter nimmt
es mit dem Leben nie genau; dafu?
offenbar darauf angelegt, A? rgernis bei dem andern
Geschlecht zu erregen; so wollte er von dem eigenen
A? rger genesen.
Alle bedeutenden Bu? cher, die guten und die
bo? sen, sind gewidmet. Beatrice, Mathilde brauchen
nicht genannt zu sein; ja nicht einmal gelebt zu
haben. Jedes Werk tra? gt zumindest die anonyme
Widmung an eine ertra? umte Geliebte. Die guten
Werke sind der glu? cklich Geliebten, die bo? sen der
unglu? cklich Geliebten, der Gehassten, gewidmet. Die
guten Werke sollen die Geliebte erfreuen, die bo? sen
sollen ihr irgend ein Unlustgefu? hl, A? rger, Widerwillen,
Abscheu, Grauen, verursachen.
Eine solche Widmung scheint auch Weiningers
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Werk zu tragen. Es ist ihm zwar sicher keine Un-
bill widerfahren, die im richtigen Verha? ltnis zu seiner
Rache stu? nde. Allein, wie wenig Erfahrung braucht
ein scho? pferischer Mensch, um sofort das A? usserste
zu erleben. In scho? pferischen Menschen wird ja alles
nur ausgelo? st. Sie sind ganz Mo? glichkeit und brauchen
daher zum Leben am wenigsten Wirklichkeit. Viel-
leicht war es nur ein winziger peinlicher Eindruck,
fu? r den sich Weininger Genugtuung verschaffen
wollte; unzweifelhaft ist, dass er dies wollte. Und er
konnte es auch, wie niemand ausser ihm; kraft seiner
wissenschaftlichen Begabung konnte er seine An-
griffe gegen das ganze Geschlecht richten und ihnen
den denkbar gro? ssten Nachdruck verleihen. Und
wenn ich nur das angerichtete U? bel u? berschaue,
von dem ich weiss, die Beunruhigung und Kra? nkung
so manchen edlen Frauenherzens, muss ich sagen,
seine Absicht ist ihm vollkommen gelungen. Allein,
gerade das war sein Verha? ngnis. Er hatte sich mit
dem Buch, durch das er gesunden wollte, jede
Lebensmo? glichheit abgeschnitten.
Als Weininger ? Geschlecht und Charakter"
vollendet hatte, empfand er eine ungeheure Be-
friedigung; er hatte sich von seinem Groll gru? nd-
lich losgesprochen. Er triumphierte. Aber dieser
Triumph sollte ihn das Leben kosten. Derselbe
Umstand, der seinen Sieg anscheinend so voll-
sta? ndig machte, fu? hrte sein Verderben herbei: Die
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Wissenschaftlichkeit des Antifeminismus. Weininger
war gar kein Weiberfeind, seine wissenschaftlichen
Anschauungen u? ber das Weib zwangen ihn aber, einer
zu sein, wenn er nicht seine Wissenschaft preis-
geben wollte. Dazu konnte er sich nun nicht ent-
schliessen und den Hass vertrug er nicht -- das war
die verzweifelt schwierige Lage, in die ihn sein
Buch gebracht hatte.
Es waren schon viele Weiberhasser vor Wei-
ninger da, aber keiner hatte, zu seinem Glu? ck, ver-
mocht, seine Meinung in eine wissenschaftliche
Form zu bringen. Wenn einer reuig zu den Ge-
schma? hten zuru? ckkehren wollte, so stand dem nichts
entgegen; nichts, als die A? usserung einer voru? ber-
gehenden Laune. Launen verpflichten nicht; Launen
darf man, Launen soll man wechseln.
Es ist das gro? sste Unheil, welches der ewige
Wechsel der Launen anrichten kann, wenn sich
jemand durch eine Laune zu weittragenden Hand-
lungen verleiten la? sst, die nur in dieser Laune und
sonst keinen Sinn haben. Die wichtigste Lebens-
bedingung fu? r einen Launenhaften ist eine nach-
giebige Umgebung: nachgiebige Menschen, nach-
giebige Verha? ltnisse. Wer in einer starren Umgebung
lebt, ist einmal glu? cklich und sechs andere Male
unglu? cklich.
Weininger hatte sich durch sein wissenschaftliches
Gebaren in einem unertra? glichen Zustand fixiert.
