Erkennest dann der Sterne Lauf,
Und wenn Natur dich Unterweist,
Dann geht die Seelenkraft dir auf,
Wie spricht ein Geist zum andren Geist.
Und wenn Natur dich Unterweist,
Dann geht die Seelenkraft dir auf,
Wie spricht ein Geist zum andren Geist.
Goethe - Faust- Der Tragödie erster Teil
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The Project Gutenberg EBook of Faust: Der Tragodie erster Teil, by
Johann Wolfgang von Goethe
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Title: Faust: Der Tragodie erster Teil
Author: Johann Wolfgang von Goethe
Posting Date: January 26, 2010 [EBook #2229]
Release Date: June 2000
[This file last updated on August 4, 2010]
Language: German
*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK FAUST: DER TRAGODIE ERSTER TEIL ***
Produced by Michael Pullen
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Faust: Der Tragodie erster Teil
Johann Wolfgang von Goethe
Zueignung.
Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten,
Die fruh sich einst dem truben Blick gezeigt.
Versuch ich wohl, euch diesmal festzuhalten?
Fuhl ich mein Herz noch jenem Wahn geneigt?
Ihr drangt euch zu! nun gut, so mogt ihr walten,
Wie ihr aus Dunst und Nebel um mich steigt;
Mein Busen fuhlt sich jugendlich erschuttert
Vom Zauberhauch, der euren Zug umwittert.
Ihr bringt mit euch die Bilder froher Tage,
Und manche liebe Schatten steigen auf;
Gleich einer alten, halbverklungnen Sage
Kommt erste Lieb und Freundschaft mit herauf;
Der Schmerz wird neu, es wiederholt die Klage
Des Lebens labyrinthisch irren Lauf,
Und nennt die Guten, die, um schone Stunden
Vom Gluck getauscht, vor mir hinweggeschwunden.
Sie horen nicht die folgenden Gesange,
Die Seelen, denen ich die ersten sang;
Zerstoben ist das freundliche Gedrange,
Verklungen, ach! der erste Widerklang.
Mein Lied ertont der unbekannten Menge,
Ihr Beifall selbst macht meinem Herzen bang,
Und was sich sonst an meinem Lied erfreuet,
Wenn es noch lebt, irrt in der Welt zerstreuet.
Und mich ergreift ein langst entwohntes Sehnen
Nach jenem stillen, ernsten Geisterreich,
Es schwebet nun in unbestimmten Tonen
Mein lispelnd Lied, der Aolsharfe gleich,
Ein Schauer fasst mich, Trane folgt den Tranen,
Das strenge Herz, es fuhlt sich mild und weich;
Was ich besitze, seh ich wie im Weiten,
Und was verschwand, wird mir zu Wirklichkeiten.
Vorspiel auf dem Theater
Direktor. Theatherdichter. Lustige Person:
DIREKTOR:
Ihr beiden, die ihr mir so oft,
In Not und Trubsal, beigestanden,
Sagt, was ihr wohl in deutschen Landen
Von unsrer Unternehmung hofft?
Ich wunschte sehr der Menge zu behagen,
Besonders weil sie lebt und leben lasst.
Die Pfosten sind, die Bretter aufgeschlagen,
Und jedermann erwartet sich ein Fest.
Sie sitzen schon mit hohen Augenbraunen
Gelassen da und mochten gern erstaunen.
Ich weiss, wie man den Geist des Volks versohnt;
Doch so verlegen bin ich nie gewesen:
Zwar sind sie an das Beste nicht gewohnt,
Allein sie haben schrecklich viel gelesen.
Wie machen wir's, dass alles frisch und neu
Und mit Bedeutung auch gefallig sei?
Denn freilich mag ich gern die Menge sehen,
Wenn sich der Strom nach unsrer Bude drangt,
Und mit gewaltig wiederholten Wehen
Sich durch die enge Gnadenpforte zwangt;
Bei hellem Tage, schon vor vieren,
Mit Stossen sich bis an die Kasse ficht
Und, wie in Hungersnot um Brot an Backerturen,
Um ein Billet sich fast die Halse bricht.
Dies Wunder wirkt auf so verschiedne Leute
Der Dichter nur; mein Freund, o tu es heute!
DICHTER:
O sprich mir nicht von jener bunten Menge,
Bei deren Anblick uns der Geist entflieht.
Verhulle mir das wogende Gedrange,
Das wider Willen uns zum Strudel zieht.
Nein, fuhre mich zur stillen Himmelsenge,
Wo nur dem Dichter reine Freude bluht;
Wo Lieb und Freundschaft unsres Herzens Segen
Mit Gotterhand erschaffen und erpflegen.
Ach! was in tiefer Brust uns da entsprungen,
Was sich die Lippe schuchtern vorgelallt,
Missraten jetzt und jetzt vielleicht gelungen,
Verschlingt des wilden Augenblicks Gewalt.
Oft, wenn es erst durch Jahre durchgedrungen,
Erscheint es in vollendeter Gestalt.
Was glanzt, ist fur den Augenblick geboren,
Das Echte bleibt der Nachwelt unverloren.
LUSTIGE PERSON:
Wenn ich nur nichts von Nachwelt horen sollte.
Gesetzt, dass ich von Nachwelt reden wollte,
Wer machte denn der Mitwelt Spass?
Den will sie doch und soll ihn haben.
Die Gegenwart von einem braven Knaben
Ist, dacht ich, immer auch schon was.
Wer sich behaglich mitzuteilen weiss,
Den wird des Volkes Laune nicht erbittern;
Er wunscht sich einen grossen Kreis,
Um ihn gewisser zu erschuttern.
Drum seid nur brav und zeigt euch musterhaft,
Lasst Phantasie, mit allen ihren Choren,
Vernunft, Verstand, Empfindung, Leidenschaft,
Doch, merkt euch wohl! nicht ohne Narrheit horen.
DIREKTOR:
Besonders aber lasst genug geschehn!
Man kommt zu schaun, man will am liebsten sehn.
Wird vieles vor den Augen abgesponnen,
So dass die Menge staunend gaffen kann,
Da habt Ihr in der Breite gleich gewonnen,
Ihr seid ein vielgeliebter Mann.
Die Masse konnt Ihr nur durch Masse zwingen,
Ein jeder sucht sich endlich selbst was aus.
Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen;
Und jeder geht zufrieden aus dem Haus.
Gebt Ihr ein Stuck, so gebt es gleich in Stucken!
Solch ein Ragout, es muss Euch glucken;
Leicht ist es vorgelegt, so leicht als ausgedacht.
Was hilft's, wenn Ihr ein Ganzes dargebracht?
Das Publikum wird es Euch doch zerpflucken.
DICHTER:
Ihr fuhlet nicht, wie schlecht ein solches Handwerk sei!
Wie wenig das dem echten Kunstler zieme!
Der saubern Herren Pfuscherei
Ist. merk ich. schon bei Euch Maxime.
DIREKTOR:
Ein solcher Vorwurf lasst mich ungekrankt:
Ein Mann, der recht zu wirken denkt,
Muss auf das beste Werkzeug halten.
Bedenkt, Ihr habet weiches Holz zu spalten,
Und seht nur hin, fur wen Ihr schreibt!
Wenn diesen Langeweile treibt,
Kommt jener satt vom ubertischten Mahle,
Und, was das Allerschlimmste bleibt,
Gar mancher kommt vom Lesen der Journale.
Man eilt zerstreut zu uns, wie zu den Maskenfesten,
Und Neugier nur beflugelt jeden Schritt;
Die Damen geben sich und ihren Putz zum besten
Und spielen ohne Gage mit.
Was traumet Ihr auf Eurer Dichterhohe?
Was macht ein volles Haus Euch froh?
Beseht die Gonner in der Nahe!
Halb sind sie kalt, halb sind sie roh.
Der, nach dem Schauspiel, hofft ein Kartenspiel,
Der eine wilde Nacht an einer Dirne Busen.
Was plagt ihr armen Toren viel,
Zu solchem Zweck, die holden Musen?
Ich sag Euch, gebt nur mehr und immer, immer mehr,
So konnt Ihr Euch vom Ziele nie verirren
Sucht nur die Menschen zu verwirren,
Sie zu befriedigen, ist schwer--
Was fallt Euch an? Entzuckung oder Schmerzen?
DICHTER:
Geh hin und such dir einen andern Knecht!
Der Dichter sollte wohl das hochste Recht,
Das Menschenrecht, das ihm Natur vergonnt,
Um deinetwillen freventlich verscherzen!
Wodurch bewegt er alle Herzen?
Wodurch besiegt er jedes Element?
Ist es der Einklang nicht, der aus dem Busen dringt,
Und in sein Herz die Welt zurucke schlingt?
Wenn die Natur des Fadens ew'ge Lange,
Gleichgultig drehend, auf die Spindel zwingt,
Wenn aller Wesen unharmon'sche Menge
Verdriesslich durcheinander klingt-
Wer teilt die fliessend immer gleiche Reihe
Belebend ab, dass sie sich rhythmisch regt?
Wer ruft das Einzelne zur allgemeinen Weihe,
Wo es in herrlichen Akkorden schlagt?
Wer lasst den Sturm zu Leidenschaften wuten?
Das Abendrot im ernsten Sinne gluhn?
Wer schuttet alle schonen Fruhlingsbluten
Auf der Geliebten Pfade hin?
Wer flicht die unbedeutend grunen Blatter
Zum Ehrenkranz Verdiensten jeder Art?
Wer sichert den Olymp? vereinet Gotter?
Des Menschen Kraft, im Dichter offenbart.
LUSTIGE PERSON:
So braucht sie denn, die schonen Krafte
Und treibt die dichtrischen Geschafte
Wie man ein Liebesabenteuer treibt.
Zufallig naht man sich, man fuhlt, man bleibt
Und nach und nach wird man verflochten;
Es wachst das Gluck, dann wird es angefochten
Man ist entzuckt, nun kommt der Schmerz heran,
Und eh man sich's versieht, ist's eben ein Roman.
Lasst uns auch so ein Schauspiel geben!
Greift nur hinein ins volle Menschenleben!
Ein jeder lebt's, nicht vielen ist's bekannt,
Und wo ihr's packt, da ist's interessant.
In bunten Bildern wenig Klarheit,
Viel Irrtum und ein Funkchen Wahrheit,
So wird der beste Trank gebraut,
Der alle Welt erquickt und auferbaut.
Dann sammelt sich der Jugend schonste Blute
Vor eurem Spiel und lauscht der Offenbarung,
Dann sauget jedes zartliche Gemute
Aus eurem Werk sich melanchol'sche Nahrung,
Dann wird bald dies, bald jenes aufgeregt
Ein jeder sieht, was er im Herzen tragt.
Noch sind sie gleich bereit, zu weinen und zu lachen,
Sie ehren noch den Schwung, erfreuen sich am Schein;
Wer fertig ist, dem ist nichts recht zu machen;
Ein Werdender wird immer dankbar sein.
DICHTER:
So gib mir auch die Zeiten wieder,
Da ich noch selbst im Werden war,
Da sich ein Quell gedrangter Lieder
Ununterbrochen neu gebar,
Da Nebel mir die Welt verhullten,
Die Knospe Wunder noch versprach,
Da ich die tausend Blumen brach,
Die alle Taler reichlich fullten.
