nde, die man besiegt,
man hasst die Widersta?
man hasst die Widersta?
Weininger - 1923 - Tod
usserte
Abneigung gegen das weibliche Geschlecht war
keineswegs prima? r. Wa? re sie das gewesen, so ha? tte
sich Weininger dabei wohl gefu? hlt.
Damit werden sich nun freilich, wie die Ver-
ha? ltnisse einmal liegen, viele nicht zufrieden geben.
Mit dem Pathologischen erkla? rt sichs so gut! So
schnell und so bequem. Fu? r zahlreiche Forscher ist
das Pathologische eine Art Hilfsgro? sse; sowie ihnen
etwas Ausserordentliches unterkommt, nehmen sie
an, dass da etwas nicht in Ordnung ist. Und damit
ist ihr intellektuelles Gewissen beruhigt. Kein Wunder,
dass sie von einer Annahme, die ihnen solche Dienste
leistet, nicht leicht ablassen. Mit diesen leicht-
fertigen Pathologen setze ich mich nicht weiter
auseinander.
Andere werden mir sagen: Es ist gar nicht not-
wendig, bei Weininger etwas Krankhaftes erst anzu-
nehmen. Ein Gefu? hlsleben, wie es sich in seinen
Schriften a? ussert, ist bereits krankhaft. Sie werden
? ? Generated for (University of Chicago) on 2014-08-19 08:37 GMT / http://hdl. handle. net/2027/njp. 32101068184017 Public Domain in the United States, Google-digitized / http://www. hathitrust. org/access_use#pd-us-google
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besonders auf den freiwilligen Tod als das sichere
Anzeichen einer krankhaften Anlage hinweisen. Zu
dieser Anschauung werde ich im folgenden mehr-
mals Stellung nehmen. Ich formuliere das Problem,
um das es sich hier handelt, einstweilen in mehreren
Fragen: Ist die Neigung zu Konflikten schon krank-
haft? Ist jemand, der sich leicht etwas zu Herzen
nimmt, krankhaft? Ist jemand, der sich u? ber Vorga? nge
Kopfzerbrechen macht, die bei anderen reflektorisch
ablaufen, krank? Ich ha? tte natu? rlich auch einfach
fragen ko? nnen, ob grosse Begabung fu? r sich allein
krankhaft sei. Alles was man bei Weininger an
seelischen Eigenheiten findet, ist mit jeder grossen
Begabung notwendig mitgegeben. Dass diese Eigen-
heiten zu einem so unseligen Ende fu? hrten, lag
nicht in ihnen selbst.
Einige werden sich zum Beweise von Weiningers
krankhafter Anlage vielleicht auf dessen eigenes
Zeugnis stu? tzen. Er hat tatsa? chlich solche Be-
merkungen gemacht. Herrschende Theorien fu? hren
eben nicht nur zu falschen Beobachtungen, sondern
auch zu falschen Selbstbeobachtungen. Weininger
kannte natu? rlich die moderne Literatur u? ber das
Pathologische beim Genie; er wusste auch, dass von
manchen besonders die Epilepsie in Zusammen-
hang mit dem genialen Schaffen gebracht wird. Und
richtig bekam er eines Tages auf offener Strasse
einen ? typischen epileptoiden Anfall". In Wirklich-
? ? Generated for (University of Chicago) on 2014-08-19 08:37 GMT / http://hdl. handle. net/2027/njp. 32101068184017 Public Domain in the United States, Google-digitized / http://www. hathitrust. org/access_use#pd-us-google
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keit war es nur ein geringfu? giger Schwindelanfall,
eine Folge seiner erzwungenen Enthaltsamkeit.
Weininger war urspru? nglich sicher weder krank
noch krankhaft. Ohne die Behauptungen anderer
wa? re es mir nie eingefallen, daru? ber auch nur ein
Wort zu verlieren.
Weininger hat aber auch keine schlechten Er-
fahrungen gemacht, wenn man darunter Kra? nkung,
Entta? uschung, Zuru? ckweisung einer ernstlichen
Herzensneigung versteht. Er ist kein Opfer unglu? ck-
licher Liebe. Eine aussichtslose innige Neigung
ha? tte ihn wie jeden bedeutenden Menschen nur
gefo? rdert. Der Ausgangspunkt fu? r die mannigfachen
Sto? rungen seines Fu? hlens und Denkens war viel-
mehr eine Triebsto? rung, die, wie ein Infektionskeim,
einen Seelenbezirk nach dem andern befiel und
schliesslich auch die Widerstandskraft des Organismus
brach. Der Anlass dieser Triebsto? rung ist ziemlich
gleichgu? ltig; ich wu? sste daru? ber auch nicht viel mehr
mitzuteilen, als jeder Seelenkundige aus Weiningers
Schriften mu? helos herauslesen kann. Ekel und Hass,
die darin allerorten zutage treten, sind zweifellos
die Folge einer gelegentlich veranlassten, am Ende
mit gro? sstem Rigorismus durchgefu? hrten Unter-
dru? ckung der Geschlechtsbegier.