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Er hatte aus einer voru? bergehenden Herzensnot zuerst
wissenschaftliche Lehrsa? tze und dann ein Lebens-
prinzip abgeleitet. Ha? tte er seine Anschauungen in
einem Roman ausgesprochen, mit ganz denselben
Worten, nur nicht mit diesem Anspruch auf un-
bedingte Geltung, so ha? tte er nach Belieben weiter-
leben ko? nnen. Nicht einmal von einem Philosophen
verlangt man, dass er nach seinen Grundsa? tzen lebt,
weil man ganz gut spu? rt, wieviel Schicksalsnot sich
hinter so mancher ? Erkenntnis" verbirgt. Wenn jemand
eine Maxime ausspricht, so will er gewo? hnlich nicht
danach leben, sondern sich durch das Aussprechen
Erleichterung von irgend einem Weh verschaffen.
Weininger wollte durch seine haarscharfe Beweis-
fu? hrung jeden Gedanken ausschliessen, dass es sich
bei seinen Behauptungen um eine A? usserung u? bler
Laune handeln ko? nne. Er lehnte perso? nliche Aus-
legungen immer sehr schroff ab. Er wollte nicht
zugeben, dass ihm das Thema u? berhaupt nahe gehe.
Aber zu innerst war er seiner Sache doch nicht
sicher. Gerade die Mu? he, die er sich gab, seinen
Grundsa? tzen die Treue zu wahren, beweist, dass er
ihnen misstraute. Er wollte die Wahrheit seiner An-
schauungen dadurch erweisen, dass er sie in die
Tat umsetzte. Er musste, um das Leben weiter zu
ertragen, sich in einem fort glauben machen, dass
er im Recht sei; dies konnte er nur durch strenge
Befolgung seiner Anschauungen. Nach diesen An-
? ? Generated for (University of Chicago) on 2014-08-19 08:37 GMT / http://hdl. handle. net/2027/njp. 32101068184017 Public Domain in the United States, Google-digitized / http://www. hathitrust. org/access_use#pd-us-google
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schauungen konnte er aber nicht leben, weil sie
weder wahr, noch seinem Wesen gema? ss waren.
Der Versuch, seine Grundsa? tze zu praktizieren,
machte ihn schon nach kurzer Zeit ko? rperlich und
seelisch unfa? hig, die Leiden eines solchen Versuches
weiter zu ertragen. Weiniger war ausserstande, seiner
Einsicht entsprechend zu leben, und er war zu
stolz, seiner so pomphaft verku? ndeten Einsicht ent-
gegen zu leben.
Dass Weininger sich dieses Dilemmas bewusst
war, beweist sein Ausspruch: Er oder sein Werk
mu? sse sterben. Es ist nichts versta? ndlicher, als da?
er es vorgezogen hat, sein Leben fu? r sein Werk
hinzugeben. Sein weiteres Leben ha? tte sich sehr un-
erquicklich gestaltet. Wa? re er, der seine Anschau-
ungen wie ein apostolisches Bekenntnis der Welt
verku? ndet hatte, durch einen Abfall hievon nicht
la? cherlich geworden? Einen schrecklicheren Ge-
danken konnte es fu? r Weininger, der so heiss be-
mu? ht war, seinem Leben Wu? rde zu verleihen, nicht
geben. Aber nicht nur der anderen, auch seiner
selbst wegen ha? tte es Weininger nie vermocht, sein
Werk durch die Tat zu verleugnen; die Selbst-
achtung war ihm Lebensbedu? rfnis. Allen eifrigen
Selbstbeobachtern ist dies eigen, dass sie am Leben
nur so lange Freude haben, als sie an sich selber
Wohlgefallen finden. Dieses Wohlgefallen wird nur
durch den vollkommenen Einklang von Denken,
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Reden und Handeln erzeugt. Endlich aber: Die
Liebe, die ans Leben bindet, jegliche Hoffnung auf
Liebe hatte Weininger aus seinem Leben verbannt.
Es befiel ihn Bangigkeit. Wie sollte er von diesem
Gefu? hle, a? rger als der Tod, je wieder genesen? Er
sah keinen Ausweg. Da nahm ihn die Verzweiflung.
Als er seinem Herzen die to? dliche Wunde zufu? gte,
war es schon la? ngst todkrank; er hatte es zum Tode
verurteilt, da er es von allen Banden loslo? ste. Es
war nicht zur Einsamkeit geschaffen. Es war ein
gutes, bedu? rftiges Kinderherz.
Das war Weiningers Geschick, von allen un-
seligen Nebenumsta? nden losgelo? st. Es gab leider
auch solche. Dazu geho? rte die Erscho? pfung, in die
er nach der Vollendung seines Werkes verfiel. Diese
Erscho? pfung ist ein bei produktiven Menschen ganz
normaler, wenn auch nicht angenehmer Zustand.
