sse; sowie ihnen
etwas Ausserordentliches unterkommt, nehmen sie
an, dass da etwas nicht in Ordnung ist.
etwas Ausserordentliches unterkommt, nehmen sie
an, dass da etwas nicht in Ordnung ist.
Weininger - 1923 - Tod
nstliches
inneres Gleichgewicht her und hilft auf diese Weise
u? ber einen sonst unertra? glichen Zustand hinweg.
Sie ho? rt auch wieder von selber auf, wenn sie nicht
mehr notwendig ist. Wa? re Weininger die ihn be-
dru? ckenden Gefu? hle eines Tages auf normalem Wege
los geworden, so ha? tte er auf einmal den ganzen
Trug, in den er sich eingesponnen, durchschaut.
Mit der Freiheit des Gemu? tes kehrt die volle Herr-
schaft u? ber die Gedanken von selber wieder.
Da die Selbstta? uschung einen biologischen Wert
hat, ist jemand, der darin befangen ist, nur sehr
schwer zu bekehren. Von der Bekehrung hat er
ja gar nichts, wenigstens nicht in dem Augenblick,
da man ihn bekehren will, von der Ta? uschung
hingegen hat er nicht mehr und nicht weniger als
das Leben. Eine grobe Selbstta? uschung ist unter
Umsta? nden die einzige Mo? glichkeit, am Leben zu
bleiben. Vergebliche Mu? he ist es, jemandem in
solchem Zustande mit Gru? nden beikommen zu wollen.
Seine Meinung wird ja auch nicht von Gru? nden ge-
halten, sondern von Gefu? hlen, die sich wohl hu? ten,
offen hervorzutreten. Diskussionen sind unter solchen
? ? Generated for (University of Chicago) on 2014-08-19 08:37 GMT / http://hdl. handle. net/2027/njp. 32101068184017 Public Domain in the United States, Google-digitized / http://www. hathitrust. org/access_use#pd-us-google
? 38
Umsta? nden ebenso resultatlos wie die Beschiessung
einer fingierten Batterie. Ich habe das erlebt. Als
Aussenstehender hatte ich es natu? rlich sehr leicht,
den Sachverhalt zu durchschauen; man ko? nnte be-
schra? nkt sein und wu? rde doch noch viel klarer sehen
als ein Befangener. Aber ich habe mich vergeblich
bemu? ht, Weininger von der vo? lligen Unhaltbarkeit
vieler Partien, namentlich auch des Kapitels u? ber
das Judentum, zu u? berzeugen. Es war ihm nicht
ein Satz abzuringen. Buchsta? blich bis zum letzten
Augenblick vor der Drucklegung wollte ich ihn zur
Zuru? cknahme dieses und jenes Teiles bewegen; er
ho? rte mich ruhig an, schien ganz u? berzeugt von
meinen Argumenten, unter denen auch die psycho-
logische Analyse nicht fehlte, aber er a? nderte nicht
das Geringste. Er hing eben gerade an den un-
haltbarsten Einfa? llen mit seinem Herzen. Sie hatten
ihm einen ungeheuren Dienst geleistet, den er ihnen
nicht vergass. Ich glaube, es war wirklich die Dank-
barkeit, welche ihn so fest an seine Eingebungen
band. Aber er verwechselte den Wert, welchen sie
fu? r ihn hatten, mit ihrem objektiven Wert. Der
Dankbare neigt immer zur U? berscha? tzung. --
Die bisherige Untersuchung u? ber die Entstehung
von ? Geschlecht und Charakter" hat folgendes er-
geben: Das Werk beginnt mit einem naturwissen-
schaftlichen Teil und geht dann in einen philo-
sophischen u? ber, die beide an echten Erkenntnissen,
? ? Generated for (University of Chicago) on 2014-08-19 08:37 GMT / http://hdl. handle. net/2027/njp. 32101068184017 Public Domain in the United States, Google-digitized / http://www. hathitrust. org/access_use#pd-us-google
? 39
an genial erschauten Wahrheiten, reich sind. Daneben
aber findet man, schon in diesen ersten Teilen, viele,
an ihrem pra? tentio? sen Auftreten leicht erkenntliche
falsche Meinungen, welche auf die eben zuvor ge-
schilderte Art zustande gekommen sind.
Zuerst forschte und dachte Weininger ganz vor-
urteilslos; bis sich auf einmal eine bestimmte Mei-
nung u? ber M und W in ihm festsetzte; in ihm
durch einen Affekt fixiert wurde, in der Sprache
der neueren Seelenforschung. Er hatte auf einmal
ein Interesse, natu? rlich kein intellektuelles, dass M
und W gerade so und nicht anders seien. Und nun
zog er, ganz einseitig, nur mehr das an sich, was
seine feste Meinung na? hrte. So kam es zu dieser
fortgesetzten unseligen Aufteilung aller Gu? ter des
Himmels und der Erde unter M und W.
Auch so ko? nnte man die Wandlung, die sich
in Weininger vollzog, charaktersieren: Zuerst hatten
ihm seine Gedanken an sich Wert; spa? ter nur, wann
und inwieweit er sie verwerten konnte. Sie mussten
bestimmten Anforderungen genu? gen und Dienste
tun. Eine derartige Verwertung von Gedanken ist
eine intellektuelle Su? nde, fu? r die Weininger keines-
wegs das Feingefu? hl fehlte.