Ich hatte nichts und doch genug:
Den Drang nach Wahrheit und die Lust am Trug.
Gib ungebandigt jene Triebe,
Das tiefe, schmerzenvolle Gluck,
Des Hasses Kraft, die Macht der Liebe,
Gib meine Jugend mir zuruck!
LUSTIGE PERSON:
Der Jugend, guter Freund, bedarfst du allenfalls,
Wenn dich in Schlachten Feinde drangen,
Wenn mit Gewalt an deinen Hals
Sich allerliebste Madchen hangen,
Wenn fern des schnellen Laufes Kranz
Vom schwer erreichten Ziele winket,
Wenn nach dem heft'gen Wirbeltanz
Die Nachte schmausend man vertrinket.
Doch ins bekannte Saitenspiel
Mit Mut und Anmut einzugreifen,
Nach einem selbstgesteckten Ziel
Mit holdem Irren hinzuschweifen,
Das, alte Herrn, ist eure Pflicht,
Und wir verehren euch darum nicht minder.
Das Alter macht nicht kindisch, wie man spricht,
Es findet uns nur noch als wahre Kinder.
DIREKTOR:
Der Worte sind genug gewechselt,
Lasst mich auch endlich Taten sehn!
Indes ihr Komplimente drechselt,
Kann etwas Nutzliches geschehn.
Was hilft es, viel von Stimmung reden?
Dem Zaudernden erscheint sie nie.
Gebt ihr euch einmal fur Poeten,
So kommandiert die Poesie.
Euch ist bekannt, was wir bedurfen,
Wir wollen stark Getranke schlurfen;
Nun braut mir unverzuglich dran!
Was heute nicht geschieht, ist morgen nicht getan,
Und keinen Tag soll man verpassen,
Das Mogliche soll der Entschluss
Beherzt sogleich beim Schopfe fassen,
Er will es dann nicht fahren lassen
Und wirket weiter, weil er muss.
Ihr wisst, auf unsern deutschen Buhnen
Probiert ein jeder, was er mag;
Drum schonet mir an diesem Tag
Prospekte nicht und nicht Maschinen.
Gebraucht das gross, und kleine Himmelslicht,
Die Sterne durfet ihr verschwenden;
An Wasser, Feuer, Felsenwanden,
An Tier und Vogeln fehlt es nicht.
So schreitet in dem engen Bretterhaus
Den ganzen Kreis der Schopfung aus,
Und wandelt mit bedacht'ger Schnelle
Vom Himmel durch die Welt zur Holle.
Prolog im Himmel.
Der Herr. Die himmlischen Heerscharen. Nachher Mephistopheles.
Die drei Erzengel treten vor.
RAPHAEL:
Die Sonne tont, nach alter Weise,
In Bruderspharen Wettgesang,
Und ihre vorgeschriebne Reise
Vollendet sie mit Donnergang.
Ihr Anblick gibt den Engeln Starke,
Wenn keiner Sie ergrunden mag;
die unbegreiflich hohen Werke
Sind herrlich wie am ersten Tag.
GABRIEL:
Und schnell und unbegreiflich schnelle
Dreht sich umher der Erde Pracht;
Es wechselt Paradieseshelle
Mit tiefer, schauervoller Nacht.
Es schaumt das Meer in breiten Flussen
Am tiefen Grund der Felsen auf,
Und Fels und Meer wird fortgerissen
Im ewig schnellem Spharenlauf.
MICHAEL:
Und Sturme brausen um die Wette
Vom Meer aufs Land, vom Land aufs Meer,
und bilden wutend eine Kette
Der tiefsten Wirkung rings umher.
Da flammt ein blitzendes Verheeren
Dem Pfade vor des Donnerschlags.
Doch deine Boten, Herr, verehren
Das sanfte Wandeln deines Tags.
ZU DREI:
Der Anblick gibt den Engeln Starke,
Da keiner dich ergrunden mag,
Und alle deine hohen Werke
Sind herrlich wie am ersten Tag.
MEPHISTOPHELES:
Da du, o Herr, dich einmal wieder nahst
Und fragst, wie alles sich bei uns befinde,
Und du mich sonst gewohnlich gerne sahst,
So siehst du mich auch unter dem Gesinde.
Verzeih, ich kann nicht hohe Worte machen,
Und wenn mich auch der ganze Kreis verhohnt;
Mein Pathos brachte dich gewiss zum Lachen,
Hattst du dir nicht das Lachen abgewohnt.
Von Sonn' und Welten weiss ich nichts zu sagen,
Ich sehe nur, wie sich die Menschen plagen.
Der kleine Gott der Welt bleibt stets von gleichem Schlag,
Und ist so wunderlich als wie am ersten Tag.
Ein wenig besser wurd er leben,
Hattst du ihm nicht den Schein des Himmelslichts gegeben;
Er nennt's Vernunft und braucht's allein,
Nur tierischer als jedes Tier zu sein.
Er scheint mir, mit Verlaub von euer Gnaden,
Wie eine der langbeinigen Zikaden,
Die immer fliegt und fliegend springt
Und gleich im Gras ihr altes Liedchen singt;
Und lag er nur noch immer in dem Grase!
In jeden Quark begrabt er seine Nase.
DER HERR:
Hast du mir weiter nichts zu sagen?
Kommst du nur immer anzuklagen?
Ist auf der Erde ewig dir nichts recht?
MEPHISTOPHELES:
Nein Herr! ich find es dort, wie immer, herzlich schlecht.
Die Menschen dauern mich in ihren Jammertagen,
Ich mag sogar die armen selbst nicht plagen.
DER HERR:
Kennst du den Faust?
MEPHISTOPHELES:
Den Doktor?
DER HERR:
Meinen Knecht!
MEPHISTOPHELES:
Furwahr! er dient Euch auf besondre Weise.
Nicht irdisch ist des Toren Trank noch Speise.
Ihn treibt die Garung in die Ferne,
Er ist sich seiner Tollheit halb bewusst;
Vom Himmel fordert er die schonsten Sterne
Und von der Erde jede hochste Lust,
Und alle Nah und alle Ferne
Befriedigt nicht die tiefbewegte Brust.
DER HERR:
Wenn er mir auch nur verworren dient,
So werd ich ihn bald in die Klarheit fuhren.
Weiss doch der Gartner, wenn das Baumchen grunt,
Das Blut und Frucht die kunft'gen Jahre zieren.
MEPHISTOPHELES:
Was wettet Ihr? den sollt Ihr noch verlieren!
Wenn Ihr mir die Erlaubnis gebt,
Ihn meine Strasse sacht zu fuhren.
DER HERR:
Solang er auf der Erde lebt,
So lange sei dir's nicht verboten,
Es irrt der Mensch so lang er strebt.
MEPHISTOPHELES:
Da dank ich Euch; denn mit den Toten
Hab ich mich niemals gern befangen.
Am meisten lieb ich mir die vollen, frischen Wangen.
Fur einem Leichnam bin ich nicht zu Haus;
Mir geht es wie der Katze mit der Maus.
DER HERR:
Nun gut, es sei dir uberlassen!
Zieh diesen Geist von seinem Urquell ab,
Und fuhr ihn, kannst du ihn erfassen,
Auf deinem Wege mit herab,
Und steh beschamt, wenn du bekennen musst:
Ein guter Mensch, in seinem dunklen Drange,
Ist sich des rechten Weges wohl bewusst.
MEPHISTOPHELES:
Schon gut! nur dauert es nicht lange.
Mir ist fur meine Wette gar nicht bange.
Wenn ich zu meinem Zweck gelange,
Erlaubt Ihr mir Triumph aus voller Brust.
Staub soll er fressen, und mit Lust,
Wie meine Muhme, die beruhmte Schlange.
DER HERR:
Du darfst auch da nur frei erscheinen;
Ich habe deinesgleichen nie gehasst.
Von allen Geistern, die verneinen,
ist mir der Schalk am wenigsten zur Last.
Des Menschen Tatigkeit kann allzu leicht erschlaffen,
er liebt sich bald die unbedingte Ruh;
Drum geb ich gern ihm den Gesellen zu,
Der reizt und wirkt und muss als Teufel schaffen.
Doch ihr, die echten Gottersohne,
Erfreut euch der lebendig reichen Schone!
Das Werdende, das ewig wirkt und lebt,
Umfass euch mit der Liebe holden Schranken,
Und was in schwankender Erscheinung schwebt,
Befestigt mit dauernden Gedanken!
(Der Himmel schliesst, die Erzengel verteilen sich. )
MEPHISTOPHELES (allein):
Von Zeit zu Zeit seh ich den Alten gern,
Und hute mich, mit ihm zu brechen.
Es ist gar hubsch von einem grossen Herrn,
So menschlich mit dem Teufel selbst zu sprechen.
FAUST: Der Tragodie erster Teil
Nacht.
In einem hochgewolbten, engen gotischen Zimmer Faust,
unruhig auf seinem Sessel am Pulte.
FAUST:
Habe nun, ach! Philosophie,
Juristerei und Medizin,
Und leider auch Theologie
Durchaus studiert, mit heissem Bemuhn.
Da steh ich nun, ich armer Tor!
Und bin so klug als wie zuvor;
Heisse Magister, heisse Doktor gar
Und ziehe schon an die zehen Jahr
Herauf, herab und quer und krumm
Meine Schuler an der Nase herum-
Und sehe, dass wir nichts wissen konnen!
Das will mir schier das Herz verbrennen.
Zwar bin ich gescheiter als all die Laffen,
Doktoren, Magister, Schreiber und Pfaffen;
Mich plagen keine Skrupel noch Zweifel,
Furchte mich weder vor Holle noch Teufel-
Dafur ist mir auch alle Freud entrissen,
Bilde mir nicht ein, was Rechts zu wissen,
Bilde mir nicht ein, ich konnte was lehren,
Die Menschen zu bessern und zu bekehren.
Auch hab ich weder Gut noch Geld,
Noch Ehr und Herrlichkeit der Welt;
Es mochte kein Hund so langer leben!
Drum hab ich mich der Magie ergeben,
Ob mir durch Geistes Kraft und Mund
Nicht manch Geheimnis wurde kund;
Dass ich nicht mehr mit saurem Schweiss
Zu sagen brauche, was ich nicht weiss;
Dass ich erkenne, was die Welt
Im Innersten zusammenhalt,
Schau alle Wirkenskraft und Samen,
Und tu nicht mehr in Worten kramen.
O sahst du, voller Mondenschein,
Zum letztenmal auf meine Pein,
Den ich so manche Mitternacht
An diesem Pult herangewacht:
Dann uber Buchern und Papier,
Trubsel'ger Freund, erschienst du mir!
Ach! konnt ich doch auf Bergeshohn
In deinem lieben Lichte gehn,
Um Bergeshohle mit Geistern schweben,
Auf Wiesen in deinem Dammer weben,
Von allem Wissensqualm entladen,
In deinem Tau gesund mich baden!
Weh! steck ich in dem Kerker noch?
Verfluchtes dumpfes Mauerloch,
Wo selbst das liebe Himmelslicht
Trub durch gemalte Scheiben bricht!