Produktive Menschen fu? hlen sich nur wohl, wenn
sie an einem Werk tragen. Es gibt fu? r sie nichts
A? rgeres als die o? de, leere Zeit, die auf die Ent-
bindung von einem Werk folgt. Schwere Verstim-
mungen sind ganz gewo?
hnlich; und der Gedanke,
dass man vielleicht sein Letztes hergegeben habe,
kann sie zur Verzweiflung steigern. Jeder Mensch
braucht zum Leben eine Absicht fu? r morgen. Lebens-
ziele erhalten am Leben; oder vielmehr so: Lebens-
ziele sind ein Beweis, dass jemand noch Leben vor
sich hat. Deshalb ruft der zeitweilige Mangel an
? ? Generated for (University of Chicago) on 2014-08-19 08:37 GMT / http://hdl. handle. net/2027/njp. 32101068184017 Public Domain in the United States, Google-digitized / http://www. hathitrust. org/access_use#pd-us-google
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einem Lebensziel das Gefu? hl hervor, dass es nun
mit dem Leben aus sei. Ha? tte Weininger ein neues
Werk in sich keimen gespu? rt, so wa? re er gegen
alle Not gefeit gewesen; nichts ha? tte ihn dazu ge-
bracht, diesen Keim mit sich selber zu to? ten. Es
gibt auch gegen die geistige Nachkommenschaft
eine Pflicht, die in schweren Stunden aufrecht
erha? lt.
Zur Verschlimmerung seines Zustandes trug
auch viel die Wirkung des Buches bei. Er wurde
bald gewahr, was fu? r einen Aufruhr es in den
Ko? pfen und Herzen erzeugte. Nun mo? chte man
glauben, diese Wirkung sei berechnet und gewu? nscht
gewesen. Es war aber offenbar doch nicht so. Ich
erinnere da an eine Beobachtung, die man in Ver-
sammlungen ha? ufig machen kann: Es ha? lt jemand
ku? hn und keck eine donnernde Rede, von deren
Wirkung er unmo? glich u? berrascht sein kann. Wie
aber die Wirkung eintritt und der Sturm unter den
Zuho? rern losbricht, da erbleicht der Redner auf ein-
mal und bietet ein kla? gliches Bild. Es sind das
offenbar Leute mit ganz oberfla? chlicher Beziehung
zur Aussenwelt, die eine beleidigende Rede halten,
wie man einen Brief schreibt, den man dann in der
Lade liegen la? sst. Sie reden fu? r sich; sie werden erst
durch die Wirkung ihrer Rede ins Leben gerufen.
Auch Weininger ist erst durch die Folgen seines
Werkes wach geworden. Ich glaube, er ha? tte gerne
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bekannt, dass er's nicht so ernst gemeint habe.
Seine Gedanken waren nur eine du? ster-pra? chtige
Phantasie; er hatte zu innerst sicher auch keine
andere Auffassung davon. Und nun sah er auf
einmal Leidenschaften gegen sich entfacht, ho? rte
rauhes Geza? nke und sah ergrimmte Mienen. Da
erfuhr er erst, dass Worte Taten sein ko? nnen und
was das sei, eine Tat, und was das heisse, Verant-
wortung. So kam zu allem u? brigen auch noch
diese Last.
Aber, so einzig schwierig Weiningers Lage war,
es wa? re ihm doch zu helfen gewesen. Er selbst
konnte sich unmo? glich halten, aber andere ha? tten
ihn halten ko? nnen. Er war ja nicht Herr der Lage.
Seiner Selbstbeobachtung entging gerade der Punkt,
um den sich alles in ihm drehte. Kein Mensch u? ber-
sieht sich ganz. Das Unheilvollste war da eine Um-
gebung, die ihn mit seinen Augen ansah, die gerade
das an ihm bewunderte, was ihm selber gefiel.
Weininger ha? tte einen Tropfen blutsfremde Arznei
gebraucht; er ha? tte durch eine fremde Auffassung
zu einer andern Selbstbetrachtung angeleitet werden
mu? ssen. Aber wie ha? tte er Helfer finden sollen unter
denen, welchen er fu? r einen Heiland galt? Einen
Erlo? ser erlo? sen, einen Retter erretten, das konnte
natu? rlich diesen Gla? ubigen nicht in den Sinn kommen.
Es gibt u? brigens Menschen, die vom Leben nicht
anders beru? hrt werden als von einem Roman oder
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Schauspiel. Sie finden alles in Ordnung, wofern
es nur a? sthetisch wirkt; und sie sind imstande,
sich von anderen, ohne eine Hand zu ru? hren,
eine erschu? tternde Trago? die vorleben zu lassen.
So weit kann die Verwechslung von Vorstellung
und Wirklichkeit bei diesen harmlos-gefa? hrlichen
Menschen fu? hren, dass sie ihren Tra? umereien mit
kindlicher Unschuld sogar blutige Opfer bringen.