Obwohl nun noch der dritte, in vieler Hinsicht
wichtigste Teil von ? Geschlecht und Charakter"
einer eingehenden Besprechung bedarf, ist es doch
schon an dieser Stelle auf Grund der voraus-
? ? Generated for (University of Chicago) on 2014-08-19 08:37 GMT / http://hdl. handle. net/2027/njp. 32101068184017 Public Domain in the United States, Google-digitized / http://www. hathitrust. org/access_use#pd-us-google
? 40
gegangenen Analysen mo? glich, u? ber Weiningers
Werk im grossen und ganzen ein Urteil zu fa? llen.
Sein reicher Gehalt an wirklichen Einsichten ist
schon o? fters hervorgehoben worden. Es ist aber nicht
einheitlich; und damit ist nicht etwa ein formelles
Gebrechen bema? ngelt. Die durchga? ngige Einheitlich-
keit ist vielmehr, wie fru? her dargelegt wurde, eine
naturgema? sse Folge der organischen Entstehung. Da
diese nun Voraussetzung fu? r den Wahrheitsgehalt
eines Werkes ist, so ist auch die Einheit eines Werkes
ein verla? ssliches Kennzeichen seines Wertes.
Weiningers Werk hat einen doppelten Ursprung:
Einen Gedanken und ein Gefu? hl. Es ist zum Teil
aus einem Grundgedanken hervorgewachsen, zum
Teil von einem Gefu? hl eingegeben. Es hat, wie man
auch sagen ko? nnte, einen Leitgedanken und ein
Leitgefu? hl. Aber nur zur einen Ha? lfte hat es in-
folgedessen Anspruch, als Denkwerk aufgenommen
zu werden; zur andern Ha? lfte ist es, seiner Ent-
stehung nach, eigentlich ein Kunstwerk. In Weininger
waren eben verschiedene Gaben vereint; er war ein
Genie, aber er besass auch, vielleicht in noch ho? herem
Masse, Phantasie und Witz.
Ich habe die zwei Entstehungsarten von Ge-
danken deswegen so eingehend besprochen, weil es
ohne die eingefu? hrte Unterscheidung nicht mo? glich
ist, den dritten Teil von ? Geschlecht und Charakter",
den antifeministischen, zu verstehen, der eben wegen
? ? Generated for (University of Chicago) on 2014-08-19 08:37 GMT / http://hdl. handle. net/2027/njp. 32101068184017 Public Domain in the United States, Google-digitized / http://www. hathitrust. org/access_use#pd-us-google
? 41
des herrschenden Unversta? ndnisses von den einen
so blind bewundert, von den anderen so blindwu? tig
beka? mpft wird. Ich wende mich nun der Betrachtung
dieses wahrhaft unseligen Teiles zu.
Weininger selbst hat freilich, wenn wir darauf zu
sprechen kamen, lebhaft bestritten, dass es in seinem
Buche neben dem naturwissenschaftlichen und philo-
sophischen noch einen Teil gebe. Allein, abgesehen
von allem anderen, ist schon die dreifache Schreibart
beweisend: Das Buch hat einen gemu? tlichen, einen
ernsten und einen geha? ssigen Teil. Die mehrmalige
U? berarbeitung hat zwar ausgleichend gewirkt, die
Dreiteilung ist aber trotzdem noch sehr leicht zu
erkennen. Dieser dritte Teil nun, dem das Buch
nicht die Wirkung, wohl aber den Erfolg verdankt,
kann unmo? glich mit Wissenschaft oder mit Philo-
sophie etwas zu tun haben. Forschen und Denken
sind die liebenswu? rdigsten Bescha? ftigungen von der
Welt. Das einzige Gefu? hl, welches daneben Berech-
tigung hat, ist die Begeisterung; die freudige Be-
geisterung, welche sich immer einstellt, wenn man
dem Absoluten na? her kommt.
Wie ist nun dieser antifeministische Teil von
? Geschlecht und Charakter" entstanden? Es haben
sich hieru? ber zwei Meinungen gebildet. Das Laien-
publikum meint, Weininger mu? sse ? sehr schlechte
Erfahrungen" gemacht haben, die Fachkreise neigen
zur Annahme abnormen Fu? hlens. Ich schicke der
? ? Generated for (University of Chicago) on 2014-08-19 08:37 GMT / http://hdl. handle. net/2027/njp. 32101068184017 Public Domain in the United States, Google-digitized / http://www. hathitrust. org/access_use#pd-us-google
? 42
genaueren Darlegung voraus, dass beide Meinungen
gleich falsch sind.
Ich habe an Weininger nicht die leiseste Spur
einer abnormen Gefu? hlsrichtung wahrgenommen und
ich ha? tte bei unserem vertrauten Umgang davon
etwas merken mu? ssen; ich kann im Gegenteil be-
zeugen, dass Weininger so normal veranlagt war, als
man es nur u? berhaupt von einem Genie erwarten
kann. Die in ? Geschlecht und Charakter" gea? usserte
Abneigung gegen das weibliche Geschlecht war
keineswegs prima? r. Wa? re sie das gewesen, so ha? tte
sich Weininger dabei wohl gefu? hlt.
Damit werden sich nun freilich, wie die Ver-
ha? ltnisse einmal liegen, viele nicht zufrieden geben.