Ich sage das nur, ich getraue mir das nur zu
sagen, weil ich daru? ber noch ganz andere Dinge
zu sagen habe, als viele, welche mit mir u? ber die
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Tatsache einig sind. Verdra? ngung, Unterdru? ckung
des Geschlechtlichen und die Anlage dazu ko? nnen
unmo? glich letzte Tatsachen sein. Sie mu? ssen eine
tiefe Bedeutung haben, die man natu? rlich nicht ihrer
Beschreibung entnehmen kann. Gerade eine Er-
scheinung wie Weininger verpflichtet zu ehrfurchts-
voller Vertiefung der Erkla? rungen. So schma? hlich
einfach, wie manchen ? der Fall" erscheint, kann er
nicht sein.
Die Seelenlehre verfu? gt heute noch gar nicht
u? ber die Begriffe, mit denen man Weiningers Zustand
kurz beschreiben ko? nnte und so bleibt nichts u? brig,
als sich solche eigens zu bilden. Weiningers Zu-
stand in der Zeit, da er am dritten Teil seines
Werkes schrieb, kann als eine Umkehrung des
Trieb- und Gefu? hlslebens bezeichnet werden. Die
freundliche Begierde ist durch die Unterdru? ckung
wild geworden; wie ein gefangenes Raubtier blickt
sie einem da und dort unheimlich entgegen. Die
natu? rliche Zuneigung ist in unbewusste Abneigung
oder bewusste Ablehnung verwandelt.
Die Leidenschaft hat auf einmal sozusagen ein
verkehrtes Vorzeichen. Parallel damit gehen Ver-
a? nderungen im Verstand: die Sinnlichkeit, von Wei-
ninger urspru? nglich ganz arglos antik bewertet, er-
scheint ihm auf einmal als etwas Su? ndhaftes, Schuld-
haftes, Teuflisches. Diese Misswertung erstreckt sich
alsbald auch auf das v/eibliche Geschlecht als den
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? 4t;
Gegenstand des sinnlichen Begehrens oder die Ver-
anlassung hiezu. Weiningers Weiberhass war im
Grunde genommen eine logische Konsequenz: er
hasste die Sinnlichkeit und darum das Weib als
Gegenstand und Anreiz zur Sinnlichkeit, als Ver-
ko? rperung der Su? nde. Daran war seine mangelhafte
Erfahrung schuld. Er ist nie denen begegnet, an
welchen er mit heiligem Staunen verwirklicht ge-
sehen ha? tte, was er selber vergeblich erstrebte; er
wusste nichts von den kampflos Reinen, in denen
der Geist nicht nach Herrschaft ringt, sondern sie
von Anbeginn anmutig ausu? bt.
Das Umschlagen der Liebe in Hass ist eine sehr
merkwu? rdige Erscheinung. Das Erste, was man dar-
u? ber sagen kann, ist, dass manche Menschen dazu
hinneigen, andere nicht. Es gibt welche, denen keine
Entta? uschung, keine Entbehrung etwas anhaben kann.
Alles, was sich ihrem Begehren feindselig entgegen-
stellt, dient nur dazu, es zu steigern. Der Druck
erzeugt nur einen um so gro? sseren Gegendruck.
Oder auch: sie reagieren auf Ka? lte durch Ver-
mehrung der inneren Wa? rme. Sie bleiben auf diese
Weise mit der Welt immer im Gleichgewicht. Solche
Menschen sind durch nichts zu verbittern, zu kra? nken,
zu verha? sslichen. Werden sie von Einer entta? uscht,
so lieben sie die Menschheit, werden sie von aller
Welt entta? uscht, so lieben sie Gott, aber sie lieben
in einem fort, unentwegt. Dieses Verhalten du? rfte
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die A? usserung ho? chster Lebenskraft sein. Die Liebe
ist das Leben. Sich die Liebe nicht rauben lassen,
heisst, nicht ums Leben zu bringen sein. Mit den
ho? chsten Graden des Lebens ist auch die gro? sste
Kraft der Selbsterhaltung verbunden.
Nun gibt es aber andere Menschen, bei denen
die bedra? ngte Leidenschaft anfangs wohl auch ge-
steigert wird, aber dann plo? tzlich ins Gegenteil um-
schla? gt. Das Begehren ha? lt den feindseligen Ma? chten
eine Weile stand, es ist ihnen mannhaft entgegen-
gerichtet, bis es auf einmal die Richtung des Wider-
standes annimmt, das heisst, vor ihm flieht. Die
zwei mechanischen Mo? glichkeiten, einen Widerstand
aufzuheben, gibt es auch im Leben: Man setzt ent-
weder dem Widerstand eine u? berlegene Kraft ent-
gegen oder man la? sst ihn durch Nachgiebigkeit
u? berhaupt nicht zur Geltung kommen. Aber das
Leben, welches jener im Kampf behauptet, ist
nicht dasselbe, welches dieser durch die Flucht
errettet. Man liebt die Widersta?
nde, die man besiegt,
man hasst die Widersta? nde, vor denen man zuru? ck-
weicht.
