Nicht die
Menschen
unterdru?
Weininger - 1923 - Tod
Vom Hintergrund des allta? glichen Lebens hingegen
hebt sich der Held als u? berspannter Mensch ab.
Rigorismus jeder Art hat nur im Bereiche der Phantasie
volle Berechtigung. Alles Vollkommene muss im Leben
als U? berspanntheit erscheinen. Manches, was im
Werke entzu? ckt, wirkt im Leben geradezu peinlich.
Man kann danach die Behauptung aufstellen, dass u? ber-
haupt niemals ein Held existiert hat, insofern zur
Existenz nicht nur das Sein, sondern auch das Wahr-
genommenwerden geho? rt. Der Held, auch derjenige,
welcher schon bei Lebzeiten einer war, ersteht erst
nach seinem Tode in der Phantasie der Menschheit;
lebendig wird er nicht vertragen, weil seine Erschei-
nung nicht zum Erdenleben passt. Dieses ist seinem
Wesen nach eine ununterbrochene Reihe von Natur-
gesetzverstu? mmlungen, von Anpassungen, von Kom-
promissen. Als geschworenen Feind der Kompromisse
bezeichnet sich denn auch Cyrano von Bergerac,
? ? Generated for (University of Chicago) on 2014-08-19 08:37 GMT / http://hdl. handle. net/2027/njp. 32101068184017 Public Domain in the United States, Google-digitized / http://www. hathitrust. org/access_use#pd-us-google
? 83
dieser typische Liebhaber des ? Kunstlebens", wie
man das Heldentum auch nennen ko? nnte.
Untadelhaft oder u? berspannt, je nach dem Stand-
punkte des Betrachters, war Weiningers Verhalten
in dem Kampf zwischen Geist und Sinnlichkeit, der,
wie schon zu Beginn erwa? hnt, das Hauptthema
seines Lebens bildet. Mancherlei Erscheinnungen in
der Literatur wie im Leben der gegenwa? rtigen
Generation lassen Klarheit u? ber das Verha? ltnis von
Geist und Sinnlichkeit als sehr wu? nschenswert er-
scheinen, und diesem wichtigen Zwecke dienen die
folgenden Ero? rterungen.
Es ist neuestensviel die Rede von Unterdru? ckung
des Geschlechtsbegehrens und Abneigung gegen das
Geschlechtsleben. Man hat die Entdeckung gemacht,
dass mannigfache schwere Erkrankungen, bisher als
nervo? s bezeichnet, in Hemmungen des Geschlechts-
triebes ihren Ursprung haben. Unlustzusta? nde aller
Art und aller Grade, von der einfachen Verstimmung
bis zur Verzweiflung ko? nnen davon kommen. Die
Richtigkeit dieses Zusammenhanges ist durch zahl-
reiche gla? nzende Analysen erha? rtet worden. Die
neue Einsicht hat auch eine neue Heilmethode
ermo? glicht, und dieser Umstand hat mit Recht viel
zur Hebung ihres Kredits beigetragen. Allein es
bleibt bei alldem eine sehr merkwu? rdige Tatsache
zu erkla? ren. Die nervo? sen Leiden kommen von der
Unterdru? ckung. Die Unterdru? ckung aber ist in den
6*
? ? Generated for (University of Chicago) on 2014-08-19 08:37 GMT / http://hdl. handle. net/2027/njp. 32101068184017 Public Domain in the United States, Google-digitized / http://www. hathitrust. org/access_use#pd-us-google
? 84
meisten und gerade in den schwersten Fa? llen keine
a? ussere, sondern sie kommt von einer innerlichen
Abneigung gegen das Geschlechtsleben, gegen ge-
schlechtliche Dinge u? berhaupt. Da entsteht nun die
Frage nach der Herkunft dieser Abneigung. Wie
kommt jemand zu einer anscheinend so bestim-
mungswidrigen Empfindung? Welche Macht treibt
einen solchen Menschen, sich selber die a? rgsten
Martern zuzufu? gen, wa? hrend es nicht einmal eines
Opfers, sondern nur einer Annehmlichkeit bedu? rfte,
um gesund zu bleiben? Es kann gar nicht anders
sein, als dass es Menschen gibt, fu? r welche dieses
Verhalten, so verkehrt es scheint, durchaus ange-
messen ist. Man darf nicht vergessen, dass es ausser
den unbewusst Verdra? ngenden und Unterdru? ckenden
solche gibt, welche den Geschlechtstrieb ganz offen
und absichtlich beka? mpfen, und es kann keinem
Zweifel unterliegen, dass beiderlei Verhalten wesens-
gleich ist. Der Neurotiker ist nur ein unzula? nglicher
Asket. Um die unbewusste Abneigung und Verdra? n-
gung zu begreifen, tut man am besten, dem Wesen
der Askese, der Sinnesfeindlichkeit im allgemeinen,
nachzuforschen. Analyse reicht hierzu nicht aus; hier
helfen nur Gedanken weiter.