Beschrankt mit diesem Bucherhauf,
den Wurme nagen, Staub bedeckt,
Den bis ans hohe Gewolb hinauf
Ein angeraucht Papier umsteckt;
Mit Glasern, Buchsen rings umstellt,
Mit Instrumenten vollgepfropft,
Urvater Hausrat drein gestopft-
Das ist deine Welt! das heisst eine Welt!
Und fragst du noch, warum dein Herz
Sich bang in deinem Busen klemmt?
Warum ein unerklarter Schmerz
Dir alle Lebensregung hemmt?
Statt der lebendigen Natur,
Da Gott die Menschen schuf hinein,
Umgibt in Rauch und Moder nur
Dich Tiergeripp und Totenbein.
Flieh! auf! hinaus ins weite Land!
Und dies geheimnisvolle Buch,
Von Nostradamus' eigner Hand,
Ist dir es nicht Geleit genug?
Erkennest dann der Sterne Lauf,
Und wenn Natur dich Unterweist,
Dann geht die Seelenkraft dir auf,
Wie spricht ein Geist zum andren Geist.
Umsonst, dass trocknes Sinnen hier
Die heil'gen Zeichen dir erklart:
Ihr schwebt, ihr Geister, neben mir;
Antwortet mir, wenn ihr mich hort!
(Er schlagt das Buch auf und erblickt das Zeichen des Makrokosmus. )
Ha! welche Wonne fliesst in diesem Blick
Auf einmal mir durch alle meine Sinnen!
Ich fuhle junges, heil'ges Lebensgluck
Neugluhend mir durch Nerv' und Adern rinnen.
War es ein Gott, der diese Zeichen schrieb,
Die mir das innre Toben stillen,
Das arme Herz mit Freude fullen,
Und mit geheimnisvollem Trieb
Die Krafte der Natur rings um mich her enthullen?
Bin ich ein Gott?
Erkennest dann der Sterne Lauf,
Und wenn Natur dich Unterweist,
Dann geht die Seelenkraft dir auf,
Wie spricht ein Geist zum andren Geist.
Umsonst, dass trocknes Sinnen hier
Die heil'gen Zeichen dir erklart:
Ihr schwebt, ihr Geister, neben mir;
Antwortet mir, wenn ihr mich hort!
(Er schlagt das Buch auf und erblickt das Zeichen des Makrokosmus. )
Ha! welche Wonne fliesst in diesem Blick
Auf einmal mir durch alle meine Sinnen!
Ich fuhle junges, heil'ges Lebensgluck
Neugluhend mir durch Nerv' und Adern rinnen.
War es ein Gott, der diese Zeichen schrieb,
Die mir das innre Toben stillen,
Das arme Herz mit Freude fullen,
Und mit geheimnisvollem Trieb
Die Krafte der Natur rings um mich her enthullen?
Bin ich ein Gott? Mir wird so licht!
Ich schau in diesen reinen Zugen
Die wirkende Natur vor meiner Seele liegen.
Jetzt erst erkenn ich, was der Weise spricht:
"Die Geisterwelt ist nicht verschlossen;
Dein Sinn ist zu, dein Herz ist tot!
Auf, bade, Schuler, unverdrossen
Die ird'sche Brust im Morgenrot! "
(er beschaut das Zeichen. )
Wie alles sich zum Ganzen webt,
Eins in dem andern wirkt und lebt!
Wie Himmelskrafte auf und nieder steigen
Und sich die goldnen Eimer reichen!
Mit segenduftenden Schwingen
Vom Himmel durch die Erde dringen,
Harmonisch all das All durchklingen!
Welch Schauspiel! Aber ach! ein Schauspiel nur!
Wo fass ich dich, unendliche Natur?
Euch Bruste, wo? Ihr Quellen alles Lebens,
An denen Himmel und Erde hangt,
Dahin die welke Brust sich drangt-
Ihr quellt, ihr trankt, und schmacht ich so vergebens?
(er schlagt unwillig das Buch um und erblickt das Zeichen des Erdgeistes. )
Wie anders wirkt dies Zeichen auf mich ein!
Du, Geist der Erde, bist mir naher;
Schon fuhl ich meine Krafte hoher,
Schon gluh ich wie von neuem Wein.
Ich fuhle Mut, mich in die Welt zu wagen,
Der Erde Weh, der Erde Gluck zu tragen,
Mit Sturmen mich herumzuschlagen
Und in des Schiffbruchs Knirschen nicht zu zagen.
Es wolkt sich uber mir-
Der Mond verbirgt sein Licht-
Die Lampe schwindet!
Es dampft! Es zucken rote Strahlen
Mir um das Haupt- Es weht
Ein Schauer vom Gewolb herab
Und fasst mich an!
Ich fuhl's, du schwebst um mich, erflehter Geist
Enthulle dich!
Ha! wie's in meinem Herzen reisst!
Zu neuen Gefuhlen
All meine Sinnen sich erwuhlen!
Ich fuhle ganz mein Herz dir hingegeben!
Du musst! du musst! und kostet es mein Leben!
(Er fasst das Buch und spricht das Zeichen des Geistes geheimnisvoll aus.
Es zuckt eine rotliche Flamme, der Geist erscheint in der Flamme. )
GEIST:
Wer ruft mir?
FAUST (abgewendet):
Schreckliches Gesicht!
GEIST:
Du hast mich machtig angezogen,
An meiner Sphare lang gesogen,
Und nun-
FAUST:
Weh! ich ertrag dich nicht!
GEIST:
Du flehst, eratmend mich zu schauen,
Meine Stimme zu horen, mein Antlitz zu sehn;
Mich neigt dein machtig Seelenflehn,
Da bin ich! - Welch erbarmlich Grauen
Fasst Ubermenschen dich! Wo ist der Seele Ruf?
Wo ist die Brust, die eine Welt in sich erschuf
Und trug und hegte, die mit Freudebeben
Erschwoll, sich uns, den Geistern, gleich zu heben?
Wo bist du, Faust, des Stimme mir erklang,
Der sich an mich mit allen Kraften drang?
Bist du es, der, von meinem Hauch umwittert,
In allen Lebenslagen zittert,
Ein furchtsam weggekrummter Wurm?
FAUST:
Soll ich dir, Flammenbildung, weichen?
Ich bin's, bin Faust, bin deinesgleichen!
GEIST:
In Lebensfluten, im Tatensturm
Wall ich auf und ab,
Wehe hin und her!
Geburt und Grab,
Ein ewiges Meer,
Ein wechselndes Wehen,
Ein gluhend Leben,
So schaff ich am laufenden Webstuhl der Zeit
Und wirke der Gottheit lebendiges Kleid.
FAUST:
Der du die weite Welt umschweifst,
Geschaftiger Geist, wie nah fuhl ich mich dir!
GEIST:
Du gleichst dem Geist, den du begreifst,
Nicht mir!
(verschwindet)
FAUST (zusammensturzend):
Nicht dir?
Wem denn?
Ich Ebenbild der Gottheit!
Und nicht einmal dir!
(es klopft)
O Tod! ich kenn's- das ist mein Famulus-
Es wird mein schonstes Gluck zunichte!
Dass diese Fulle der Gesichte
Der trockne Schleicher storen muss!
(Wagner im Schlafrock und der Nachtmutze, eine Lampe in der Hand.
Faust wendet sich unwillig. )
WAGNER:
Verzeiht! ich hor euch deklamieren;
Ihr last gewiss ein griechisch Trauerspiel?
In dieser Kunst mocht ich was profitieren,
Denn heutzutage wirkt das viel.
Ich hab es ofters ruhmen horen,
Ein Komodiant konnt einen Pfarrer lehren.
FAUST:
Ja, wenn der Pfarrer ein Komodiant ist;
Wie das denn wohl zuzeiten kommen mag.
WAGNER:
Ach! wenn man so in sein Museum gebannt ist,
Und sieht die Welt kaum einen Feiertag,
Kaum durch ein Fernglas, nur von weitem,
Wie soll man sie durch Uberredung leiten?
FAUST:
Wenn ihr's nicht fuhlt, ihr werdet's nicht erjagen,
Wenn es nicht aus der Seele dringt
Und mit urkraftigem Behagen
Die Herzen aller Horer zwingt.
Sitzt ihr nur immer! leimt zusammen,
Braut ein Ragout von andrer Schmaus
Und blast die kummerlichen Flammen
Aus eurem Aschenhaufchen 'raus!
Bewundrung von Kindern und Affen,
Wenn euch darnach der Gaumen steht-
Doch werdet ihr nie Herz zu Herzen schaffen,
Wenn es euch nicht von Herzen geht.
WAGNER:
Allein der Vortrag macht des Redners Gluck;
Ich fuhl es wohl, noch bin ich weit zuruck.
FAUST:
Such Er den redlichen Gewinn!
Sei Er kein schellenlauter Tor!
Es tragt Verstand und rechter Sinn
Mit wenig Kunst sich selber vor!
Und wenn's euch Ernst ist, was zu sagen,
Ist's notig, Worten nachzujagen?
Ja, eure Reden, die so blinkend sind,
In denen ihr der Menschheit Schnitzel krauselt,
Sind unerquicklich wie der Nebelwind,
Der herbstlich durch die durren Blatter sauselt!
WAGNER:
Ach Gott! die Kunst ist lang;
Und kurz ist unser Leben.
Mir wird, bei meinem kritischen Bestreben,
Doch oft um Kopf und Busen bang.
Wie schwer sind nicht die Mittel zu erwerben,
Durch die man zu den Quellen steigt!
Und eh man nur den halben Weg erreicht,
Muss wohl ein armer Teufel sterben.
FAUST:
Das Pergament, ist das der heil'ge Bronnen,
Woraus ein Trunk den Durst auf ewig stillt?
Erquickung hast du nicht gewonnen,
Wenn sie dir nicht aus eigner Seele quillt.
WAGNER:
Verzeiht! es ist ein gross Ergetzen,
Sich in den Geist der Zeiten zu versetzen;
Zu schauen, wie vor uns ein weiser Mann gedacht,
Und wie wir's dann zuletzt so herrlich weit gebracht.
FAUST:
O ja, bis an die Sterne weit!
Mein Freund, die Zeiten der Vergangenheit
Sind uns ein Buch mit sieben Siegeln.
Was ihr den Geist der Zeiten heisst,
Das ist im Grund der Herren eigner Geist,
In dem die Zeiten sich bespiegeln.
Da ist's denn wahrlich oft ein Jammer!
Man lauft euch bei dem ersten Blick davon.
Ein Kehrichtfass und eine Rumpelkammer
Und hochstens eine Haupt- und Staatsaktion
Mit trefflichen pragmatischen Maximen,
Wie sie den Puppen wohl im Munde ziemen!
WAGNER:
Allein die Welt! des Menschen Herz und Geist!
Mocht jeglicher doch was davon erkennen.
FAUST:
Ja, was man so erkennen heisst!
Wer darf das Kind beim Namen nennen?
Die wenigen, die was davon erkannt,
Die toricht g'nug ihr volles Herz nicht wahrten,
Dem Pobel ihr Gefuhl, ihr Schauen offenbarten,
Hat man von je gekreuzigt und verbrannt.
Ich bitt Euch, Freund, es ist tief in der Nacht,
Wir mussen's diesmal unterbrechen.
WAGNER:
Ich hatte gern nur immer fortgewacht,
Um so gelehrt mit Euch mich zu besprechen.
Doch morgen, als am ersten Ostertage,
Erlaubt mir ein' und andre Frage.