Zweifellos kommt es vor, dass auch ein Starker
durch u? berma? ssiges Leid bezwungen wird; aber im
allgemeinen wird man nicht fehlgehen, wenn man
die Menge der Verbitterten, Gekra? nkten, Missmutigen,
Vera? rgerten, dieses Heer von Lebensflu? chtlingen als
Lebensschwache ansieht. Sie sind die geschlagene
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Partei der Menschheit. Den Siegreichen flammt alle-
zeit das Zeichen der Liebe vom Auge.
Die Umkehr der Liebe in Hass ist immer gleich-
zeitig -- und darin liegt die Erkla? rung dieser Er-
scheinung eingeschlossen -- eine Abkehr vom Leben.
Der Menschenfeind ist immer auch ein Lebensfeind.
Es ist nicht mo? glich, dass ein Hassender das Le-
ben liebe.
Man kommt u? ber den Hass und den Hassenden
zu einer Reihe von Einsichten, wenn man das Leben
nicht, wie dies so ha? ufig geschieht, als ein Gut,
sondern als eine bestimmt gerichtete Bewegung oder
Ta? tigkeit auffasst. Nur mit einer Richtung, mit der
Vorwa? rts- und Aufwa? rtsbewegung, ist das Hoch-
gefu? hl des Lebens verbunden. Wird die Lebens-
richtung gea? ndert, so a? ndert sich auch das Lebens-
gefu? hl. Und ist das Leben, wie beim Fliehenden,
entgegengesetzt gerichtet, dann verwandelt sich auch
die Lebenslust in ihr gerades Gegenteil, in Lebens-
u? berdruss. Wer nicht liebt, mit dem geht es abwa? rts
und ru? ckwa? rts, und daraus erkla? ren sich alle seine
Zusta? nde und Handlungen.
Es liesse sich die Frage aufwerfen, ob die Kra? nk-
barkeit -- unter welcher Bezeichnung man alle Fa? lle
von Umkehrung zusammenfassen kann -- etwas
Krankhaftes ist. Ich glaube nicht. Denn Kinder und
Frauen sind leichter und schneller zu kra? nken als
der Mann. Sie schmollen und grollen auch gerne,
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lauter Begleiterscheinungen aufgegebenen Wider-
standes.
Ausser den zwei Typen, dem leicht und schwer
Kra? nkbaren, gibt es noch zwei, den lang und den
kurz Gekra? nkten. Es ha? ngt offenbar auch von der
Lebenskraft ab, wie lange jemand braucht, um sich,
wenn er schon u? berhaupt eine seelische Sto? rung
erleidet, davon zu erholen. Manche erholen sich von
einer schweren Kra? nkung in kurzer Zeit, andere
von einer leichten gar nie mehr. Manche bleiben
trotz aller Bitternisse, die ihnen widerfahren, die
Wonne ihrer Mitmenschen und andere behalten von
einem einzigen widrigen Erlebnis einen bitteren
Geschmack fu? r ihr ganzes u? briges Leben.
Ich lasse es dahingestellt, inwieweit diese Be-
trachtungen, die durch Weininger angeregt und
nicht auf ihn zugeschnitten sind, eine zutreffende
Beurteilung seines Zustandes enthalten. Nur das
eine sei ausdru? cklich festgestellt: Wenn Weininger
auch, seinem Charakter und Alter entsprechend,
leicht zu sto? ren war, so geho? rte er doch keineswegs
zu den Unheilbaren. Im Gegenteil liessen gerade
die stu? rmischen Erscheinungen, von denen die
Sto? rung begleitet war, auf einen raschen und gut-
artigen Verlauf hoffen. Auch du? rfte es zu den wesent-
lichen Eigenschaften eines begabten Menschen ge-
ho? ren, dass er von allem Leid ganz von selber wieder
vollkommen genest. Die Werke, die das Genie der
Swoboda, Otto Weiningers Tod. 4
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Welt gibt, sind -- dies gilt gerade von den besten
Werken -- Heilungsprotokolle. Das war nun aber
Weiningers tragisches Geschick: Er hatte sich durch
sein Buch die Mo? glichkeit der Heilung abgeschnitten.
Er durfte nicht mehr gesund werden. Dieses Herz
durfte nicht mehr seine fru? here Wa? rme zuru? ck-
erlangen. Der Unglu? ckselige, von dessen Herzlich-
keit sich die Leser seiner Schriften kaum eine Vor-
stellung machen, war durch sein Buch verdammt,
weiter zu hassen, krank zu bleiben. Das ertrug er
nicht und das ha? tten wohl auch wenig andere
ertragen.