Mit dem Pathologischen erkla? rt sichs so gut! So
schnell und so bequem. Fu? r zahlreiche Forscher ist
das Pathologische eine Art Hilfsgro?
sse; sowie ihnen
etwas Ausserordentliches unterkommt, nehmen sie
an, dass da etwas nicht in Ordnung ist. Und damit
ist ihr intellektuelles Gewissen beruhigt. Kein Wunder,
dass sie von einer Annahme, die ihnen solche Dienste
leistet, nicht leicht ablassen. Mit diesen leicht-
fertigen Pathologen setze ich mich nicht weiter
auseinander.
Andere werden mir sagen: Es ist gar nicht not-
wendig, bei Weininger etwas Krankhaftes erst anzu-
nehmen. Ein Gefu? hlsleben, wie es sich in seinen
Schriften a? ussert, ist bereits krankhaft. Sie werden
? ? Generated for (University of Chicago) on 2014-08-19 08:37 GMT / http://hdl. handle. net/2027/njp. 32101068184017 Public Domain in the United States, Google-digitized / http://www. hathitrust. org/access_use#pd-us-google
? 43
besonders auf den freiwilligen Tod als das sichere
Anzeichen einer krankhaften Anlage hinweisen. Zu
dieser Anschauung werde ich im folgenden mehr-
mals Stellung nehmen. Ich formuliere das Problem,
um das es sich hier handelt, einstweilen in mehreren
Fragen: Ist die Neigung zu Konflikten schon krank-
haft? Ist jemand, der sich leicht etwas zu Herzen
nimmt, krankhaft? Ist jemand, der sich u? ber Vorga? nge
Kopfzerbrechen macht, die bei anderen reflektorisch
ablaufen, krank? Ich ha? tte natu? rlich auch einfach
fragen ko? nnen, ob grosse Begabung fu? r sich allein
krankhaft sei. Alles was man bei Weininger an
seelischen Eigenheiten findet, ist mit jeder grossen
Begabung notwendig mitgegeben. Dass diese Eigen-
heiten zu einem so unseligen Ende fu? hrten, lag
nicht in ihnen selbst.
Einige werden sich zum Beweise von Weiningers
krankhafter Anlage vielleicht auf dessen eigenes
Zeugnis stu? tzen. Er hat tatsa? chlich solche Be-
merkungen gemacht. Herrschende Theorien fu? hren
eben nicht nur zu falschen Beobachtungen, sondern
auch zu falschen Selbstbeobachtungen. Weininger
kannte natu? rlich die moderne Literatur u? ber das
Pathologische beim Genie; er wusste auch, dass von
manchen besonders die Epilepsie in Zusammen-
hang mit dem genialen Schaffen gebracht wird. Und
richtig bekam er eines Tages auf offener Strasse
einen ? typischen epileptoiden Anfall". In Wirklich-
? ? Generated for (University of Chicago) on 2014-08-19 08:37 GMT / http://hdl. handle. net/2027/njp. 32101068184017 Public Domain in the United States, Google-digitized / http://www. hathitrust. org/access_use#pd-us-google
? 44
keit war es nur ein geringfu? giger Schwindelanfall,
eine Folge seiner erzwungenen Enthaltsamkeit.
Weininger war urspru? nglich sicher weder krank
noch krankhaft. Ohne die Behauptungen anderer
wa? re es mir nie eingefallen, daru? ber auch nur ein
Wort zu verlieren.
Weininger hat aber auch keine schlechten Er-
fahrungen gemacht, wenn man darunter Kra? nkung,
Entta? uschung, Zuru? ckweisung einer ernstlichen
Herzensneigung versteht. Er ist kein Opfer unglu? ck-
licher Liebe. Eine aussichtslose innige Neigung
ha? tte ihn wie jeden bedeutenden Menschen nur
gefo? rdert. Der Ausgangspunkt fu? r die mannigfachen
Sto? rungen seines Fu? hlens und Denkens war viel-
mehr eine Triebsto? rung, die, wie ein Infektionskeim,
einen Seelenbezirk nach dem andern befiel und
schliesslich auch die Widerstandskraft des Organismus
brach. Der Anlass dieser Triebsto? rung ist ziemlich
gleichgu? ltig; ich wu? sste daru? ber auch nicht viel mehr
mitzuteilen, als jeder Seelenkundige aus Weiningers
Schriften mu? helos herauslesen kann. Ekel und Hass,
die darin allerorten zutage treten, sind zweifellos
die Folge einer gelegentlich veranlassten, am Ende
mit gro? sstem Rigorismus durchgefu? hrten Unter-
dru? ckung der Geschlechtsbegier.
Ich sage das nur, ich getraue mir das nur zu
sagen, weil ich daru? ber noch ganz andere Dinge
zu sagen habe, als viele, welche mit mir u? ber die
? ? Generated for (University of Chicago) on 2014-08-19 08:37 GMT / http://hdl. handle. net/2027/njp. 32101068184017 Public Domain in the United States, Google-digitized / http://www. hathitrust. org/access_use#pd-us-google
? 45
Tatsache einig sind. Verdra? ngung, Unterdru? ckung
des Geschlechtlichen und die Anlage dazu ko? nnen
unmo? glich letzte Tatsachen sein. Sie mu? ssen eine
tiefe Bedeutung haben, die man natu? rlich nicht ihrer
Beschreibung entnehmen kann. Gerade eine Er-
scheinung wie Weininger verpflichtet zu ehrfurchts-
voller Vertiefung der Erkla? rungen. So schma? hlich
einfach, wie manchen ? der Fall" erscheint, kann er
nicht sein.