Es wa? re gefehlt und aussichtslos, nach dem
Grunde der Geschlechtsabneigung zu fragen. Der-
artige Erscheinungen haben keinen Grund, sondern
einen Sinn. Der Sinn einer Erscheinung aber ist die
? ? Generated for (University of Chicago) on 2014-08-19 08:37 GMT / http://hdl. handle. net/2027/njp. 32101068184017 Public Domain in the United States, Google-digitized / http://www. hathitrust. org/access_use#pd-us-google
? 85
Funktion, die sie in einem gro? sseren Ganzen hat.
Am einzelnen Menschen ist die Geschlechtsabnei-
gung u? berhaupt nicht zu erkla? ren. Welches ist nun
das gro? ssere, die Deutung ermo? glichende Ganze? Die
Generation. Die Generation ist der na? chstho? here
physische Organismus, dem jeder als ein Glied
-- als Erster, Mittlerer oder Letzter angeho? rt. Der Ver-
laut der Generation ist im grossen Umriss folgender. Sie
beginnt irgendwann mit Individuen, welche aus-
schliesslich an der Erzeugung von Nachkommenschaft
und deren Versorgung interessiert sind, und endet mit
Individuen, welche an der leiblichen Fortpflanzung
nicht das geringste Interesse haben, dafu? r aber an
der Produktion von Werken und der Vollbringung
von Taten. Die Ersten der Generation streben die
leibliche Unsterblichkeit an, die Letzten die geistige.
Die Ersten sehnen sich nach Kindern, die Letzten
nach Ruhm. In den Letzten gelangt die Generation
zur Vergeistigung und damit zur Erhaltung in einer
andern Energieform. Die Umwandlung zu Geist,
und die sich daranschliessende Ausbreitung u? ber
Raum und Zeit ist offenbar der Endzweck des Lebens
der Generation. Das Leben des Einzelnen reicht
nicht hin zu Erlangung der Geistesreife. Es ist
daher die Fortpflanzung, die man mit Recht als ein
Wachstum u? ber den Tod hinaus bezeichnet hat,
notwendig, damit der Mensch wenigstens in einem
spa? ten Enkel ein Geisteskind werde.
? ? Generated for (University of Chicago) on 2014-08-19 08:37 GMT / http://hdl. handle. net/2027/njp. 32101068184017 Public Domain in the United States, Google-digitized / http://www. hathitrust. org/access_use#pd-us-google
? 86
Dies ist der ideale Verlauf der Generation, der,
wie es in der Natur der Sache liegt, nur in Anna? he-
rungen wirklich vorkommt. Wer einen Blick fu? r
grosse Konturen hat, wird erkennen, dass die Gene-
ration in der dargelegten Bedeutung keine willku? r-
liche Konstruktion ist, sondern die Rekonstruktion
eines Gesetzes, aus dessen verdru? ckten und (ver-
stu? mmelten A? usserungen.
Die Konstatierung, dass es eine dem Individuum
u? bergeordnete Lebenseinheit, die Generation, gibt,
ist fu? r die Beurteilung des Einzelnen, seines Denkens,
Fu? hlens und Handelns, von gro? sster Wichtigkeit.