U? ber Liebe und Hass lassen sich noch manche
Betrachtungen anstellen, die u? ber Weiningers Schick-
sal Licht verbreiten. Liebe und Hass geho? ren offenbar
ihrem Wesen nach zusammen. Sie sind eine und
dieselbe Macht, nur verschieden gerichtet. Man
gewinnt eine vollsta? ndige Beschreibung des Hasses,
wenn man vor alle Eigenschaften der Liebe ein
negatives Vorzeichen setzt.
Das Wesentliche an der Liebe ist ihr Zusammen-
hang mit dem Leben. Die Liebe belebt: Sie erweckt
den Liebenden zu neuem, ho? heren und sta? rkeren
Leben, sie belebt das geliebte Wesen, indem sie
dessen Leben mit allen Mitteln fo? rdert, sie hat
endlich den Zweck, neues Leben zu schaffen, aus
toter Materie Lebewesen aufzuerbauen. Deshalb
ist dem Liebenden das Leben so heilig; er ist ein
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Menschen- und Tierfreund. Deshalb ist der Liebende
gu? tig; denn gut sein 'heisst nichts anderes als Leben
fo? rdern, Leben erhalten. Jeder Liebende ist ein
Lebenszentrum, von dem Leben nach allen Rich-
tungen ausstrahlt. Der Hass to? tet. Es gibt keinen
anderen als to? dlichen Hass. Der Hass ist gegen das
Leben des Gehassten gerichtet, aber stets auch gegen
das eigene freudlose Leben und weiterhin gegen
alles Leben u? berhaupt, ja gegen alles was Spuren
von Leben aufweist, gegen alles Gestaltete. Der
Hassende ist ein Todeszentrum, von dem Vernich-
tung nach allen Seiten ausgeht. Liebe und Hass
werden von einem einzelnen Gegenstande angeregt,
regeln aber schliesslich das Verha? ltnis eines Menschen
zur gesamten Natur. Sie a? ussern sich in jeder Hand-
lung und an jedem Gegenstand. Der Liebende
schiebt einen Wurm zur Seite, um ihn nicht zu
to? ten; der Hassende verschma? ht auch solche kleine
Missetaten nicht, um seinen allgemeinen Zersto? rungs-
trieb zu befriedigen. Die Liebe ist Belebungstrieb,
der Hass Zersto? rungstrieb.
Von hier aus ero? ffnet sich eine Einsicht in das
Wesen des Verbrechens. Dem Verbrecher ist, wie
schon das Wort sagt, das Zersto? ren eigen, das
zwecklose Zersto? ren oder vielmehr das Zersto? ren als
Selbstzweck. Wie entsteht nun dieser negative Trieb,
sei's in einem Menschen, sei's mit einem Menschen?
Die Geschichte erza? hlt von einem Kavalier, der
4*
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wa? hrend der franzo? sischen Revolution seine Braut
durch die Guillotine verlor und daraufhin durch viele
Jahre an allen Kriegen in Europa, gleichgu? ltig auf
wessen Seite, teilnahm, und in den Schlachten
niedermordete, was ihm nur in den Weg kam. A? hn-
liches wird von einem vornehmen Bu? rger in Marseille
berichtet, der, gleichfalls durch die Revolution seiner
Geliebten beraubt, bis an das Ende seines Lebens
Angeho? rige der Revolutionspartei zu Duellen heraus-
forderte, bei denen er als geu? bter und tollku? hner,
das heisst gegen das eigene Leben vo? llig gleich-
gu? ltiger Fechter, regelma? ssig Sieger blieb. So werden
alle Verbrecher, die es nicht von Geburt sind. Die
Meinung, dass es sich in diesen Fa? llen um einen
Akt der Rache handelte, ist irrig; die Rache be-
zweckt Befreiung von einem qua? lenden Gefu? hle;
durch die Rache will jemand genesen und wieder
der brauchbare Mensch werden, der er fru? her war.
Bei den zweien aber war alles Sinnen und Trachten
andauernd auf Zersto? rung gerichtet; ihr Handeln
verfolgte keinen Heilungszweck, sondern war ein
Ausfluss ihrer negativen Willensrichtung.
Dass Verschma? hte der Geliebten nach dem Leben
trachten, ist ein ganz gewo? hnlicher und leicht ver-
sta? ndlicher Fall. Aber nicht nur Mord an der Ge-
liebten, sondern auch Mord an irgend einem un-
beteiligten Dritten, ferner Sachbescha? digung, wie
z. B. Brandlegung, kann die Folge gehemmter und
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ins Gegenteil verwandelter Liebesleidenschaft sein.