Die Seelenlehre verfu? gt heute noch gar nicht
u? ber die Begriffe, mit denen man Weiningers Zustand
kurz beschreiben ko? nnte und so bleibt nichts u? brig,
als sich solche eigens zu bilden. Weiningers Zu-
stand in der Zeit, da er am dritten Teil seines
Werkes schrieb, kann als eine Umkehrung des
Trieb- und Gefu? hlslebens bezeichnet werden. Die
freundliche Begierde ist durch die Unterdru? ckung
wild geworden; wie ein gefangenes Raubtier blickt
sie einem da und dort unheimlich entgegen. Die
natu? rliche Zuneigung ist in unbewusste Abneigung
oder bewusste Ablehnung verwandelt.
Die Leidenschaft hat auf einmal sozusagen ein
verkehrtes Vorzeichen. Parallel damit gehen Ver-
a? nderungen im Verstand: die Sinnlichkeit, von Wei-
ninger urspru? nglich ganz arglos antik bewertet, er-
scheint ihm auf einmal als etwas Su? ndhaftes, Schuld-
haftes, Teuflisches. Diese Misswertung erstreckt sich
alsbald auch auf das v/eibliche Geschlecht als den
? ? Generated for (University of Chicago) on 2014-08-19 08:37 GMT / http://hdl. handle. net/2027/njp. 32101068184017 Public Domain in the United States, Google-digitized / http://www. hathitrust. org/access_use#pd-us-google
? 4t;
Gegenstand des sinnlichen Begehrens oder die Ver-
anlassung hiezu. Weiningers Weiberhass war im
Grunde genommen eine logische Konsequenz: er
hasste die Sinnlichkeit und darum das Weib als
Gegenstand und Anreiz zur Sinnlichkeit, als Ver-
ko? rperung der Su? nde. Daran war seine mangelhafte
Erfahrung schuld. Er ist nie denen begegnet, an
welchen er mit heiligem Staunen verwirklicht ge-
sehen ha? tte, was er selber vergeblich erstrebte; er
wusste nichts von den kampflos Reinen, in denen
der Geist nicht nach Herrschaft ringt, sondern sie
von Anbeginn anmutig ausu? bt.
Das Umschlagen der Liebe in Hass ist eine sehr
merkwu? rdige Erscheinung. Das Erste, was man dar-
u? ber sagen kann, ist, dass manche Menschen dazu
hinneigen, andere nicht. Es gibt welche, denen keine
Entta? uschung, keine Entbehrung etwas anhaben kann.
Alles, was sich ihrem Begehren feindselig entgegen-
stellt, dient nur dazu, es zu steigern. Der Druck
erzeugt nur einen um so gro? sseren Gegendruck.
Oder auch: sie reagieren auf Ka? lte durch Ver-
mehrung der inneren Wa? rme. Sie bleiben auf diese
Weise mit der Welt immer im Gleichgewicht. Solche
Menschen sind durch nichts zu verbittern, zu kra? nken,
zu verha? sslichen. Werden sie von Einer entta? uscht,
so lieben sie die Menschheit, werden sie von aller
Welt entta? uscht, so lieben sie Gott, aber sie lieben
in einem fort, unentwegt. Dieses Verhalten du? rfte
? ? Generated for (University of Chicago) on 2014-08-19 08:37 GMT / http://hdl. handle. net/2027/njp. 32101068184017 Public Domain in the United States, Google-digitized / http://www. hathitrust. org/access_use#pd-us-google
? 47
die A? usserung ho? chster Lebenskraft sein. Die Liebe
ist das Leben. Sich die Liebe nicht rauben lassen,
heisst, nicht ums Leben zu bringen sein. Mit den
ho? chsten Graden des Lebens ist auch die gro? sste
Kraft der Selbsterhaltung verbunden.
Nun gibt es aber andere Menschen, bei denen
die bedra? ngte Leidenschaft anfangs wohl auch ge-
steigert wird, aber dann plo? tzlich ins Gegenteil um-
schla? gt. Das Begehren ha? lt den feindseligen Ma? chten
eine Weile stand, es ist ihnen mannhaft entgegen-
gerichtet, bis es auf einmal die Richtung des Wider-
standes annimmt, das heisst, vor ihm flieht. Die
zwei mechanischen Mo? glichkeiten, einen Widerstand
aufzuheben, gibt es auch im Leben: Man setzt ent-
weder dem Widerstand eine u? berlegene Kraft ent-
gegen oder man la? sst ihn durch Nachgiebigkeit
u? berhaupt nicht zur Geltung kommen. Aber das
Leben, welches jener im Kampf behauptet, ist
nicht dasselbe, welches dieser durch die Flucht
errettet. Man liebt die Widersta? nde, die man besiegt,
man hasst die Widersta? nde, vor denen man zuru? ck-
weicht.
Zweifellos kommt es vor, dass auch ein Starker
durch u? berma? ssiges Leid bezwungen wird; aber im
allgemeinen wird man nicht fehlgehen, wenn man
die Menge der Verbitterten, Gekra? nkten, Missmutigen,
Vera? rgerten, dieses Heer von Lebensflu? chtlingen als
Lebensschwache ansieht. Sie sind die geschlagene
? ? Generated for (University of Chicago) on 2014-08-19 08:37 GMT / http://hdl. handle. net/2027/njp.
inneres Gleichgewicht her und hilft auf diese Weise
u? ber einen sonst unertra? glichen Zustand hinweg.