Mit Eifer hab' ich mich der Studien beflissen;
Zwar weiss ich viel, doch mocht' ich alles wissen.
(Ab. )
FAUST (allein):
Wie nur dem Kopf nicht alle Hoffnung schwindet,
Der immerfort an schalem Zeuge klebt,
Mit gier'ger Hand nach Schatzen grabt,
Und froh ist, wenn er Regenwurmer findet!
Darf eine solche Menschenstimme hier,
Wo Geisterfulle mich umgab, ertonen?
Doch ach! fur diesmal dank ich dir,
Dem armlichsten von allen Erdensohnen.
Du rissest mich von der Verzweiflung los,
Die mir die Sinne schon zerstoren wollte.
Ach! die Erscheinung war so riesengross,
Dass ich mich recht als Zwerg empfinden sollte.
Ich, Ebenbild der Gottheit, das sich schon
Ganz nah gedunkt dem Spiegel ew'ger Wahrheit,
Sein selbst genoss in Himmelsglanz und Klarheit,
Und abgestreift den Erdensohn;
Ich, mehr als Cherub, dessen freie Kraft
Schon durch die Adern der Natur zu fliessen
Und, schaffend, Gotterleben zu geniessen
Sich ahnungsvoll vermass, wie muss ich's bussen!
Ein Donnerwort hat mich hinweggerafft.
Nicht darf ich dir zu gleichen mich vermessen;
Hab ich die Kraft dich anzuziehn besessen,
So hatt ich dich zu halten keine Kraft.
In jenem sel'gen Augenblicke
Ich fuhlte mich so klein, so gross;
Du stiessest grausam mich zurucke,
Ins ungewisse Menschenlos.
Wer lehret mich? was soll ich meiden?
Soll ich gehorchen jenem Drang?
Ach! unsre Taten selbst, so gut als unsre Leiden,
Sie hemmen unsres Lebens Gang.
Dem Herrlichsten, was auch der Geist empfangen,
Drangt immer fremd und fremder Stoff sich an;
Wenn wir zum Guten dieser Welt gelangen,
Dann heisst das Bessre Trug und Wahn.
Die uns das Leben gaben, herrliche Gefuhle
Erstarren in dem irdischen Gewuhle.
Wenn Phantasie sich sonst mit kuhnem Flug
Und hoffnungsvoll zum Ewigen erweitert,
So ist ein kleiner Raum ihr nun genug,
Wenn Gluck auf Gluck im Zeitenstrudel scheitert.
Die Sorge nistet gleich im tiefen Herzen,
Dort wirket sie geheime Schmerzen,
Unruhig wiegt sie sich und storet Lust und Ruh;
Sie deckt sich stets mit neuen Masken zu,
Sie mag als Haus und Hof, als Weib und Kind erscheinen,
Als Feuer, Wasser, Dolch und Gift;
Du bebst vor allem, was nicht trifft,
Und was du nie verlierst, das musst du stets beweinen.
Den Gottern gleich ich nicht! zu tief ist es gefuhlt;
Dem Wurme gleich ich, der den Staub durchwuhlt,
Den, wie er sich im Staube nahrend lebt,
Des Wandrers Tritt vernichtet und begrabt.
Ist es nicht Staub, was diese hohe Wand
Aus hundert Fachern mit verenget?
Der Trodel, der mit tausendfachem Tand
In dieser Mottenwelt mich dranget?
Hier soll ich finden, was mir fehlt?
Soll ich vielleicht in tausend Buchern lesen,
Dass uberall die Menschen sich gequalt,
Dass hie und da ein Glucklicher gewesen? -
Was grinsest du mir, hohler Schadel, her?
Als dass dein Hirn, wie meines, einst verwirret
Den leichten Tag gesucht und in der Dammrung schwer,
Mit Lust nach Wahrheit, jammerlich geirret.
Ihr Instrumente freilich spottet mein,
Mit Rad und Kammen, Walz und Bugel:
Ich stand am Tor, ihr solltet Schlussel sein;
Zwar euer Bart ist kraus, doch hebt ihr nicht die Riegel.
Geheimnisvoll am lichten Tag
Lasst sich Natur des Schleiers nicht berauben,
Und was sie deinem Geist nicht offenbaren mag,
Das zwingst du ihr nicht ab mit Hebeln und mit Schrauben.
Du alt Gerate, das ich nicht gebraucht,
Du stehst nur hier, weil dich mein Vater brauchte.
Du alte Rolle, du wirst angeraucht,
Solang an diesem Pult die trube Lampe schmauchte.
Weit besser hatt ich doch mein Weniges verprasst,
Als mit dem Wenigen belastet hier zu schwitzen!
Was du ererbt von deinen Vatern hast,
Erwirb es, um es zu besitzen.
Was man nicht nutzt, ist eine schwere Last,
Nur was der Augenblick erschafft, das kann er nutzen.
Doch warum heftet sich mein Blick auf jene Stelle?
Ist jenes Flaschchen dort den Augen ein Magnet?
Warum wird mir auf einmal lieblich helle,
Als wenn im nacht'gen Wald uns Mondenglanz umweht?
Ich grusse dich, du einzige Phiole,
Die ich mit Andacht nun herunterhole!
In dir verehr ich Menschenwitz und Kunst.
Du Inbegriff der holden Schlummersafte,
Du Auszug aller todlich feinen Krafte,
Erweise deinem Meister deine Gunst!
Ich sehe dich, es wird der Schmerz gelindert,
Ich fasse dich, das Streben wird gemindert,
Des Geistes Flutstrom ebbet nach und nach.
Ins hohe Meer werd ich hinausgewiesen,
Die Spiegelflut erglanzt zu meinen Fussen,
Zu neuen Ufern lockt ein neuer Tag.
Ein Feuerwagen schwebt, auf leichten Schwingen,
An mich heran! Ich fuhle mich bereit,
Auf neuer Bahn den Ather zu durchdringen,
Zu neuen Spharen reiner Tatigkeit.
Dies hohe Leben, diese Gotterwonne!
Du, erst noch Wurm, und die verdienest du?
Ja, kehre nur der holden Erdensonne
Entschlossen deinen Rucken zu!
Vermesse dich, die Pforten aufzureissen,
Vor denen jeder gern voruberschleicht!
Hier ist es Zeit, durch Taten zu beweisen,
Das Manneswurde nicht der Gotterhohe weicht,
Vor jener dunkeln Hohle nicht zu beben,
In der sich Phantasie zu eigner Qual verdammt,
Nach jenem Durchgang hinzustreben,
Um dessen engen Mund die ganze Holle flammt;
Zu diesem Schritt sich heiter zu entschliessen,
Und war es mit Gefahr, ins Nichts dahin zu fliessen.
Nun komm herab, kristallne reine Schale!
Hervor aus deinem alten Futterale,
An die ich viele Jahre nicht gedacht!
Du glanzetst bei der Vater Freudenfeste,
Erheitertest die ernsten Gaste,
Wenn einer dich dem andern zugebracht.
Der vielen Bilder kunstlich reiche Pracht,
Des Trinkers Pflicht, sie reimweis zu erklaren,
Auf einen Zug die Hohlung auszuleeren,
Erinnert mich an manche Jugendnacht.
Ich werde jetzt dich keinem Nachbar reichen,
Ich werde meinen Witz an deiner Kunst nicht zeigen.
Hier ist ein Saft, der eilig trunken macht;
Mit brauner Flut erfullt er deine Hohle.
Den ich bereit, den ich wahle,
"Der letzte Trunk sei nun, mit ganzer Seele,
Als festlich hoher Gruss, dem Morgen zugebracht!
(Er setzt die Schale an den Mund. )
Glockenklang und Chorgesang.
CHOR DER ENGEL:
Christ ist erstanden!
Freude dem Sterblichen,
Den die verderblichen,
Schleichenden, erblichen
Mangel unwanden.
FAUST:
Welch tiefes Summen, welch heller Ton
Zieht mit Gewalt das Glas von meinem Munde?
Verkundigt ihr dumpfen Glocken schon
Des Osterfestes erste Feierstunde?
Ihr Chore, singt ihr schon den trostlichen Gesang,
Der einst, um Grabes Nacht, von Engelslippen klang,
Gewissheit einem neuen Bunde?
CHOR DER WEIBER:
Mit Spezereien
Hatten wir ihn gepflegt,
Wir seine Treuen
Hatten ihn hingelegt;
Tucher und Binden
Reinlich unwanden wir,
Ach! und wir finden
Christ nicht mehr hier.
CHOR DER ENGEL:
Christ ist erstanden!
Selig der Liebende,
Der die betrubende,
Heilsam und ubende
Prufung bestanden.
FAUST:
Was sucht ihr, machtig und gelind,
Ihr Himmelstone, mich am Staube?
Klingt dort umher, wo weiche Menschen sind.
Die Botschaft hor ich wohl, allein mir fehlt der Glaube;
Das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind.
Zu jenen Spharen wag ich nicht zu streben,
Woher die holde Nachricht tont;
Und doch, an diesen Klang von Jugend auf gewohnt,
Ruft er auch jetzt zuruck mich in das Leben.
Sonst sturzte sich der Himmelsliebe Kuss
Auf mich herab in ernster Sabbatstille;
Da klang so ahnungsvoll des Glockentones Fulle,
Und ein Gebet war brunstiger Genuss;
Ein unbegreiflich holdes Sehnen
Trieb mich, durch Wald und Wiesen hinzugehn,
Und unter tausend heissen Tranen
Fuhlt ich mir eine Welt entstehn.
Dies Lied verkundete der Jugend muntre Spiele,
Der Fruhlingsfeier freies Gluck;
Erinnrung halt mich nun, mit kindlichem Gefuhle,
Vom letzten, ernsten Schritt zuruck.
O tonet fort, ihr sussen Himmelslieder!
Die Trane quillt, die Erde hat mich wieder!
CHOR DER JUNGER:
Hat der Begrabene
Schon sich nach oben,
Lebend Erhabene,
Herrlich erhoben;
Ist er in Werdeluft
Schaffender Freude nah:
Ach! an der Erde Brust
Sind wir zum Leide da.
Liess er die Seinen
Schmachtend uns hier zuruck;
Ach! wir beweinen,
Meister, dein Gluck!
CHOR DER ENGEL:
Christ ist erstanden,
Aus der Verwesung Schoss.
Reisset von Banden
Freudig euch los!
Tatig ihn preisenden,
Liebe beweisenden,
Bruderlich speisenden,
Predigend reisenden,
Wonne verheissenden
Euch ist der Meister nah,
Euch ist er da!
Vor dem Tor
Spazierganger aller Art ziehen hinaus.
EINIGE HANDWERKSBURSCHE:
Warum denn dort hinaus?
ANDRE:
Wir gehn hinaus aufs Jagerhaus.
DIE ERSTEN:
Wir aber wollen nach der Muhle wandern.
EIN HANDWERKSBURSCH:
Ich rat euch, nach dem Wasserhof zu gehn.
ZWEITER:
Der Weg dahin ist gar nicht schon.
DIE ZWEITEN:
Was tust denn du?
EIN DRITTER:
Ich gehe mit den andern.
VIERTER:
Nach Burgdorf kommt herauf, gewiss dort findet ihr
Die schonsten Madchen und das beste Bier,
Und Handel von der ersten Sorte.