So verschieden auch Mord und Sachbescha? digung
von unserem Gefu?
Abneigung gegen das weibliche Geschlecht war
keineswegs prima? r. Wa? re sie das gewesen, so ha? tte
sich Weininger dabei wohl gefu? hlt.
Damit werden sich nun freilich, wie die Ver-
ha? ltnisse einmal liegen, viele nicht zufrieden geben.
Mit dem Pathologischen erkla? rt sichs so gut! So
schnell und so bequem. Fu? r zahlreiche Forscher ist
das Pathologische eine Art Hilfsgro? sse; sowie ihnen
etwas Ausserordentliches unterkommt, nehmen sie
an, dass da etwas nicht in Ordnung ist. Und damit
ist ihr intellektuelles Gewissen beruhigt. Kein Wunder,
dass sie von einer Annahme, die ihnen solche Dienste
leistet, nicht leicht ablassen. Mit diesen leicht-
fertigen Pathologen setze ich mich nicht weiter
auseinander.
Andere werden mir sagen: Es ist gar nicht not-
wendig, bei Weininger etwas Krankhaftes erst anzu-
nehmen. Ein Gefu? hlsleben, wie es sich in seinen
Schriften a? ussert, ist bereits krankhaft. Sie werden
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besonders auf den freiwilligen Tod als das sichere
Anzeichen einer krankhaften Anlage hinweisen. Zu
dieser Anschauung werde ich im folgenden mehr-
mals Stellung nehmen. Ich formuliere das Problem,
um das es sich hier handelt, einstweilen in mehreren
Fragen: Ist die Neigung zu Konflikten schon krank-
haft? Ist jemand, der sich leicht etwas zu Herzen
nimmt, krankhaft? Ist jemand, der sich u? ber Vorga? nge
Kopfzerbrechen macht, die bei anderen reflektorisch
ablaufen, krank? Ich ha? tte natu? rlich auch einfach
fragen ko? nnen, ob grosse Begabung fu? r sich allein
krankhaft sei. Alles was man bei Weininger an
seelischen Eigenheiten findet, ist mit jeder grossen
Begabung notwendig mitgegeben. Dass diese Eigen-
heiten zu einem so unseligen Ende fu? hrten, lag
nicht in ihnen selbst.
Einige werden sich zum Beweise von Weiningers
krankhafter Anlage vielleicht auf dessen eigenes
Zeugnis stu? tzen. Er hat tatsa? chlich solche Be-
merkungen gemacht. Herrschende Theorien fu? hren
eben nicht nur zu falschen Beobachtungen, sondern
auch zu falschen Selbstbeobachtungen. Weininger
kannte natu? rlich die moderne Literatur u? ber das
Pathologische beim Genie; er wusste auch, dass von
manchen besonders die Epilepsie in Zusammen-
hang mit dem genialen Schaffen gebracht wird. Und
richtig bekam er eines Tages auf offener Strasse
einen ? typischen epileptoiden Anfall". In Wirklich-
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keit war es nur ein geringfu? giger Schwindelanfall,
eine Folge seiner erzwungenen Enthaltsamkeit.
Weininger war urspru? nglich sicher weder krank
noch krankhaft. Ohne die Behauptungen anderer
wa? re es mir nie eingefallen, daru? ber auch nur ein
Wort zu verlieren.
Weininger hat aber auch keine schlechten Er-
fahrungen gemacht, wenn man darunter Kra? nkung,
Entta? uschung, Zuru? ckweisung einer ernstlichen
Herzensneigung versteht. Er ist kein Opfer unglu? ck-
licher Liebe. Eine aussichtslose innige Neigung
ha? tte ihn wie jeden bedeutenden Menschen nur
gefo? rdert. Der Ausgangspunkt fu? r die mannigfachen
Sto? rungen seines Fu? hlens und Denkens war viel-
mehr eine Triebsto? rung, die, wie ein Infektionskeim,
einen Seelenbezirk nach dem andern befiel und
schliesslich auch die Widerstandskraft des Organismus
brach. Der Anlass dieser Triebsto? rung ist ziemlich
gleichgu? ltig; ich wu? sste daru? ber auch nicht viel mehr
mitzuteilen, als jeder Seelenkundige aus Weiningers
Schriften mu? helos herauslesen kann. Ekel und Hass,
die darin allerorten zutage treten, sind zweifellos
die Folge einer gelegentlich veranlassten, am Ende
mit gro? sstem Rigorismus durchgefu? hrten Unter-
dru? ckung der Geschlechtsbegier.