Sie ho? rt auch wieder von selber auf, wenn sie nicht
mehr notwendig ist. Wa? re Weininger die ihn be-
dru? ckenden Gefu? hle eines Tages auf normalem Wege
los geworden, so ha? tte er auf einmal den ganzen
Trug, in den er sich eingesponnen, durchschaut.
Mit der Freiheit des Gemu? tes kehrt die volle Herr-
schaft u? ber die Gedanken von selber wieder.
Da die Selbstta? uschung einen biologischen Wert
hat, ist jemand, der darin befangen ist, nur sehr
schwer zu bekehren. Von der Bekehrung hat er
ja gar nichts, wenigstens nicht in dem Augenblick,
da man ihn bekehren will, von der Ta? uschung
hingegen hat er nicht mehr und nicht weniger als
das Leben. Eine grobe Selbstta? uschung ist unter
Umsta? nden die einzige Mo? glichkeit, am Leben zu
bleiben. Vergebliche Mu? he ist es, jemandem in
solchem Zustande mit Gru? nden beikommen zu wollen.
Seine Meinung wird ja auch nicht von Gru? nden ge-
halten, sondern von Gefu? hlen, die sich wohl hu? ten,
offen hervorzutreten. Diskussionen sind unter solchen
? ? Generated for (University of Chicago) on 2014-08-19 08:37 GMT / http://hdl. handle. net/2027/njp. 32101068184017 Public Domain in the United States, Google-digitized / http://www. hathitrust. org/access_use#pd-us-google
? 38
Umsta? nden ebenso resultatlos wie die Beschiessung
einer fingierten Batterie. Ich habe das erlebt. Als
Aussenstehender hatte ich es natu? rlich sehr leicht,
den Sachverhalt zu durchschauen; man ko? nnte be-
schra? nkt sein und wu? rde doch noch viel klarer sehen
als ein Befangener. Aber ich habe mich vergeblich
bemu? ht, Weininger von der vo? lligen Unhaltbarkeit
vieler Partien, namentlich auch des Kapitels u? ber
das Judentum, zu u? berzeugen. Es war ihm nicht
ein Satz abzuringen. Buchsta? blich bis zum letzten
Augenblick vor der Drucklegung wollte ich ihn zur
Zuru? cknahme dieses und jenes Teiles bewegen; er
ho? rte mich ruhig an, schien ganz u? berzeugt von
meinen Argumenten, unter denen auch die psycho-
logische Analyse nicht fehlte, aber er a? nderte nicht
das Geringste. Er hing eben gerade an den un-
haltbarsten Einfa? llen mit seinem Herzen. Sie hatten
ihm einen ungeheuren Dienst geleistet, den er ihnen
nicht vergass. Ich glaube, es war wirklich die Dank-
barkeit, welche ihn so fest an seine Eingebungen
band. Aber er verwechselte den Wert, welchen sie
fu? r ihn hatten, mit ihrem objektiven Wert. Der
Dankbare neigt immer zur U? berscha? tzung. --
Die bisherige Untersuchung u? ber die Entstehung
von ? Geschlecht und Charakter" hat folgendes er-
geben: Das Werk beginnt mit einem naturwissen-
schaftlichen Teil und geht dann in einen philo-
sophischen u? ber, die beide an echten Erkenntnissen,
? ? Generated for (University of Chicago) on 2014-08-19 08:37 GMT / http://hdl. handle. net/2027/njp. 32101068184017 Public Domain in the United States, Google-digitized / http://www. hathitrust. org/access_use#pd-us-google
? 39
an genial erschauten Wahrheiten, reich sind. Daneben
aber findet man, schon in diesen ersten Teilen, viele,
an ihrem pra? tentio? sen Auftreten leicht erkenntliche
falsche Meinungen, welche auf die eben zuvor ge-
schilderte Art zustande gekommen sind.
Zuerst forschte und dachte Weininger ganz vor-
urteilslos; bis sich auf einmal eine bestimmte Mei-
nung u? ber M und W in ihm festsetzte; in ihm
durch einen Affekt fixiert wurde, in der Sprache
der neueren Seelenforschung. Er hatte auf einmal
ein Interesse, natu? rlich kein intellektuelles, dass M
und W gerade so und nicht anders seien. Und nun
zog er, ganz einseitig, nur mehr das an sich, was
seine feste Meinung na? hrte. So kam es zu dieser
fortgesetzten unseligen Aufteilung aller Gu? ter des
Himmels und der Erde unter M und W.
Auch so ko? nnte man die Wandlung, die sich
in Weininger vollzog, charaktersieren: Zuerst hatten
ihm seine Gedanken an sich Wert; spa? ter nur, wann
und inwieweit er sie verwerten konnte. Sie mussten
bestimmten Anforderungen genu? gen und Dienste
tun. Eine derartige Verwertung von Gedanken ist
eine intellektuelle Su? nde, fu? r die Weininger keines-
wegs das Feingefu? hl fehlte.