Wirklich leben sie eben nur die paar Male,
wo sie aufschrecken. Sie eignen sich vielleicht
zu Dramaturgen, aber nicht zu Ratgebern. --
Niemand wa? re natu? rlich imstande gewesen, an
Weiningers Leben, wie es sich nun einmal gestaltet
hatte, eine gru? ndliche Vera? nderung vorzunehmen.
Aber vielleicht wa? re es gelungen, ihn zu einem
Kompromiss zu bewegen zwischen seinen idealen
Forderungen und den Forderungen, die das Leben
unerbittlich, unabla? ssig stellt. Jeder Mensch erlebt
einmal den Schmerz, dass das Leben sich nicht in
gedanklicher Reinheit und Vollkommenheit durch-
fu? hren la? sst. Er wird aber bald der Naturnotwendig-
keit dieser Tatsache inne, gibt der Welt das Ihre
und dem Geist das Seine. Weininger konnte an
seinem Leben keine Freude mehr haben; aber man
ha? tte ihn wohl dazu vermocht, es zu tragen. Das
Leben ist ja doch der Gu? ter ho? chstes. Durch ein
ta? tiges Leben kann man mehr su? hnen als durch den
Tod. Durch den Tod wird in der Dichtung gesu? hnt;
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das Leben hat andere Gesetze als die Kunst; sonst
brauchte man die Kunst nicht.
Weininger hatte noch den heissen Wunsch, mit
dem so mancher ins Leben tritt: Traumscho? n wollte
er es gestalten, vollkommen wie ein Kunstwerk. Ob
nicht der Entschluss, sein Leben zu enden, von
diesem Wunsche beeinflusst war? Er schloss die Reihe
innerer Verwicklungen mit einem regelrechten fu? nften
Akt ab. Er behandelte sich so, wie ihn jeder Dichter
als Stoff ha? tte behandeln mu? ssen. Die Lo? sung war,
als Werk der Phantasie betrachtet, rein und be-
friedigend. Allein, was in der Kunst notwendig ist,
kann im Leben der helle Wahnsinn sein. Es ist das
vielleicht die gro? sste Gefahr jedes Selbstbeobachters,
dass er gleichzeitig Selbstgestalter ist, daher ein
ku? nstlerisches Interesse an sich hat und sich mit
Anforderungen qua? lt, die nur im Reich des Geistes
zu befriedigen sind.
Sehr bezeichnend ist, was Weininger einmal
wie eine Lebensregel ausspricht oder wie einen
Tadel gegen alle, die's anders machen: Tristan und
Isolde gehen in den Tod, nicht ins Brautbett. Der Miss-
verstand, als wa? re die Kunst eine Anleitung zu einem
vollkommenen Leben! Die Kunst hat man ja eben
deswegen, weil man nicht so scho? n leben kann, als
man mo? chte. Es ist auch mit scho? nen Gedanken nicht
anders. Maximen spricht man nicht aus, damit nach
ihnen gehandelt werde, sondern weil man nach ihnen
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nicht handeln kann. Man erholt sich von der irdischen
Unzula? nglichkeit im Reich das Vollkommenen. Das
Ideal verlangt gar nicht nach Verwirklichung, weil
es schon in Gedanken wirklich ist. Das Ideal ist
die ho? chste und letzte Wirklichkeit, nicht die Vor-
stufe zu einer gro? sseren Realita? t. Das Ideal verha? lt
sich zum Leben keineswegs wie der Gedanke einer
Erfindung zu seiner Ausfu? hrung. Das Leben ist fu? r
das Ideal der bildungsbedu? rftige Stoff. Wem das
Ideal noch nicht genu? gt, der ha? ngt zuviel am Leben,
der ist im Jenseits noch nicht heimisch genug.
Tragische Konflikte stammen aus der Ver-
kennung dieses Sachverhaltes. Wer nach a? usserster
Reinheit strebt, wird erst recht schmutzig; wer jede
Sto? rung vermeiden will, kommt aus den Sto? rungen
nicht heraus; wer der Welt ganz entfliehen will, wird
erst recht in sie verstrickt.
Weiningers ru? cksichtsloses Streben nach Ver-
wirklichung des Gedankenhaften hat etwas Helden-
mu? tiges. Der Held ist eben derjenige, welcher das
Vollkommene im Leben anstrebt; im Gegensatz
zum Dichter, der es im Werk darstellt. Der Held
geht in den Tod, wenn es die Gerechtigkeit er-
fordert; der Dichter la? sst einen Helden an seiner
Statt sterben. Der Held ist ein Dichter in Taten,
der Dichter ein Held in Worten. Der Dichter nimmt
es mit dem Leben nie genau; dafu?