Ich sage das nur, ich getraue mir das nur zu
sagen, weil ich daru? ber noch ganz andere Dinge
zu sagen habe, als viele, welche mit mir u? ber die
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Tatsache einig sind. Verdra? ngung, Unterdru? ckung
des Geschlechtlichen und die Anlage dazu ko? nnen
unmo? glich letzte Tatsachen sein. Sie mu? ssen eine
tiefe Bedeutung haben, die man natu? rlich nicht ihrer
Beschreibung entnehmen kann. Gerade eine Er-
scheinung wie Weininger verpflichtet zu ehrfurchts-
voller Vertiefung der Erkla? rungen. So schma? hlich
einfach, wie manchen ? der Fall" erscheint, kann er
nicht sein.
Die Seelenlehre verfu? gt heute noch gar nicht
u? ber die Begriffe, mit denen man Weiningers Zustand
kurz beschreiben ko? nnte und so bleibt nichts u? brig,
als sich solche eigens zu bilden. Weiningers Zu-
stand in der Zeit, da er am dritten Teil seines
Werkes schrieb, kann als eine Umkehrung des
Trieb- und Gefu? hlslebens bezeichnet werden. Die
freundliche Begierde ist durch die Unterdru? ckung
wild geworden; wie ein gefangenes Raubtier blickt
sie einem da und dort unheimlich entgegen. Die
natu? rliche Zuneigung ist in unbewusste Abneigung
oder bewusste Ablehnung verwandelt.
Die Leidenschaft hat auf einmal sozusagen ein
verkehrtes Vorzeichen. Parallel damit gehen Ver-
a? nderungen im Verstand: die Sinnlichkeit, von Wei-
ninger urspru? nglich ganz arglos antik bewertet, er-
scheint ihm auf einmal als etwas Su? ndhaftes, Schuld-
haftes, Teuflisches. Diese Misswertung erstreckt sich
alsbald auch auf das v/eibliche Geschlecht als den
? ? Generated for (University of Chicago) on 2014-08-19 08:37 GMT / http://hdl. handle. net/2027/njp. 32101068184017 Public Domain in the United States, Google-digitized / http://www. hathitrust. org/access_use#pd-us-google
? 4t;
Gegenstand des sinnlichen Begehrens oder die Ver-
anlassung hiezu. Weiningers Weiberhass war im
Grunde genommen eine logische Konsequenz: er
hasste die Sinnlichkeit und darum das Weib als
Gegenstand und Anreiz zur Sinnlichkeit, als Ver-
ko? rperung der Su? nde. Daran war seine mangelhafte
Erfahrung schuld. Er ist nie denen begegnet, an
welchen er mit heiligem Staunen verwirklicht ge-
sehen ha? tte, was er selber vergeblich erstrebte; er
wusste nichts von den kampflos Reinen, in denen
der Geist nicht nach Herrschaft ringt, sondern sie
von Anbeginn anmutig ausu? bt.
Das Umschlagen der Liebe in Hass ist eine sehr
merkwu? rdige Erscheinung. Das Erste, was man dar-
u? ber sagen kann, ist, dass manche Menschen dazu
hinneigen, andere nicht. Es gibt welche, denen keine
Entta? uschung, keine Entbehrung etwas anhaben kann.
Alles, was sich ihrem Begehren feindselig entgegen-
stellt, dient nur dazu, es zu steigern. Der Druck
erzeugt nur einen um so gro? sseren Gegendruck.
Oder auch: sie reagieren auf Ka? lte durch Ver-
mehrung der inneren Wa? rme. Sie bleiben auf diese
Weise mit der Welt immer im Gleichgewicht. Solche
Menschen sind durch nichts zu verbittern, zu kra? nken,
zu verha? sslichen. Werden sie von Einer entta? uscht,
so lieben sie die Menschheit, werden sie von aller
Welt entta? uscht, so lieben sie Gott, aber sie lieben
in einem fort, unentwegt. Dieses Verhalten du? rfte
? ? Generated for (University of Chicago) on 2014-08-19 08:37 GMT / http://hdl. handle. net/2027/njp. 32101068184017 Public Domain in the United States, Google-digitized / http://www. hathitrust. org/access_use#pd-us-google
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die A? usserung ho? chster Lebenskraft sein. Die Liebe
ist das Leben. Sich die Liebe nicht rauben lassen,
heisst, nicht ums Leben zu bringen sein. Mit den
ho? chsten Graden des Lebens ist auch die gro? sste
Kraft der Selbsterhaltung verbunden.
Nun gibt es aber andere Menschen, bei denen
die bedra? ngte Leidenschaft anfangs wohl auch ge-
steigert wird, aber dann plo? tzlich ins Gegenteil um-
schla? gt. Das Begehren ha? lt den feindseligen Ma? chten
eine Weile stand, es ist ihnen mannhaft entgegen-
gerichtet, bis es auf einmal die Richtung des Wider-
standes annimmt, das heisst, vor ihm flieht. Die
zwei mechanischen Mo? glichkeiten, einen Widerstand
aufzuheben, gibt es auch im Leben: Man setzt ent-
weder dem Widerstand eine u? berlegene Kraft ent-
gegen oder man la? sst ihn durch Nachgiebigkeit
u? berhaupt nicht zur Geltung kommen. Aber das
Leben, welches jener im Kampf behauptet, ist
nicht dasselbe, welches dieser durch die Flucht
errettet. Man liebt die Widersta?
nde, die man besiegt,
man hasst die Widersta? nde, vor denen man zuru? ck-
weicht.