Obwohl nun noch der dritte, in vieler Hinsicht
wichtigste Teil von ? Geschlecht und Charakter"
einer eingehenden Besprechung bedarf, ist es doch
schon an dieser Stelle auf Grund der voraus-
? ? Generated for (University of Chicago) on 2014-08-19 08:37 GMT / http://hdl. handle. net/2027/njp. 32101068184017 Public Domain in the United States, Google-digitized / http://www. hathitrust. org/access_use#pd-us-google
? 40
gegangenen Analysen mo? glich, u? ber Weiningers
Werk im grossen und ganzen ein Urteil zu fa? llen.
Sein reicher Gehalt an wirklichen Einsichten ist
schon o? fters hervorgehoben worden. Es ist aber nicht
einheitlich; und damit ist nicht etwa ein formelles
Gebrechen bema? ngelt. Die durchga? ngige Einheitlich-
keit ist vielmehr, wie fru? her dargelegt wurde, eine
naturgema? sse Folge der organischen Entstehung. Da
diese nun Voraussetzung fu? r den Wahrheitsgehalt
eines Werkes ist, so ist auch die Einheit eines Werkes
ein verla? ssliches Kennzeichen seines Wertes.
Weiningers Werk hat einen doppelten Ursprung:
Einen Gedanken und ein Gefu? hl. Es ist zum Teil
aus einem Grundgedanken hervorgewachsen, zum
Teil von einem Gefu? hl eingegeben. Es hat, wie man
auch sagen ko? nnte, einen Leitgedanken und ein
Leitgefu? hl. Aber nur zur einen Ha? lfte hat es in-
folgedessen Anspruch, als Denkwerk aufgenommen
zu werden; zur andern Ha? lfte ist es, seiner Ent-
stehung nach, eigentlich ein Kunstwerk. In Weininger
waren eben verschiedene Gaben vereint; er war ein
Genie, aber er besass auch, vielleicht in noch ho? herem
Masse, Phantasie und Witz.
Ich habe die zwei Entstehungsarten von Ge-
danken deswegen so eingehend besprochen, weil es
ohne die eingefu? hrte Unterscheidung nicht mo? glich
ist, den dritten Teil von ? Geschlecht und Charakter",
den antifeministischen, zu verstehen, der eben wegen
? ? Generated for (University of Chicago) on 2014-08-19 08:37 GMT / http://hdl. handle. net/2027/njp. 32101068184017 Public Domain in the United States, Google-digitized / http://www. hathitrust. org/access_use#pd-us-google
? 41
des herrschenden Unversta? ndnisses von den einen
so blind bewundert, von den anderen so blindwu? tig
beka? mpft wird. Ich wende mich nun der Betrachtung
dieses wahrhaft unseligen Teiles zu.
Weininger selbst hat freilich, wenn wir darauf zu
sprechen kamen, lebhaft bestritten, dass es in seinem
Buche neben dem naturwissenschaftlichen und philo-
sophischen noch einen Teil gebe. Allein, abgesehen
von allem anderen, ist schon die dreifache Schreibart
beweisend: Das Buch hat einen gemu? tlichen, einen
ernsten und einen geha? ssigen Teil. Die mehrmalige
U? berarbeitung hat zwar ausgleichend gewirkt, die
Dreiteilung ist aber trotzdem noch sehr leicht zu
erkennen. Dieser dritte Teil nun, dem das Buch
nicht die Wirkung, wohl aber den Erfolg verdankt,
kann unmo? glich mit Wissenschaft oder mit Philo-
sophie etwas zu tun haben. Forschen und Denken
sind die liebenswu? rdigsten Bescha? ftigungen von der
Welt. Das einzige Gefu? hl, welches daneben Berech-
tigung hat, ist die Begeisterung; die freudige Be-
geisterung, welche sich immer einstellt, wenn man
dem Absoluten na? her kommt.
Wie ist nun dieser antifeministische Teil von
? Geschlecht und Charakter" entstanden? Es haben
sich hieru? ber zwei Meinungen gebildet. Das Laien-
publikum meint, Weininger mu? sse ? sehr schlechte
Erfahrungen" gemacht haben, die Fachkreise neigen
zur Annahme abnormen Fu? hlens. Ich schicke der
? ? Generated for (University of Chicago) on 2014-08-19 08:37 GMT / http://hdl. handle. net/2027/njp. 32101068184017 Public Domain in the United States, Google-digitized / http://www. hathitrust. org/access_use#pd-us-google
? 42
genaueren Darlegung voraus, dass beide Meinungen
gleich falsch sind.
Ich habe an Weininger nicht die leiseste Spur
einer abnormen Gefu? hlsrichtung wahrgenommen und
ich ha? tte bei unserem vertrauten Umgang davon
etwas merken mu? ssen; ich kann im Gegenteil be-
zeugen, dass Weininger so normal veranlagt war, als
man es nur u? berhaupt von einem Genie erwarten
kann. Die in ? Geschlecht und Charakter" gea? usserte
Abneigung gegen das weibliche Geschlecht war
keineswegs prima? r. Wa? re sie das gewesen, so ha? tte
sich Weininger dabei wohl gefu? hlt.
Damit werden sich nun freilich, wie die Ver-
ha? ltnisse einmal liegen, viele nicht zufrieden geben.