FUNFTER:
Du uberlustiger Gesell,
Juckt dich zum drittenmal das Fell?
Ich mag nicht hin, mir graut es vor dem Orte.
Johann Wolfgang von Goethe
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Title: Faust: Der Tragodie erster Teil
Author: Johann Wolfgang von Goethe
Posting Date: January 26, 2010 [EBook #2229]
Release Date: June 2000
[This file last updated on August 4, 2010]
Language: German
*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK FAUST: DER TRAGODIE ERSTER TEIL ***
Produced by Michael Pullen
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Faust: Der Tragodie erster Teil
Johann Wolfgang von Goethe
Zueignung.
Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten,
Die fruh sich einst dem truben Blick gezeigt.
Versuch ich wohl, euch diesmal festzuhalten?
Fuhl ich mein Herz noch jenem Wahn geneigt?
Ihr drangt euch zu! nun gut, so mogt ihr walten,
Wie ihr aus Dunst und Nebel um mich steigt;
Mein Busen fuhlt sich jugendlich erschuttert
Vom Zauberhauch, der euren Zug umwittert.
Ihr bringt mit euch die Bilder froher Tage,
Und manche liebe Schatten steigen auf;
Gleich einer alten, halbverklungnen Sage
Kommt erste Lieb und Freundschaft mit herauf;
Der Schmerz wird neu, es wiederholt die Klage
Des Lebens labyrinthisch irren Lauf,
Und nennt die Guten, die, um schone Stunden
Vom Gluck getauscht, vor mir hinweggeschwunden.
Sie horen nicht die folgenden Gesange,
Die Seelen, denen ich die ersten sang;
Zerstoben ist das freundliche Gedrange,
Verklungen, ach! der erste Widerklang.
Mein Lied ertont der unbekannten Menge,
Ihr Beifall selbst macht meinem Herzen bang,
Und was sich sonst an meinem Lied erfreuet,
Wenn es noch lebt, irrt in der Welt zerstreuet.
Und mich ergreift ein langst entwohntes Sehnen
Nach jenem stillen, ernsten Geisterreich,
Es schwebet nun in unbestimmten Tonen
Mein lispelnd Lied, der Aolsharfe gleich,
Ein Schauer fasst mich, Trane folgt den Tranen,
Das strenge Herz, es fuhlt sich mild und weich;
Was ich besitze, seh ich wie im Weiten,
Und was verschwand, wird mir zu Wirklichkeiten.
Vorspiel auf dem Theater
Direktor. Theatherdichter. Lustige Person:
DIREKTOR:
Ihr beiden, die ihr mir so oft,
In Not und Trubsal, beigestanden,
Sagt, was ihr wohl in deutschen Landen
Von unsrer Unternehmung hofft?
Ich wunschte sehr der Menge zu behagen,
Besonders weil sie lebt und leben lasst.
Die Pfosten sind, die Bretter aufgeschlagen,
Und jedermann erwartet sich ein Fest.
Sie sitzen schon mit hohen Augenbraunen
Gelassen da und mochten gern erstaunen.
Ich weiss, wie man den Geist des Volks versohnt;
Doch so verlegen bin ich nie gewesen:
Zwar sind sie an das Beste nicht gewohnt,
Allein sie haben schrecklich viel gelesen.
Wie machen wir's, dass alles frisch und neu
Und mit Bedeutung auch gefallig sei?
Denn freilich mag ich gern die Menge sehen,
Wenn sich der Strom nach unsrer Bude drangt,
Und mit gewaltig wiederholten Wehen
Sich durch die enge Gnadenpforte zwangt;
Bei hellem Tage, schon vor vieren,
Mit Stossen sich bis an die Kasse ficht
Und, wie in Hungersnot um Brot an Backerturen,
Um ein Billet sich fast die Halse bricht.
Dies Wunder wirkt auf so verschiedne Leute
Der Dichter nur; mein Freund, o tu es heute!
DICHTER:
O sprich mir nicht von jener bunten Menge,
Bei deren Anblick uns der Geist entflieht.
Verhulle mir das wogende Gedrange,
Das wider Willen uns zum Strudel zieht.
Nein, fuhre mich zur stillen Himmelsenge,
Wo nur dem Dichter reine Freude bluht;
Wo Lieb und Freundschaft unsres Herzens Segen
Mit Gotterhand erschaffen und erpflegen.
Ach! was in tiefer Brust uns da entsprungen,
Was sich die Lippe schuchtern vorgelallt,
Missraten jetzt und jetzt vielleicht gelungen,
Verschlingt des wilden Augenblicks Gewalt.
Oft, wenn es erst durch Jahre durchgedrungen,
Erscheint es in vollendeter Gestalt.
Was glanzt, ist fur den Augenblick geboren,
Das Echte bleibt der Nachwelt unverloren.
LUSTIGE PERSON:
Wenn ich nur nichts von Nachwelt horen sollte.
Gesetzt, dass ich von Nachwelt reden wollte,
Wer machte denn der Mitwelt Spass?
Den will sie doch und soll ihn haben.
Die Gegenwart von einem braven Knaben
Ist, dacht ich, immer auch schon was.
Wer sich behaglich mitzuteilen weiss,
Den wird des Volkes Laune nicht erbittern;
Er wunscht sich einen grossen Kreis,
Um ihn gewisser zu erschuttern.
Drum seid nur brav und zeigt euch musterhaft,
Lasst Phantasie, mit allen ihren Choren,
Vernunft, Verstand, Empfindung, Leidenschaft,
Doch, merkt euch wohl! nicht ohne Narrheit horen.
DIREKTOR:
Besonders aber lasst genug geschehn!
Man kommt zu schaun, man will am liebsten sehn.
Wird vieles vor den Augen abgesponnen,
So dass die Menge staunend gaffen kann,
Da habt Ihr in der Breite gleich gewonnen,
Ihr seid ein vielgeliebter Mann.
Die Masse konnt Ihr nur durch Masse zwingen,
Ein jeder sucht sich endlich selbst was aus.
Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen;
Und jeder geht zufrieden aus dem Haus.
Gebt Ihr ein Stuck, so gebt es gleich in Stucken!
Solch ein Ragout, es muss Euch glucken;
Leicht ist es vorgelegt, so leicht als ausgedacht.
Was hilft's, wenn Ihr ein Ganzes dargebracht?
Das Publikum wird es Euch doch zerpflucken.
DICHTER:
Ihr fuhlet nicht, wie schlecht ein solches Handwerk sei!
Wie wenig das dem echten Kunstler zieme!
Der saubern Herren Pfuscherei
Ist. merk ich. schon bei Euch Maxime.
DIREKTOR:
Ein solcher Vorwurf lasst mich ungekrankt:
Ein Mann, der recht zu wirken denkt,
Muss auf das beste Werkzeug halten.
Bedenkt, Ihr habet weiches Holz zu spalten,
Und seht nur hin, fur wen Ihr schreibt!
Wenn diesen Langeweile treibt,
Kommt jener satt vom ubertischten Mahle,
Und, was das Allerschlimmste bleibt,
Gar mancher kommt vom Lesen der Journale.
Man eilt zerstreut zu uns, wie zu den Maskenfesten,
Und Neugier nur beflugelt jeden Schritt;
Die Damen geben sich und ihren Putz zum besten
Und spielen ohne Gage mit.
Was traumet Ihr auf Eurer Dichterhohe?
Was macht ein volles Haus Euch froh?
Beseht die Gonner in der Nahe!
Halb sind sie kalt, halb sind sie roh.
Der, nach dem Schauspiel, hofft ein Kartenspiel,
Der eine wilde Nacht an einer Dirne Busen.
Was plagt ihr armen Toren viel,
Zu solchem Zweck, die holden Musen?
Ich sag Euch, gebt nur mehr und immer, immer mehr,
So konnt Ihr Euch vom Ziele nie verirren
Sucht nur die Menschen zu verwirren,
Sie zu befriedigen, ist schwer--
Was fallt Euch an? Entzuckung oder Schmerzen?
DICHTER:
Geh hin und such dir einen andern Knecht!
Der Dichter sollte wohl das hochste Recht,
Das Menschenrecht, das ihm Natur vergonnt,
Um deinetwillen freventlich verscherzen!
Wodurch bewegt er alle Herzen?
Wodurch besiegt er jedes Element?
Ist es der Einklang nicht, der aus dem Busen dringt,
Und in sein Herz die Welt zurucke schlingt?
Wenn die Natur des Fadens ew'ge Lange,
Gleichgultig drehend, auf die Spindel zwingt,
Wenn aller Wesen unharmon'sche Menge
Verdriesslich durcheinander klingt-
Wer teilt die fliessend immer gleiche Reihe
Belebend ab, dass sie sich rhythmisch regt?
Wer ruft das Einzelne zur allgemeinen Weihe,
Wo es in herrlichen Akkorden schlagt?
Wer lasst den Sturm zu Leidenschaften wuten?
Das Abendrot im ernsten Sinne gluhn?
Wer schuttet alle schonen Fruhlingsbluten
Auf der Geliebten Pfade hin?
Wer flicht die unbedeutend grunen Blatter
Zum Ehrenkranz Verdiensten jeder Art?
Wer sichert den Olymp? vereinet Gotter?
Des Menschen Kraft, im Dichter offenbart.
LUSTIGE PERSON:
So braucht sie denn, die schonen Krafte
Und treibt die dichtrischen Geschafte
Wie man ein Liebesabenteuer treibt.
Zufallig naht man sich, man fuhlt, man bleibt
Und nach und nach wird man verflochten;
Es wachst das Gluck, dann wird es angefochten
Man ist entzuckt, nun kommt der Schmerz heran,
Und eh man sich's versieht, ist's eben ein Roman.
Lasst uns auch so ein Schauspiel geben!
Greift nur hinein ins volle Menschenleben!
Ein jeder lebt's, nicht vielen ist's bekannt,
Und wo ihr's packt, da ist's interessant.
In bunten Bildern wenig Klarheit,
Viel Irrtum und ein Funkchen Wahrheit,
So wird der beste Trank gebraut,
Der alle Welt erquickt und auferbaut.
Dann sammelt sich der Jugend schonste Blute
Vor eurem Spiel und lauscht der Offenbarung,
Dann sauget jedes zartliche Gemute
Aus eurem Werk sich melanchol'sche Nahrung,
Dann wird bald dies, bald jenes aufgeregt
Ein jeder sieht, was er im Herzen tragt.
Noch sind sie gleich bereit, zu weinen und zu lachen,
Sie ehren noch den Schwung, erfreuen sich am Schein;
Wer fertig ist, dem ist nichts recht zu machen;
Ein Werdender wird immer dankbar sein.
DICHTER:
So gib mir auch die Zeiten wieder,
Da ich noch selbst im Werden war,
Da sich ein Quell gedrangter Lieder
Ununterbrochen neu gebar,
Da Nebel mir die Welt verhullten,
Die Knospe Wunder noch versprach,
Da ich die tausend Blumen brach,
Die alle Taler reichlich fullten.
Ich hatte nichts und doch genug:
Den Drang nach Wahrheit und die Lust am Trug.
Gib ungebandigt jene Triebe,
Das tiefe, schmerzenvolle Gluck,
Des Hasses Kraft, die Macht der Liebe,
Gib meine Jugend mir zuruck!