Zweifellos kommt es vor, dass auch ein Starker
durch u? berma? ssiges Leid bezwungen wird; aber im
allgemeinen wird man nicht fehlgehen, wenn man
die Menge der Verbitterten, Gekra? nkten, Missmutigen,
Vera? rgerten, dieses Heer von Lebensflu? chtlingen als
Lebensschwache ansieht. Sie sind die geschlagene
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Partei der Menschheit. Den Siegreichen flammt alle-
zeit das Zeichen der Liebe vom Auge.
Die Umkehr der Liebe in Hass ist immer gleich-
zeitig -- und darin liegt die Erkla? rung dieser Er-
scheinung eingeschlossen -- eine Abkehr vom Leben.
Der Menschenfeind ist immer auch ein Lebensfeind.
Es ist nicht mo? glich, dass ein Hassender das Le-
ben liebe.
Man kommt u? ber den Hass und den Hassenden
zu einer Reihe von Einsichten, wenn man das Leben
nicht, wie dies so ha? ufig geschieht, als ein Gut,
sondern als eine bestimmt gerichtete Bewegung oder
Ta? tigkeit auffasst. Nur mit einer Richtung, mit der
Vorwa? rts- und Aufwa? rtsbewegung, ist das Hoch-
gefu? hl des Lebens verbunden. Wird die Lebens-
richtung gea? ndert, so a? ndert sich auch das Lebens-
gefu? hl. Und ist das Leben, wie beim Fliehenden,
entgegengesetzt gerichtet, dann verwandelt sich auch
die Lebenslust in ihr gerades Gegenteil, in Lebens-
u? berdruss. Wer nicht liebt, mit dem geht es abwa? rts
und ru? ckwa? rts, und daraus erkla? ren sich alle seine
Zusta? nde und Handlungen.
Es liesse sich die Frage aufwerfen, ob die Kra? nk-
barkeit -- unter welcher Bezeichnung man alle Fa? lle
von Umkehrung zusammenfassen kann -- etwas
Krankhaftes ist. Ich glaube nicht. Denn Kinder und
Frauen sind leichter und schneller zu kra? nken als
der Mann. Sie schmollen und grollen auch gerne,
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lauter Begleiterscheinungen aufgegebenen Wider-
standes.
Ausser den zwei Typen, dem leicht und schwer
Kra? nkbaren, gibt es noch zwei, den lang und den
kurz Gekra? nkten. Es ha? ngt offenbar auch von der
Lebenskraft ab, wie lange jemand braucht, um sich,
wenn er schon u? berhaupt eine seelische Sto? rung
erleidet, davon zu erholen. Manche erholen sich von
einer schweren Kra? nkung in kurzer Zeit, andere
von einer leichten gar nie mehr. Manche bleiben
trotz aller Bitternisse, die ihnen widerfahren, die
Wonne ihrer Mitmenschen und andere behalten von
einem einzigen widrigen Erlebnis einen bitteren
Geschmack fu? r ihr ganzes u? briges Leben.
Ich lasse es dahingestellt, inwieweit diese Be-
trachtungen, die durch Weininger angeregt und
nicht auf ihn zugeschnitten sind, eine zutreffende
Beurteilung seines Zustandes enthalten. Nur das
eine sei ausdru? cklich festgestellt: Wenn Weininger
auch, seinem Charakter und Alter entsprechend,
leicht zu sto? ren war, so geho? rte er doch keineswegs
zu den Unheilbaren. Im Gegenteil liessen gerade
die stu? rmischen Erscheinungen, von denen die
Sto? rung begleitet war, auf einen raschen und gut-
artigen Verlauf hoffen. Auch du? rfte es zu den wesent-
lichen Eigenschaften eines begabten Menschen ge-
ho? ren, dass er von allem Leid ganz von selber wieder
vollkommen genest. Die Werke, die das Genie der
Swoboda, Otto Weiningers Tod. 4
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Welt gibt, sind -- dies gilt gerade von den besten
Werken -- Heilungsprotokolle. Das war nun aber
Weiningers tragisches Geschick: Er hatte sich durch
sein Buch die Mo? glichkeit der Heilung abgeschnitten.
Er durfte nicht mehr gesund werden. Dieses Herz
durfte nicht mehr seine fru? here Wa? rme zuru? ck-
erlangen. Der Unglu? ckselige, von dessen Herzlich-
keit sich die Leser seiner Schriften kaum eine Vor-
stellung machen, war durch sein Buch verdammt,
weiter zu hassen, krank zu bleiben. Das ertrug er
nicht und das ha? tten wohl auch wenig andere
ertragen.