Denn alle diese Vorga? nge werden der Hauptsache
nach durch die Stellung bestimmt, die jemand in
der Generation einnimmt, durch die Generations-
stufe. Vor allem aber ist die Generationsstufe mass-
gebend fu? r das Geschlechtsleben. Der Geschlechts-
trieb spielt keineswegs bei allen Menschen die gleiche
Rolle, wie schon bei Besprechung der Kuppelei an-
gedeutet wurde und nunmehr begru? ndet werden
kann. Fu? r die Ersten und Mittleren ist der Ge-
schlechtstrieb ein Mittel, um dem Geiste na? her zu
kommen. Fu? r die Letzten dagegen hat der Ge-
schlechtstrieb keinen Sinn und Zweck. Logisch er-
gibt sich dies daraus, dass mit dem Genie, dem
geistig Produktiven, das naturgema? sse Ende der
Generation erreicht ist; u? ber das Genie hinaus gibt
es aber nichts auf Erden, und eine blosse Fort-
? ? Generated for (University of Chicago) on 2014-08-19 08:37 GMT / http://hdl. handle. net/2027/njp. 32101068184017 Public Domain in the United States, Google-digitized / http://www. hathitrust. org/access_use#pd-us-google
? 87
Pflanzung ohne Entwicklung, also eine unvera? nderte
Neuauflage der Erzeuger, gibt es, wenigstens im
Menschenreiche, auch nicht. Aber auch die Tat-
sachen zeigen, dass der Geschlechtstrieb der Letzten
keinen Zweck hat, indem ihre Nachkommenschaft,
wofern sie u? berhaupt eine erlangen, an Leib und
Seele minderwertig und hinfa? llig ist. Alle Aus-
nahmen hiervon sind nur scheinbar und finden ihre
Begru? ndung teils in dem Umstand, dass jeder Mensch
von zwei Erzeugern stammt, die keineswegs die-
selbe hohe Generationsstufe einzunehmen brauchen,
teils in dem Umstand, dass der Mensch durch die
Fortpflanzung nicht nur sich selber zu erneuter
Aktualita? t bringt, sondern auch entferntere Ahnen,
die er im Keime latent u? bernommen hat. Es ist,
kurz gesagt, mo? glich, dass jemand Nachkommen
hat und doch ausstirbt.
Die Bezeichnung Geschlechtstrieb passt sonach
gar nicht fu? r die Letzten, da ihr Trieb nicht auf
das Geschlecht gerichtet ist, sondern auf den Sinnes-
genuss. Der Geschlechtstrieb lo? st sich im Verlaufe
der Generation immer mehr von seinem Zwecke
los, er wird allma? hlich Sinnlichkeit. Und deswegen
wird er fu? r die Letzten zum Problem und zur Su? nde.
Nunmehr ist die Sexualabneigung begreiflich;
sie ist ein bedeutsames Gefu? hl, das heisst ein Ge-
fu? hl, durch welches unerkannte Verha? ltnisse richtig
gewu? rdigt werden. Sie ist nur so lange problematisch
? ? Generated for (University of Chicago) on 2014-08-19 08:37 GMT / http://hdl. handle. net/2027/njp. 32101068184017 Public Domain in the United States, Google-digitized / http://www. hathitrust. org/access_use#pd-us-google
? 88
als man nicht den Unterschied zwischen Geschlechts-
trieb und Sinnlichkeit macht. Der Geschlechtstrieb
kann nur auf a? usseren, nie auf inneren Widerstand
stossen; er gibt keinen Anlass zu Konflikten. Anders,
aus dem angefu? hrten Grunde, die Sinnlichkeit. Ab-
neigung gegen die Sinnlichkeit stellt sich mit Natur-
wendigkeit dort ein, wo blosse Sinnlichkeit ist. Blosse
Sinnlichkeit gibt es aber nur dort, wo Geist ist.
Nicht die Menschen unterdru? cken die Sinnlichkeit,
sondern der Geist in den Menschen. Geistesleben und
Geschlechtsleben stehen zueinander in natu? rlichem
Gegensatz; das Geschlechtsleben, die Befa? higung
hierzu und das Interesse daran, nimmt in demselben
Masse ab, als das Geistesleben zunimmt. Daher der
la? ngsterkannte Zusammenhang von Keuschheit und
Weisheit.
Man findet deshalb bei allen geistig begabten
Menschen Symptome von Geschlechtsabneigung.
Diese selbst kommt in allen Graden vor, vom
wu? tenden Geschlechtshass bis zur sanften Ablehnung.
Massgebend fu? r den Grad ist vor allem das Kra? fte-
verha? ltnis der Streitparteien. Christus und Paulus
brauchen die Sinnlichkeit nicht zu hassen, weil sie
ihres Geistessieges gewiss sind.
Ein besonders bemerkenswertes Symptom der
Geschlechtsabneigung ist der Hang zur unglu? cklichen
Liebe. Das Genie ist gross in der Kunst des Meidens.
Reichliche Beispiele liefern hierfu? r die Biographien
? ? Generated for (University of Chicago) on 2014-08-19 08:37 GMT / http://hdl. handle. net/2027/njp. 32101068184017 Public Domain in the United States, Google-digitized / http://www. hathitrust. org/access_use#pd-us-google
? 89
der Ku? nstler. Der Kampf zwischen Geist und Sinn-
lichkeit ist die Berufskrankheit des Genies.