Mit dem Pathologischen erkla? rt sichs so gut! So
schnell und so bequem. Fu? r zahlreiche Forscher ist
das Pathologische eine Art Hilfsgro?
sse; sowie ihnen
etwas Ausserordentliches unterkommt, nehmen sie
an, dass da etwas nicht in Ordnung ist. Und damit
ist ihr intellektuelles Gewissen beruhigt. Kein Wunder,
dass sie von einer Annahme, die ihnen solche Dienste
leistet, nicht leicht ablassen. Mit diesen leicht-
fertigen Pathologen setze ich mich nicht weiter
auseinander.
Andere werden mir sagen: Es ist gar nicht not-
wendig, bei Weininger etwas Krankhaftes erst anzu-
nehmen. Ein Gefu? hlsleben, wie es sich in seinen
Schriften a? ussert, ist bereits krankhaft. Sie werden
? ? Generated for (University of Chicago) on 2014-08-19 08:37 GMT / http://hdl. handle. net/2027/njp. 32101068184017 Public Domain in the United States, Google-digitized / http://www. hathitrust. org/access_use#pd-us-google
? 43
besonders auf den freiwilligen Tod als das sichere
Anzeichen einer krankhaften Anlage hinweisen. Zu
dieser Anschauung werde ich im folgenden mehr-
mals Stellung nehmen. Ich formuliere das Problem,
um das es sich hier handelt, einstweilen in mehreren
Fragen: Ist die Neigung zu Konflikten schon krank-
haft? Ist jemand, der sich leicht etwas zu Herzen
nimmt, krankhaft? Ist jemand, der sich u? ber Vorga? nge
Kopfzerbrechen macht, die bei anderen reflektorisch
ablaufen, krank? Ich ha? tte natu? rlich auch einfach
fragen ko? nnen, ob grosse Begabung fu? r sich allein
krankhaft sei. Alles was man bei Weininger an
seelischen Eigenheiten findet, ist mit jeder grossen
Begabung notwendig mitgegeben. Dass diese Eigen-
heiten zu einem so unseligen Ende fu? hrten, lag
nicht in ihnen selbst.
Einige werden sich zum Beweise von Weiningers
krankhafter Anlage vielleicht auf dessen eigenes
Zeugnis stu? tzen. Er hat tatsa? chlich solche Be-
merkungen gemacht. Herrschende Theorien fu? hren
eben nicht nur zu falschen Beobachtungen, sondern
auch zu falschen Selbstbeobachtungen. Weininger
kannte natu? rlich die moderne Literatur u? ber das
Pathologische beim Genie; er wusste auch, dass von
manchen besonders die Epilepsie in Zusammen-
hang mit dem genialen Schaffen gebracht wird. Und
richtig bekam er eines Tages auf offener Strasse
einen ? typischen epileptoiden Anfall". In Wirklich-
? ? Generated for (University of Chicago) on 2014-08-19 08:37 GMT / http://hdl. handle. net/2027/njp. 32101068184017 Public Domain in the United States, Google-digitized / http://www. hathitrust. org/access_use#pd-us-google
? 44
keit war es nur ein geringfu? giger Schwindelanfall,
eine Folge seiner erzwungenen Enthaltsamkeit.
Weininger war urspru? nglich sicher weder krank
noch krankhaft. Ohne die Behauptungen anderer
wa? re es mir nie eingefallen, daru? ber auch nur ein
Wort zu verlieren.
Weininger hat aber auch keine schlechten Er-
fahrungen gemacht, wenn man darunter Kra? nkung,
Entta? uschung, Zuru? ckweisung einer ernstlichen
Herzensneigung versteht. Er ist kein Opfer unglu? ck-
licher Liebe. Eine aussichtslose innige Neigung
ha? tte ihn wie jeden bedeutenden Menschen nur
gefo? rdert. Der Ausgangspunkt fu? r die mannigfachen
Sto? rungen seines Fu? hlens und Denkens war viel-
mehr eine Triebsto? rung, die, wie ein Infektionskeim,
einen Seelenbezirk nach dem andern befiel und
schliesslich auch die Widerstandskraft des Organismus
brach. Der Anlass dieser Triebsto? rung ist ziemlich
gleichgu? ltig; ich wu? sste daru? ber auch nicht viel mehr
mitzuteilen, als jeder Seelenkundige aus Weiningers
Schriften mu? helos herauslesen kann. Ekel und Hass,
die darin allerorten zutage treten, sind zweifellos
die Folge einer gelegentlich veranlassten, am Ende
mit gro? sstem Rigorismus durchgefu? hrten Unter-
dru? ckung der Geschlechtsbegier.
Ich sage das nur, ich getraue mir das nur zu
sagen, weil ich daru? ber noch ganz andere Dinge
zu sagen habe, als viele, welche mit mir u? ber die
? ? Generated for (University of Chicago) on 2014-08-19 08:37 GMT / http://hdl. handle. net/2027/njp. 32101068184017 Public Domain in the United States, Google-digitized / http://www. hathitrust. org/access_use#pd-us-google
? 45
Tatsache einig sind. Verdra? ngung, Unterdru? ckung
des Geschlechtlichen und die Anlage dazu ko? nnen
unmo? glich letzte Tatsachen sein. Sie mu? ssen eine
tiefe Bedeutung haben, die man natu? rlich nicht ihrer
Beschreibung entnehmen kann. Gerade eine Er-
scheinung wie Weininger verpflichtet zu ehrfurchts-
voller Vertiefung der Erkla? rungen. So schma? hlich
einfach, wie manchen ? der Fall" erscheint, kann er
nicht sein.