U? ber Liebe und Hass lassen sich noch manche
Betrachtungen anstellen, die u? ber Weiningers Schick-
sal Licht verbreiten. Liebe und Hass geho? ren offenbar
ihrem Wesen nach zusammen. Sie sind eine und
dieselbe Macht, nur verschieden gerichtet. Man
gewinnt eine vollsta? ndige Beschreibung des Hasses,
wenn man vor alle Eigenschaften der Liebe ein
negatives Vorzeichen setzt.
Das Wesentliche an der Liebe ist ihr Zusammen-
hang mit dem Leben. Die Liebe belebt: Sie erweckt
den Liebenden zu neuem, ho? heren und sta? rkeren
Leben, sie belebt das geliebte Wesen, indem sie
dessen Leben mit allen Mitteln fo? rdert, sie hat
endlich den Zweck, neues Leben zu schaffen, aus
toter Materie Lebewesen aufzuerbauen. Deshalb
ist dem Liebenden das Leben so heilig; er ist ein
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Menschen- und Tierfreund. Deshalb ist der Liebende
gu? tig; denn gut sein 'heisst nichts anderes als Leben
fo? rdern, Leben erhalten. Jeder Liebende ist ein
Lebenszentrum, von dem Leben nach allen Rich-
tungen ausstrahlt. Der Hass to? tet. Es gibt keinen
anderen als to? dlichen Hass. Der Hass ist gegen das
Leben des Gehassten gerichtet, aber stets auch gegen
das eigene freudlose Leben und weiterhin gegen
alles Leben u? berhaupt, ja gegen alles was Spuren
von Leben aufweist, gegen alles Gestaltete. Der
Hassende ist ein Todeszentrum, von dem Vernich-
tung nach allen Seiten ausgeht. Liebe und Hass
werden von einem einzelnen Gegenstande angeregt,
regeln aber schliesslich das Verha? ltnis eines Menschen
zur gesamten Natur. Sie a? ussern sich in jeder Hand-
lung und an jedem Gegenstand. Der Liebende
schiebt einen Wurm zur Seite, um ihn nicht zu
to? ten; der Hassende verschma? ht auch solche kleine
Missetaten nicht, um seinen allgemeinen Zersto? rungs-
trieb zu befriedigen. Die Liebe ist Belebungstrieb,
der Hass Zersto? rungstrieb.
Von hier aus ero? ffnet sich eine Einsicht in das
Wesen des Verbrechens. Dem Verbrecher ist, wie
schon das Wort sagt, das Zersto? ren eigen, das
zwecklose Zersto? ren oder vielmehr das Zersto? ren als
Selbstzweck. Wie entsteht nun dieser negative Trieb,
sei's in einem Menschen, sei's mit einem Menschen?
Die Geschichte erza? hlt von einem Kavalier, der
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wa? hrend der franzo? sischen Revolution seine Braut
durch die Guillotine verlor und daraufhin durch viele
Jahre an allen Kriegen in Europa, gleichgu? ltig auf
wessen Seite, teilnahm, und in den Schlachten
niedermordete, was ihm nur in den Weg kam. A? hn-
liches wird von einem vornehmen Bu? rger in Marseille
berichtet, der, gleichfalls durch die Revolution seiner
Geliebten beraubt, bis an das Ende seines Lebens
Angeho? rige der Revolutionspartei zu Duellen heraus-
forderte, bei denen er als geu? bter und tollku? hner,
das heisst gegen das eigene Leben vo? llig gleich-
gu? ltiger Fechter, regelma? ssig Sieger blieb. So werden
alle Verbrecher, die es nicht von Geburt sind. Die
Meinung, dass es sich in diesen Fa? llen um einen
Akt der Rache handelte, ist irrig; die Rache be-
zweckt Befreiung von einem qua? lenden Gefu? hle;
durch die Rache will jemand genesen und wieder
der brauchbare Mensch werden, der er fru? her war.
Bei den zweien aber war alles Sinnen und Trachten
andauernd auf Zersto? rung gerichtet; ihr Handeln
verfolgte keinen Heilungszweck, sondern war ein
Ausfluss ihrer negativen Willensrichtung.
Dass Verschma? hte der Geliebten nach dem Leben
trachten, ist ein ganz gewo? hnlicher und leicht ver-
sta? ndlicher Fall. Aber nicht nur Mord an der Ge-
liebten, sondern auch Mord an irgend einem un-
beteiligten Dritten, ferner Sachbescha? digung, wie
z. B. Brandlegung, kann die Folge gehemmter und
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ins Gegenteil verwandelter Liebesleidenschaft sein.
So verschieden auch Mord und Sachbescha? digung
von unserem Gefu?