LUSTIGE PERSON:
Der Jugend, guter Freund, bedarfst du allenfalls,
Wenn dich in Schlachten Feinde drangen,
Wenn mit Gewalt an deinen Hals
Sich allerliebste Madchen hangen,
Wenn fern des schnellen Laufes Kranz
Vom schwer erreichten Ziele winket,
Wenn nach dem heft'gen Wirbeltanz
Die Nachte schmausend man vertrinket.
Doch ins bekannte Saitenspiel
Mit Mut und Anmut einzugreifen,
Nach einem selbstgesteckten Ziel
Mit holdem Irren hinzuschweifen,
Das, alte Herrn, ist eure Pflicht,
Und wir verehren euch darum nicht minder.
Das Alter macht nicht kindisch, wie man spricht,
Es findet uns nur noch als wahre Kinder.
DIREKTOR:
Der Worte sind genug gewechselt,
Lasst mich auch endlich Taten sehn!
Indes ihr Komplimente drechselt,
Kann etwas Nutzliches geschehn.
Was hilft es, viel von Stimmung reden?
Dem Zaudernden erscheint sie nie.
Gebt ihr euch einmal fur Poeten,
So kommandiert die Poesie.
Euch ist bekannt, was wir bedurfen,
Wir wollen stark Getranke schlurfen;
Nun braut mir unverzuglich dran!
Was heute nicht geschieht, ist morgen nicht getan,
Und keinen Tag soll man verpassen,
Das Mogliche soll der Entschluss
Beherzt sogleich beim Schopfe fassen,
Er will es dann nicht fahren lassen
Und wirket weiter, weil er muss.
Ihr wisst, auf unsern deutschen Buhnen
Probiert ein jeder, was er mag;
Drum schonet mir an diesem Tag
Prospekte nicht und nicht Maschinen.
Gebraucht das gross, und kleine Himmelslicht,
Die Sterne durfet ihr verschwenden;
An Wasser, Feuer, Felsenwanden,
An Tier und Vogeln fehlt es nicht.
So schreitet in dem engen Bretterhaus
Den ganzen Kreis der Schopfung aus,
Und wandelt mit bedacht'ger Schnelle
Vom Himmel durch die Welt zur Holle.
Prolog im Himmel.
Der Herr. Die himmlischen Heerscharen. Nachher Mephistopheles.
Die drei Erzengel treten vor.
RAPHAEL:
Die Sonne tont, nach alter Weise,
In Bruderspharen Wettgesang,
Und ihre vorgeschriebne Reise
Vollendet sie mit Donnergang.
Ihr Anblick gibt den Engeln Starke,
Wenn keiner Sie ergrunden mag;
die unbegreiflich hohen Werke
Sind herrlich wie am ersten Tag.
GABRIEL:
Und schnell und unbegreiflich schnelle
Dreht sich umher der Erde Pracht;
Es wechselt Paradieseshelle
Mit tiefer, schauervoller Nacht.
Es schaumt das Meer in breiten Flussen
Am tiefen Grund der Felsen auf,
Und Fels und Meer wird fortgerissen
Im ewig schnellem Spharenlauf.
MICHAEL:
Und Sturme brausen um die Wette
Vom Meer aufs Land, vom Land aufs Meer,
und bilden wutend eine Kette
Der tiefsten Wirkung rings umher.
Da flammt ein blitzendes Verheeren
Dem Pfade vor des Donnerschlags.
Doch deine Boten, Herr, verehren
Das sanfte Wandeln deines Tags.
ZU DREI:
Der Anblick gibt den Engeln Starke,
Da keiner dich ergrunden mag,
Und alle deine hohen Werke
Sind herrlich wie am ersten Tag.
MEPHISTOPHELES:
Da du, o Herr, dich einmal wieder nahst
Und fragst, wie alles sich bei uns befinde,
Und du mich sonst gewohnlich gerne sahst,
So siehst du mich auch unter dem Gesinde.
Verzeih, ich kann nicht hohe Worte machen,
Und wenn mich auch der ganze Kreis verhohnt;
Mein Pathos brachte dich gewiss zum Lachen,
Hattst du dir nicht das Lachen abgewohnt.
Von Sonn' und Welten weiss ich nichts zu sagen,
Ich sehe nur, wie sich die Menschen plagen.
Der kleine Gott der Welt bleibt stets von gleichem Schlag,
Und ist so wunderlich als wie am ersten Tag.
Ein wenig besser wurd er leben,
Hattst du ihm nicht den Schein des Himmelslichts gegeben;
Er nennt's Vernunft und braucht's allein,
Nur tierischer als jedes Tier zu sein.
Er scheint mir, mit Verlaub von euer Gnaden,
Wie eine der langbeinigen Zikaden,
Die immer fliegt und fliegend springt
Und gleich im Gras ihr altes Liedchen singt;
Und lag er nur noch immer in dem Grase!
In jeden Quark begrabt er seine Nase.
DER HERR:
Hast du mir weiter nichts zu sagen?
Kommst du nur immer anzuklagen?
Ist auf der Erde ewig dir nichts recht?
MEPHISTOPHELES:
Nein Herr! ich find es dort, wie immer, herzlich schlecht.
Die Menschen dauern mich in ihren Jammertagen,
Ich mag sogar die armen selbst nicht plagen.
DER HERR:
Kennst du den Faust?
MEPHISTOPHELES:
Den Doktor?
DER HERR:
Meinen Knecht!
MEPHISTOPHELES:
Furwahr! er dient Euch auf besondre Weise.
Nicht irdisch ist des Toren Trank noch Speise.
Ihn treibt die Garung in die Ferne,
Er ist sich seiner Tollheit halb bewusst;
Vom Himmel fordert er die schonsten Sterne
Und von der Erde jede hochste Lust,
Und alle Nah und alle Ferne
Befriedigt nicht die tiefbewegte Brust.
DER HERR:
Wenn er mir auch nur verworren dient,
So werd ich ihn bald in die Klarheit fuhren.
Weiss doch der Gartner, wenn das Baumchen grunt,
Das Blut und Frucht die kunft'gen Jahre zieren.
MEPHISTOPHELES:
Was wettet Ihr? den sollt Ihr noch verlieren!
Wenn Ihr mir die Erlaubnis gebt,
Ihn meine Strasse sacht zu fuhren.
DER HERR:
Solang er auf der Erde lebt,
So lange sei dir's nicht verboten,
Es irrt der Mensch so lang er strebt.
MEPHISTOPHELES:
Da dank ich Euch; denn mit den Toten
Hab ich mich niemals gern befangen.
Am meisten lieb ich mir die vollen, frischen Wangen.
Fur einem Leichnam bin ich nicht zu Haus;
Mir geht es wie der Katze mit der Maus.
DER HERR:
Nun gut, es sei dir uberlassen!
Zieh diesen Geist von seinem Urquell ab,
Und fuhr ihn, kannst du ihn erfassen,
Auf deinem Wege mit herab,
Und steh beschamt, wenn du bekennen musst:
Ein guter Mensch, in seinem dunklen Drange,
Ist sich des rechten Weges wohl bewusst.
MEPHISTOPHELES:
Schon gut! nur dauert es nicht lange.
Mir ist fur meine Wette gar nicht bange.
Wenn ich zu meinem Zweck gelange,
Erlaubt Ihr mir Triumph aus voller Brust.
Staub soll er fressen, und mit Lust,
Wie meine Muhme, die beruhmte Schlange.
DER HERR:
Du darfst auch da nur frei erscheinen;
Ich habe deinesgleichen nie gehasst.
Von allen Geistern, die verneinen,
ist mir der Schalk am wenigsten zur Last.
Des Menschen Tatigkeit kann allzu leicht erschlaffen,
er liebt sich bald die unbedingte Ruh;
Drum geb ich gern ihm den Gesellen zu,
Der reizt und wirkt und muss als Teufel schaffen.
Doch ihr, die echten Gottersohne,
Erfreut euch der lebendig reichen Schone!
Das Werdende, das ewig wirkt und lebt,
Umfass euch mit der Liebe holden Schranken,
Und was in schwankender Erscheinung schwebt,
Befestigt mit dauernden Gedanken!
(Der Himmel schliesst, die Erzengel verteilen sich. )
MEPHISTOPHELES (allein):
Von Zeit zu Zeit seh ich den Alten gern,
Und hute mich, mit ihm zu brechen.
Es ist gar hubsch von einem grossen Herrn,
So menschlich mit dem Teufel selbst zu sprechen.
FAUST: Der Tragodie erster Teil
Nacht.
In einem hochgewolbten, engen gotischen Zimmer Faust,
unruhig auf seinem Sessel am Pulte.
FAUST:
Habe nun, ach! Philosophie,
Juristerei und Medizin,
Und leider auch Theologie
Durchaus studiert, mit heissem Bemuhn.
Da steh ich nun, ich armer Tor!
Und bin so klug als wie zuvor;
Heisse Magister, heisse Doktor gar
Und ziehe schon an die zehen Jahr
Herauf, herab und quer und krumm
Meine Schuler an der Nase herum-
Und sehe, dass wir nichts wissen konnen!
Das will mir schier das Herz verbrennen.
Zwar bin ich gescheiter als all die Laffen,
Doktoren, Magister, Schreiber und Pfaffen;
Mich plagen keine Skrupel noch Zweifel,
Furchte mich weder vor Holle noch Teufel-
Dafur ist mir auch alle Freud entrissen,
Bilde mir nicht ein, was Rechts zu wissen,
Bilde mir nicht ein, ich konnte was lehren,
Die Menschen zu bessern und zu bekehren.
Auch hab ich weder Gut noch Geld,
Noch Ehr und Herrlichkeit der Welt;
Es mochte kein Hund so langer leben!
Drum hab ich mich der Magie ergeben,
Ob mir durch Geistes Kraft und Mund
Nicht manch Geheimnis wurde kund;
Dass ich nicht mehr mit saurem Schweiss
Zu sagen brauche, was ich nicht weiss;
Dass ich erkenne, was die Welt
Im Innersten zusammenhalt,
Schau alle Wirkenskraft und Samen,
Und tu nicht mehr in Worten kramen.
O sahst du, voller Mondenschein,
Zum letztenmal auf meine Pein,
Den ich so manche Mitternacht
An diesem Pult herangewacht:
Dann uber Buchern und Papier,
Trubsel'ger Freund, erschienst du mir!
Ach! konnt ich doch auf Bergeshohn
In deinem lieben Lichte gehn,
Um Bergeshohle mit Geistern schweben,
Auf Wiesen in deinem Dammer weben,
Von allem Wissensqualm entladen,
In deinem Tau gesund mich baden!
Weh! steck ich in dem Kerker noch?
Verfluchtes dumpfes Mauerloch,
Wo selbst das liebe Himmelslicht
Trub durch gemalte Scheiben bricht!
Beschrankt mit diesem Bucherhauf,
den Wurme nagen, Staub bedeckt,
Den bis ans hohe Gewolb hinauf
Ein angeraucht Papier umsteckt;
Mit Glasern, Buchsen rings umstellt,
Mit Instrumenten vollgepfropft,
Urvater Hausrat drein gestopft-
Das ist deine Welt! das heisst eine Welt!