Die Misswertung der Sinnlichkeit durch geistig
hervorragende Menschen ist also keineswegs krank-
hafter Rigorismus, Folge psychopathischer Anlage
u. dgl. , sondern eine tiefbegru? ndete Regung, welche
der gesamten Menschheit zur ho? chsten Ehre ge-
reicht; sie ist etwas Erfreuliches und Tro? stliches,
denn sie ist ein Beweis fu? r den lebendigen Anteil
des Geistes an der menschlichen Natur, dergleichen
wir in der u? brigen Organismenwelt nicht finden.
Was ist der Zweck des Kampfes gegen die
Sinnlichkeit? Offenbar die Unabha? ngigkeit des
Geistes. Der Geist will vo? llig frei sein. Man er-
kennt das klar, wenn man den Asketen betrachtet,
welcher nicht nur die Bindung durch das Geschlechts-
leben, sondern durch die Sinneswelt u? berhaupt meidet.
Dieses Beginnen erscheint vielen naturwidrig. Allein
die Menschen, welche sich in die Einsamkeit zuru? ck-
ziehen, fasten und u? berhaupt jegliche Enthaltsam-
keit u? ben, befinden sich mit ihrem Streben ganz
auf der Richtungslinie der natu? rlichen Entwicklung.
Sie suchen nur gewissermassen durch einen Gewalt-
streich zu erlangen, was die Zeit allma? hlich von
selber bringt. Im Laufe der Generation werden die
Menschen ohne besondere Anstrengung immer un-
abha? ngiger von aussen. So braucht das Genie nur
von Zeit zu Zeit Eindru? cke, um innerlich erfu? llt zu
? ? Generated for (University of Chicago) on 2014-08-19 08:37 GMT / http://hdl. handle. net/2027/njp. 32101068184017 Public Domain in the United States, Google-digitized / http://www. hathitrust. org/access_use#pd-us-google
? 90
sein, wa? hrend der gewo? hnliche Mensch besta? ndig
von Eindru? cken, wie das Seetier vom Atemwasser,
durchspu? lt sein muss. Man kann die Geistesstufe
eines Menschen leicht bestimmen durch das Mass
von Abgeschlossenheit und Einsamkeit, dessen er
fa? hig ist. Die grossen Geister gleichen den ma? ch-
tigen Vo? geln, die sich leicht in der Luft erhalten
und nur hie und da zur Erholung eine kurze Be-
ru? hrung mit der Erde brauchen.
Die Verurteilung der Sinnlichkeit erscheint vielen
als eine ungerechte Ha? rte. Man erblickt darin den
Ausdruck einer rein perso? nlichen Abneigung. Es
la? sst sich aber sehr wohl in dieser Frage eine sach-
liche Feststellung vornehmen. Die Generation bringt,
wie fru? her ausgefu? hrt wurde, schliesslich schaffende
Menschen hervor, welche in Geistesgestalt weiter
leben. Es gibt jedoch innerhalb des Menschen-
geschlechtes zwei entgegengesetzte Entwicklungs-
richtungen, eine aufwa? rts zum Geiste und eine ab-
wa? rts zur Erde. Jede Generation endet einmal,
und zwar mit einem positiven oder einem negativen
Menschen, einem Genie oder einem Verbrecher.
Der Begriff der Degeneration ist nur dann allgemein
anwendbar, wenn er nichts weiter besagen soll, als
dass es mit der Generation zu Ende geht; im u? brigen
muss man unterscheiden zwischen der Aszension
durch das Genie und der Deszension durch den
Verbrecher. Die Generation kann auch mit Ver-
? ? Generated for (University of Chicago) on 2014-08-19 08:37 GMT / http://hdl. handle. net/2027/njp. 32101068184017 Public Domain in the United States, Google-digitized / http://www. hathitrust. org/access_use#pd-us-google
? 91
ku? mmerten, Kranken enden. Aber auch diese zeigen
regelma? ssig Spuren von gro? sserer Begabung oder
Nichtsnutzigkeit. Der wichtigste Unterschied
zwischen den beiden Endigungen ist der, dass die
Generation durch das Genie so vollkommen er-
halten bleibt, als dies nur u? berhaupt mo? glich ist,
wa? hrend sie durch den Verbrecher vo? lliger Ver-
nichtung anheimfa? llt. Das Genie kann uns der Tod
nicht rauben; ja, wir gewinnen es erst recht durch
ihn. Vom Verbrecher bleibt nichts u? brig als seine
Asche. Das Genie ist unsterblich, der Verbrecher
bloss unverga? nglich wie die anorganische Materie.