Die Seelenlehre verfu? gt heute noch gar nicht
u? ber die Begriffe, mit denen man Weiningers Zustand
kurz beschreiben ko? nnte und so bleibt nichts u? brig,
als sich solche eigens zu bilden. Weiningers Zu-
stand in der Zeit, da er am dritten Teil seines
Werkes schrieb, kann als eine Umkehrung des
Trieb- und Gefu? hlslebens bezeichnet werden. Die
freundliche Begierde ist durch die Unterdru? ckung
wild geworden; wie ein gefangenes Raubtier blickt
sie einem da und dort unheimlich entgegen. Die
natu? rliche Zuneigung ist in unbewusste Abneigung
oder bewusste Ablehnung verwandelt.
Die Leidenschaft hat auf einmal sozusagen ein
verkehrtes Vorzeichen. Parallel damit gehen Ver-
a? nderungen im Verstand: die Sinnlichkeit, von Wei-
ninger urspru? nglich ganz arglos antik bewertet, er-
scheint ihm auf einmal als etwas Su? ndhaftes, Schuld-
haftes, Teuflisches. Diese Misswertung erstreckt sich
alsbald auch auf das v/eibliche Geschlecht als den
? ? Generated for (University of Chicago) on 2014-08-19 08:37 GMT / http://hdl. handle. net/2027/njp. 32101068184017 Public Domain in the United States, Google-digitized / http://www. hathitrust. org/access_use#pd-us-google
? 4t;
Gegenstand des sinnlichen Begehrens oder die Ver-
anlassung hiezu. Weiningers Weiberhass war im
Grunde genommen eine logische Konsequenz: er
hasste die Sinnlichkeit und darum das Weib als
Gegenstand und Anreiz zur Sinnlichkeit, als Ver-
ko? rperung der Su? nde. Daran war seine mangelhafte
Erfahrung schuld. Er ist nie denen begegnet, an
welchen er mit heiligem Staunen verwirklicht ge-
sehen ha? tte, was er selber vergeblich erstrebte; er
wusste nichts von den kampflos Reinen, in denen
der Geist nicht nach Herrschaft ringt, sondern sie
von Anbeginn anmutig ausu? bt.
Das Umschlagen der Liebe in Hass ist eine sehr
merkwu? rdige Erscheinung. Das Erste, was man dar-
u? ber sagen kann, ist, dass manche Menschen dazu
hinneigen, andere nicht. Es gibt welche, denen keine
Entta? uschung, keine Entbehrung etwas anhaben kann.
Alles, was sich ihrem Begehren feindselig entgegen-
stellt, dient nur dazu, es zu steigern. Der Druck
erzeugt nur einen um so gro? sseren Gegendruck.
Oder auch: sie reagieren auf Ka? lte durch Ver-
mehrung der inneren Wa? rme. Sie bleiben auf diese
Weise mit der Welt immer im Gleichgewicht. Solche
Menschen sind durch nichts zu verbittern, zu kra? nken,
zu verha? sslichen. Werden sie von Einer entta? uscht,
so lieben sie die Menschheit, werden sie von aller
Welt entta? uscht, so lieben sie Gott, aber sie lieben
in einem fort, unentwegt. Dieses Verhalten du? rfte
? ? Generated for (University of Chicago) on 2014-08-19 08:37 GMT / http://hdl. handle. net/2027/njp. 32101068184017 Public Domain in the United States, Google-digitized / http://www. hathitrust. org/access_use#pd-us-google
? 47
die A? usserung ho? chster Lebenskraft sein. Die Liebe
ist das Leben. Sich die Liebe nicht rauben lassen,
heisst, nicht ums Leben zu bringen sein. Mit den
ho? chsten Graden des Lebens ist auch die gro? sste
Kraft der Selbsterhaltung verbunden.
Nun gibt es aber andere Menschen, bei denen
die bedra? ngte Leidenschaft anfangs wohl auch ge-
steigert wird, aber dann plo? tzlich ins Gegenteil um-
schla? gt. Das Begehren ha? lt den feindseligen Ma? chten
eine Weile stand, es ist ihnen mannhaft entgegen-
gerichtet, bis es auf einmal die Richtung des Wider-
standes annimmt, das heisst, vor ihm flieht. Die
zwei mechanischen Mo? glichkeiten, einen Widerstand
aufzuheben, gibt es auch im Leben: Man setzt ent-
weder dem Widerstand eine u? berlegene Kraft ent-
gegen oder man la? sst ihn durch Nachgiebigkeit
u? berhaupt nicht zur Geltung kommen. Aber das
Leben, welches jener im Kampf behauptet, ist
nicht dasselbe, welches dieser durch die Flucht
errettet. Man liebt die Widersta? nde, die man besiegt,
man hasst die Widersta? nde, vor denen man zuru? ck-
weicht.
Zweifellos kommt es vor, dass auch ein Starker
durch u? berma? ssiges Leid bezwungen wird; aber im
allgemeinen wird man nicht fehlgehen, wenn man
die Menge der Verbitterten, Gekra? nkten, Missmutigen,
Vera? rgerten, dieses Heer von Lebensflu? chtlingen als
Lebensschwache ansieht. Sie sind die geschlagene
? ? Generated for (University of Chicago) on 2014-08-19 08:37 GMT / http://hdl. handle. net/2027/njp.