Und fragst du noch, warum dein Herz
Sich bang in deinem Busen klemmt?
Warum ein unerklarter Schmerz
Dir alle Lebensregung hemmt?
Statt der lebendigen Natur,
Da Gott die Menschen schuf hinein,
Umgibt in Rauch und Moder nur
Dich Tiergeripp und Totenbein.
Flieh! auf! hinaus ins weite Land!
Und dies geheimnisvolle Buch,
Von Nostradamus' eigner Hand,
Ist dir es nicht Geleit genug?
Erkennest dann der Sterne Lauf,
Und wenn Natur dich Unterweist,
Dann geht die Seelenkraft dir auf,
Wie spricht ein Geist zum andren Geist.
Umsonst, dass trocknes Sinnen hier
Die heil'gen Zeichen dir erklart:
Ihr schwebt, ihr Geister, neben mir;
Antwortet mir, wenn ihr mich hort!
(Er schlagt das Buch auf und erblickt das Zeichen des Makrokosmus. )
Ha! welche Wonne fliesst in diesem Blick
Auf einmal mir durch alle meine Sinnen!
Ich fuhle junges, heil'ges Lebensgluck
Neugluhend mir durch Nerv' und Adern rinnen.
War es ein Gott, der diese Zeichen schrieb,
Die mir das innre Toben stillen,
Das arme Herz mit Freude fullen,
Und mit geheimnisvollem Trieb
Die Krafte der Natur rings um mich her enthullen?
Bin ich ein Gott?
Erkennest dann der Sterne Lauf,
Und wenn Natur dich Unterweist,
Dann geht die Seelenkraft dir auf,
Wie spricht ein Geist zum andren Geist.
Umsonst, dass trocknes Sinnen hier
Die heil'gen Zeichen dir erklart:
Ihr schwebt, ihr Geister, neben mir;
Antwortet mir, wenn ihr mich hort!
(Er schlagt das Buch auf und erblickt das Zeichen des Makrokosmus. )
Ha! welche Wonne fliesst in diesem Blick
Auf einmal mir durch alle meine Sinnen!
Ich fuhle junges, heil'ges Lebensgluck
Neugluhend mir durch Nerv' und Adern rinnen.
War es ein Gott, der diese Zeichen schrieb,
Die mir das innre Toben stillen,
Das arme Herz mit Freude fullen,
Und mit geheimnisvollem Trieb
Die Krafte der Natur rings um mich her enthullen?
Bin ich ein Gott? Mir wird so licht!
Ich schau in diesen reinen Zugen
Die wirkende Natur vor meiner Seele liegen.
Jetzt erst erkenn ich, was der Weise spricht:
"Die Geisterwelt ist nicht verschlossen;
Dein Sinn ist zu, dein Herz ist tot!
Auf, bade, Schuler, unverdrossen
Die ird'sche Brust im Morgenrot! "
(er beschaut das Zeichen. )
Wie alles sich zum Ganzen webt,
Eins in dem andern wirkt und lebt!
Wie Himmelskrafte auf und nieder steigen
Und sich die goldnen Eimer reichen!
Mit segenduftenden Schwingen
Vom Himmel durch die Erde dringen,
Harmonisch all das All durchklingen!
Welch Schauspiel! Aber ach! ein Schauspiel nur!
Wo fass ich dich, unendliche Natur?
Euch Bruste, wo? Ihr Quellen alles Lebens,
An denen Himmel und Erde hangt,
Dahin die welke Brust sich drangt-
Ihr quellt, ihr trankt, und schmacht ich so vergebens?
(er schlagt unwillig das Buch um und erblickt das Zeichen des Erdgeistes. )
Wie anders wirkt dies Zeichen auf mich ein!
Du, Geist der Erde, bist mir naher;
Schon fuhl ich meine Krafte hoher,
Schon gluh ich wie von neuem Wein.
Ich fuhle Mut, mich in die Welt zu wagen,
Der Erde Weh, der Erde Gluck zu tragen,
Mit Sturmen mich herumzuschlagen
Und in des Schiffbruchs Knirschen nicht zu zagen.
Es wolkt sich uber mir-
Der Mond verbirgt sein Licht-
Die Lampe schwindet!
Es dampft! Es zucken rote Strahlen
Mir um das Haupt- Es weht
Ein Schauer vom Gewolb herab
Und fasst mich an!
Ich fuhl's, du schwebst um mich, erflehter Geist
Enthulle dich!
Ha! wie's in meinem Herzen reisst!
Zu neuen Gefuhlen
All meine Sinnen sich erwuhlen!
Ich fuhle ganz mein Herz dir hingegeben!
Du musst! du musst! und kostet es mein Leben!
(Er fasst das Buch und spricht das Zeichen des Geistes geheimnisvoll aus.
Es zuckt eine rotliche Flamme, der Geist erscheint in der Flamme. )
GEIST:
Wer ruft mir?
FAUST (abgewendet):
Schreckliches Gesicht!
GEIST:
Du hast mich machtig angezogen,
An meiner Sphare lang gesogen,
Und nun-
FAUST:
Weh! ich ertrag dich nicht!
GEIST:
Du flehst, eratmend mich zu schauen,
Meine Stimme zu horen, mein Antlitz zu sehn;
Mich neigt dein machtig Seelenflehn,
Da bin ich! - Welch erbarmlich Grauen
Fasst Ubermenschen dich! Wo ist der Seele Ruf?
Wo ist die Brust, die eine Welt in sich erschuf
Und trug und hegte, die mit Freudebeben
Erschwoll, sich uns, den Geistern, gleich zu heben?
Wo bist du, Faust, des Stimme mir erklang,
Der sich an mich mit allen Kraften drang?
Bist du es, der, von meinem Hauch umwittert,
In allen Lebenslagen zittert,
Ein furchtsam weggekrummter Wurm?
FAUST:
Soll ich dir, Flammenbildung, weichen?
Ich bin's, bin Faust, bin deinesgleichen!
GEIST:
In Lebensfluten, im Tatensturm
Wall ich auf und ab,
Wehe hin und her!
Geburt und Grab,
Ein ewiges Meer,
Ein wechselndes Wehen,
Ein gluhend Leben,
So schaff ich am laufenden Webstuhl der Zeit
Und wirke der Gottheit lebendiges Kleid.
FAUST:
Der du die weite Welt umschweifst,
Geschaftiger Geist, wie nah fuhl ich mich dir!
GEIST:
Du gleichst dem Geist, den du begreifst,
Nicht mir!
(verschwindet)
FAUST (zusammensturzend):
Nicht dir?
Wem denn?
Ich Ebenbild der Gottheit!
Und nicht einmal dir!
(es klopft)
O Tod! ich kenn's- das ist mein Famulus-
Es wird mein schonstes Gluck zunichte!
Dass diese Fulle der Gesichte
Der trockne Schleicher storen muss!
(Wagner im Schlafrock und der Nachtmutze, eine Lampe in der Hand.
Faust wendet sich unwillig. )
WAGNER:
Verzeiht! ich hor euch deklamieren;
Ihr last gewiss ein griechisch Trauerspiel?
In dieser Kunst mocht ich was profitieren,
Denn heutzutage wirkt das viel.
Ich hab es ofters ruhmen horen,
Ein Komodiant konnt einen Pfarrer lehren.
FAUST:
Ja, wenn der Pfarrer ein Komodiant ist;
Wie das denn wohl zuzeiten kommen mag.
WAGNER:
Ach! wenn man so in sein Museum gebannt ist,
Und sieht die Welt kaum einen Feiertag,
Kaum durch ein Fernglas, nur von weitem,
Wie soll man sie durch Uberredung leiten?
FAUST:
Wenn ihr's nicht fuhlt, ihr werdet's nicht erjagen,
Wenn es nicht aus der Seele dringt
Und mit urkraftigem Behagen
Die Herzen aller Horer zwingt.
Sitzt ihr nur immer! leimt zusammen,
Braut ein Ragout von andrer Schmaus
Und blast die kummerlichen Flammen
Aus eurem Aschenhaufchen 'raus!
Bewundrung von Kindern und Affen,
Wenn euch darnach der Gaumen steht-
Doch werdet ihr nie Herz zu Herzen schaffen,
Wenn es euch nicht von Herzen geht.
WAGNER:
Allein der Vortrag macht des Redners Gluck;
Ich fuhl es wohl, noch bin ich weit zuruck.
FAUST:
Such Er den redlichen Gewinn!
Sei Er kein schellenlauter Tor!
Es tragt Verstand und rechter Sinn
Mit wenig Kunst sich selber vor!
Und wenn's euch Ernst ist, was zu sagen,
Ist's notig, Worten nachzujagen?
Ja, eure Reden, die so blinkend sind,
In denen ihr der Menschheit Schnitzel krauselt,
Sind unerquicklich wie der Nebelwind,
Der herbstlich durch die durren Blatter sauselt!
WAGNER:
Ach Gott! die Kunst ist lang;
Und kurz ist unser Leben.
Mir wird, bei meinem kritischen Bestreben,
Doch oft um Kopf und Busen bang.
Wie schwer sind nicht die Mittel zu erwerben,
Durch die man zu den Quellen steigt!
Und eh man nur den halben Weg erreicht,
Muss wohl ein armer Teufel sterben.
FAUST:
Das Pergament, ist das der heil'ge Bronnen,
Woraus ein Trunk den Durst auf ewig stillt?
Erquickung hast du nicht gewonnen,
Wenn sie dir nicht aus eigner Seele quillt.
WAGNER:
Verzeiht! es ist ein gross Ergetzen,
Sich in den Geist der Zeiten zu versetzen;
Zu schauen, wie vor uns ein weiser Mann gedacht,
Und wie wir's dann zuletzt so herrlich weit gebracht.
FAUST:
O ja, bis an die Sterne weit!
Mein Freund, die Zeiten der Vergangenheit
Sind uns ein Buch mit sieben Siegeln.
Was ihr den Geist der Zeiten heisst,
Das ist im Grund der Herren eigner Geist,
In dem die Zeiten sich bespiegeln.
Da ist's denn wahrlich oft ein Jammer!
Man lauft euch bei dem ersten Blick davon.
Ein Kehrichtfass und eine Rumpelkammer
Und hochstens eine Haupt- und Staatsaktion
Mit trefflichen pragmatischen Maximen,
Wie sie den Puppen wohl im Munde ziemen!
WAGNER:
Allein die Welt! des Menschen Herz und Geist!
Mocht jeglicher doch was davon erkennen.
FAUST:
Ja, was man so erkennen heisst!
Wer darf das Kind beim Namen nennen?
Die wenigen, die was davon erkannt,
Die toricht g'nug ihr volles Herz nicht wahrten,
Dem Pobel ihr Gefuhl, ihr Schauen offenbarten,
Hat man von je gekreuzigt und verbrannt.
Ich bitt Euch, Freund, es ist tief in der Nacht,
Wir mussen's diesmal unterbrechen.
WAGNER:
Ich hatte gern nur immer fortgewacht,
Um so gelehrt mit Euch mich zu besprechen.
Doch morgen, als am ersten Ostertage,
Erlaubt mir ein' und andre Frage.
Mit Eifer hab' ich mich der Studien beflissen;
Zwar weiss ich viel, doch mocht' ich alles wissen.