Der Mensch ist eine Zwitterbildung aus Geist und
Stoff. Die Entwicklung fu? hrt wieder eine Besonde-
rung der beiden Elemente herbei; das Genie wird
reiner Geist, der Verbrecher reiner Stoff. Der Ju? ngste
Tag ist der, an welchem die Besonderung in Geist
und Stoff vollsta? ndig durchgefu? hrt ist, an welchem
es keine Gescho? pfe mehr gibt, sondern nur noch
reinen Geist und reine Materie, Himmel und Ho? lle.
Den zwei Richtungen, die das Leben nehmen
kann, aufwa? rts zum Geiste und abwa? rts zur Materie,
entspricht Himmel und Ho? lle. Der Himmel wird
nach oben verlegt, weil man ihn, d. i. die Ver-
geistigung, durch Loslo? sung von der irdischen
Materie gewinnt; die Ho? lle nach unten, weil der
Gegensatz der Vergeistigung, die Verstofflichung,
gleichbedeutend ist mit Ru? ckkehr zur Erde. Das
? ? Generated for (University of Chicago) on 2014-08-19 08:37 GMT / http://hdl. handle. net/2027/njp. 32101068184017 Public Domain in the United States, Google-digitized / http://www. hathitrust. org/access_use#pd-us-google
? 92
Memento, homo, quia pulvis es et ad pulverem
reverteris ist eine ganz unzutreffende Mahnung.
Gedenke, o Mensch, dass du Geist bist und nicht
zur Erde zuru? ckkehrst, wenn der Geist in dir siegt!
Die zwei Entwicklungsrichtungen des Lebens
geben auch den Begriffen gut und bo? se ihren In-
halt. Der Geist und alles, was zu ihm fu? hrt, ist
gut, die Materie und alles, was zu ihr fu? hrt, ist
bo? se. Der ethischen Bewertung liegt nichts anderes
als eine Lebensbejahung zugrunde. Gut ist, was
zum intensivsten, dauerhaftesten, herrlichsten Leben
fu? hrt, zu dem des Geistes. In der Unterscheidung
von gut und bo? se kommt der Lebenswille der
Menschheit zum Ausdruck.
Nach all dem ist nun klar, warum die Sinnlich-
keit bo? se, warum sie ? des Teufels" ist: weil sie
nicht zum Leben, sondern zur Vernichtung fu? hrt.
Der Geschlechtstrieb ist gut, weil er Leben weckt,
weil er Leben erha? lt und in weiterer Folge zum
ho? chsten Leben, dem Geistesleben, fu? hrt. Die Sinn-
lichkeit dagegen materialisiert. Die Zeugungspro-
dukte des Sinnlichen sind wertlos; ihre Ru? ckkehr
zur blossen Materie ist von vornherein beschlossen.
Von den negativen Menschen wird die Sinnlichkeit
natu? rlich nicht negativ bewertet, denn sie streben
ja die Vernichtung an.
Die Erkenntnis, dass die Wertung des Geschlechts-
lebens von der Generationsstufe abha? ngt, entscheidet
? ? Generated for (University of Chicago) on 2014-08-19 08:37 GMT / http://hdl. handle. net/2027/njp. 32101068184017 Public Domain in the United States, Google-digitized / http://www. hathitrust. org/access_use#pd-us-google
? 93
auch die Frage, ob das Geschlecht, Mann oder
Weib, fu? r die positive oder negative Wertung mass-
gebend sei. Der Konflikt zwischen Geist und Sinn-
lichkeit ist keineswegs auf den Mann beschra? nkt.
Das Weib, welches die Sinnlichkeit misswertet, kopiert
nicht einfach den Mann. Es gibt fortpflanzungs-
bedu? rftige Ma? nner, welche das Geschlechtsleben
genau so bewerten wie die Mu? tter. Es gibt Va? ter,
denen man dasselbe nachru? hmen und nachsagen
kann wie den Mu? ttern. Und es gibt hochbegabte
Frauen -- Frauen, die ihre Begabung nicht dem
ma? nnlichen Einschlag verdanken --, welche die
Sinnlichkeit ebenso werten wie der geniale Mann.
Die Generation kann eben mit Mann oder Weib
abschliessen. Es gibt zwar keine weibliche Genialita? t
-- u? berall, wo Genialita? t ist, findet man Ma? nnliches --,
dafu? r aber eine nur dem Weibe eigentu?