(Ab. )
FAUST (allein):
Wie nur dem Kopf nicht alle Hoffnung schwindet,
Der immerfort an schalem Zeuge klebt,
Mit gier'ger Hand nach Schatzen grabt,
Und froh ist, wenn er Regenwurmer findet!
Darf eine solche Menschenstimme hier,
Wo Geisterfulle mich umgab, ertonen?
Doch ach! fur diesmal dank ich dir,
Dem armlichsten von allen Erdensohnen.
Du rissest mich von der Verzweiflung los,
Die mir die Sinne schon zerstoren wollte.
Ach! die Erscheinung war so riesengross,
Dass ich mich recht als Zwerg empfinden sollte.
Ich, Ebenbild der Gottheit, das sich schon
Ganz nah gedunkt dem Spiegel ew'ger Wahrheit,
Sein selbst genoss in Himmelsglanz und Klarheit,
Und abgestreift den Erdensohn;
Ich, mehr als Cherub, dessen freie Kraft
Schon durch die Adern der Natur zu fliessen
Und, schaffend, Gotterleben zu geniessen
Sich ahnungsvoll vermass, wie muss ich's bussen!
Ein Donnerwort hat mich hinweggerafft.
Nicht darf ich dir zu gleichen mich vermessen;
Hab ich die Kraft dich anzuziehn besessen,
So hatt ich dich zu halten keine Kraft.
In jenem sel'gen Augenblicke
Ich fuhlte mich so klein, so gross;
Du stiessest grausam mich zurucke,
Ins ungewisse Menschenlos.
Wer lehret mich? was soll ich meiden?
Soll ich gehorchen jenem Drang?
Ach! unsre Taten selbst, so gut als unsre Leiden,
Sie hemmen unsres Lebens Gang.
Dem Herrlichsten, was auch der Geist empfangen,
Drangt immer fremd und fremder Stoff sich an;
Wenn wir zum Guten dieser Welt gelangen,
Dann heisst das Bessre Trug und Wahn.
Die uns das Leben gaben, herrliche Gefuhle
Erstarren in dem irdischen Gewuhle.
Wenn Phantasie sich sonst mit kuhnem Flug
Und hoffnungsvoll zum Ewigen erweitert,
So ist ein kleiner Raum ihr nun genug,
Wenn Gluck auf Gluck im Zeitenstrudel scheitert.
Die Sorge nistet gleich im tiefen Herzen,
Dort wirket sie geheime Schmerzen,
Unruhig wiegt sie sich und storet Lust und Ruh;
Sie deckt sich stets mit neuen Masken zu,
Sie mag als Haus und Hof, als Weib und Kind erscheinen,
Als Feuer, Wasser, Dolch und Gift;
Du bebst vor allem, was nicht trifft,
Und was du nie verlierst, das musst du stets beweinen.
Den Gottern gleich ich nicht! zu tief ist es gefuhlt;
Dem Wurme gleich ich, der den Staub durchwuhlt,
Den, wie er sich im Staube nahrend lebt,
Des Wandrers Tritt vernichtet und begrabt.
Ist es nicht Staub, was diese hohe Wand
Aus hundert Fachern mit verenget?
Der Trodel, der mit tausendfachem Tand
In dieser Mottenwelt mich dranget?
Hier soll ich finden, was mir fehlt?
Soll ich vielleicht in tausend Buchern lesen,
Dass uberall die Menschen sich gequalt,
Dass hie und da ein Glucklicher gewesen? -
Was grinsest du mir, hohler Schadel, her?
Als dass dein Hirn, wie meines, einst verwirret
Den leichten Tag gesucht und in der Dammrung schwer,
Mit Lust nach Wahrheit, jammerlich geirret.
Ihr Instrumente freilich spottet mein,
Mit Rad und Kammen, Walz und Bugel:
Ich stand am Tor, ihr solltet Schlussel sein;
Zwar euer Bart ist kraus, doch hebt ihr nicht die Riegel.
Geheimnisvoll am lichten Tag
Lasst sich Natur des Schleiers nicht berauben,
Und was sie deinem Geist nicht offenbaren mag,
Das zwingst du ihr nicht ab mit Hebeln und mit Schrauben.
Du alt Gerate, das ich nicht gebraucht,
Du stehst nur hier, weil dich mein Vater brauchte.
Du alte Rolle, du wirst angeraucht,
Solang an diesem Pult die trube Lampe schmauchte.
Weit besser hatt ich doch mein Weniges verprasst,
Als mit dem Wenigen belastet hier zu schwitzen!
Was du ererbt von deinen Vatern hast,
Erwirb es, um es zu besitzen.
Was man nicht nutzt, ist eine schwere Last,
Nur was der Augenblick erschafft, das kann er nutzen.
Doch warum heftet sich mein Blick auf jene Stelle?
Ist jenes Flaschchen dort den Augen ein Magnet?
Warum wird mir auf einmal lieblich helle,
Als wenn im nacht'gen Wald uns Mondenglanz umweht?
Ich grusse dich, du einzige Phiole,
Die ich mit Andacht nun herunterhole!
In dir verehr ich Menschenwitz und Kunst.
Du Inbegriff der holden Schlummersafte,
Du Auszug aller todlich feinen Krafte,
Erweise deinem Meister deine Gunst!
Ich sehe dich, es wird der Schmerz gelindert,
Ich fasse dich, das Streben wird gemindert,
Des Geistes Flutstrom ebbet nach und nach.
Ins hohe Meer werd ich hinausgewiesen,
Die Spiegelflut erglanzt zu meinen Fussen,
Zu neuen Ufern lockt ein neuer Tag.
Ein Feuerwagen schwebt, auf leichten Schwingen,
An mich heran! Ich fuhle mich bereit,
Auf neuer Bahn den Ather zu durchdringen,
Zu neuen Spharen reiner Tatigkeit.
Dies hohe Leben, diese Gotterwonne!
Du, erst noch Wurm, und die verdienest du?
Ja, kehre nur der holden Erdensonne
Entschlossen deinen Rucken zu!
Vermesse dich, die Pforten aufzureissen,
Vor denen jeder gern voruberschleicht!
Hier ist es Zeit, durch Taten zu beweisen,
Das Manneswurde nicht der Gotterhohe weicht,
Vor jener dunkeln Hohle nicht zu beben,
In der sich Phantasie zu eigner Qual verdammt,
Nach jenem Durchgang hinzustreben,
Um dessen engen Mund die ganze Holle flammt;
Zu diesem Schritt sich heiter zu entschliessen,
Und war es mit Gefahr, ins Nichts dahin zu fliessen.
Nun komm herab, kristallne reine Schale!
Hervor aus deinem alten Futterale,
An die ich viele Jahre nicht gedacht!
Du glanzetst bei der Vater Freudenfeste,
Erheitertest die ernsten Gaste,
Wenn einer dich dem andern zugebracht.
Der vielen Bilder kunstlich reiche Pracht,
Des Trinkers Pflicht, sie reimweis zu erklaren,
Auf einen Zug die Hohlung auszuleeren,
Erinnert mich an manche Jugendnacht.
Ich werde jetzt dich keinem Nachbar reichen,
Ich werde meinen Witz an deiner Kunst nicht zeigen.
Hier ist ein Saft, der eilig trunken macht;
Mit brauner Flut erfullt er deine Hohle.
Den ich bereit, den ich wahle,
"Der letzte Trunk sei nun, mit ganzer Seele,
Als festlich hoher Gruss, dem Morgen zugebracht!
(Er setzt die Schale an den Mund. )
Glockenklang und Chorgesang.
CHOR DER ENGEL:
Christ ist erstanden!
Freude dem Sterblichen,
Den die verderblichen,
Schleichenden, erblichen
Mangel unwanden.
FAUST:
Welch tiefes Summen, welch heller Ton
Zieht mit Gewalt das Glas von meinem Munde?
Verkundigt ihr dumpfen Glocken schon
Des Osterfestes erste Feierstunde?
Ihr Chore, singt ihr schon den trostlichen Gesang,
Der einst, um Grabes Nacht, von Engelslippen klang,
Gewissheit einem neuen Bunde?
CHOR DER WEIBER:
Mit Spezereien
Hatten wir ihn gepflegt,
Wir seine Treuen
Hatten ihn hingelegt;
Tucher und Binden
Reinlich unwanden wir,
Ach! und wir finden
Christ nicht mehr hier.
CHOR DER ENGEL:
Christ ist erstanden!
Selig der Liebende,
Der die betrubende,
Heilsam und ubende
Prufung bestanden.
FAUST:
Was sucht ihr, machtig und gelind,
Ihr Himmelstone, mich am Staube?
Klingt dort umher, wo weiche Menschen sind.
Die Botschaft hor ich wohl, allein mir fehlt der Glaube;
Das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind.
Zu jenen Spharen wag ich nicht zu streben,
Woher die holde Nachricht tont;
Und doch, an diesen Klang von Jugend auf gewohnt,
Ruft er auch jetzt zuruck mich in das Leben.
Sonst sturzte sich der Himmelsliebe Kuss
Auf mich herab in ernster Sabbatstille;
Da klang so ahnungsvoll des Glockentones Fulle,
Und ein Gebet war brunstiger Genuss;
Ein unbegreiflich holdes Sehnen
Trieb mich, durch Wald und Wiesen hinzugehn,
Und unter tausend heissen Tranen
Fuhlt ich mir eine Welt entstehn.
Dies Lied verkundete der Jugend muntre Spiele,
Der Fruhlingsfeier freies Gluck;
Erinnrung halt mich nun, mit kindlichem Gefuhle,
Vom letzten, ernsten Schritt zuruck.
O tonet fort, ihr sussen Himmelslieder!
Die Trane quillt, die Erde hat mich wieder!
CHOR DER JUNGER:
Hat der Begrabene
Schon sich nach oben,
Lebend Erhabene,
Herrlich erhoben;
Ist er in Werdeluft
Schaffender Freude nah:
Ach! an der Erde Brust
Sind wir zum Leide da.
Liess er die Seinen
Schmachtend uns hier zuruck;
Ach! wir beweinen,
Meister, dein Gluck!
CHOR DER ENGEL:
Christ ist erstanden,
Aus der Verwesung Schoss.
Reisset von Banden
Freudig euch los!
Tatig ihn preisenden,
Liebe beweisenden,
Bruderlich speisenden,
Predigend reisenden,
Wonne verheissenden
Euch ist der Meister nah,
Euch ist er da!
Vor dem Tor
Spazierganger aller Art ziehen hinaus.
EINIGE HANDWERKSBURSCHE:
Warum denn dort hinaus?
ANDRE:
Wir gehn hinaus aufs Jagerhaus.
DIE ERSTEN:
Wir aber wollen nach der Muhle wandern.
EIN HANDWERKSBURSCH:
Ich rat euch, nach dem Wasserhof zu gehn.
ZWEITER:
Der Weg dahin ist gar nicht schon.
DIE ZWEITEN:
Was tust denn du?
EIN DRITTER:
Ich gehe mit den andern.
VIERTER:
Nach Burgdorf kommt herauf, gewiss dort findet ihr
Die schonsten Madchen und das beste Bier,
Und Handel von der ersten Sorte.
FUNFTER:
Du uberlustiger Gesell,
Juckt dich zum drittenmal das Fell?
Ich mag nicht hin, mir graut es vor dem Orte.
