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Weininger - 1923 - Tod
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Ansicht u? ber M und W? Eine philosophische Be-
trachtung des urspru? nglich naturwissenschaftlich be-
handelten Gegenstandes? Eine andere Ansicht der
Wahrheit? Dieselben Tatsachen, nur mit einem an-
dern Organ erfasst, dem Organ des Geistes, und zu
Gedanken umgewandelt? Mein Empfinden hat diese
Frage von allem Anbeginn verneint. Mir schien
immer, dass da etwas nicht mit rechten Dingen zu-
gehe; gewisse Partien, auf die sich Weininger ge-
rade am meisten zugute tat, machten mir den Ein-
druck des Gewaltsamen.
Dieser Punkt bedarf nun einer eingehenden
Ero? rterung. Denn bei dem philosophischen Teil
seines Werkes ist Weininger zum erstenmal einer
Ta? uschung unterlegen, die ihm spa? terhin zum Ver-
derben werden sollte.
Es gibt zwei Arten, wie Werke entstehen:
organisch und mechanisch. Im ersten Fall ist der
Hergang folgender: Eines Tages blitzt die Grund-
idee des Werkes auf; aus dieser Grundidee ent-
wickeln sich im Laufe der Zeit eine Menge Haupt-
und Seitengedanken, die in ihrer Gesamtheit das
einheitlich geschlossene Werk geben. So ist z. B.
Schopenhauers System entstanden. Er hat diesen
Entstehungsprozess selber vortrefflich geschildert. Es
ist keineswegs notwendig, dass sich der System-
scho? pfer bei jedem Gedanken des Zusammenhanges
mit der Grundidee bewusst ist; fu? r diesen Zusammen-
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? 15
hang muss das Unbewusste garantieren. Notwendig
ist nur, dass alle Gedanken in der Art von Einfa? llen
kommen. Die einzelnen Gedanken eines grossen
Systems bilden sich ganz analog wie die Zellgruppen
in einem werdenden Organismus: vo? llig spontan; es
braucht nach dem ersten Anstoss zur Zellteilung
beim Organismus und nach dem Lebendigwerden
der Grundidee beim Werk kein a? usserer Einfluss mehr
hinzukommen. Er darf beim Werk gar nicht mehr
hinzukommen, soll dessen Einheitlichkeit nicht ge-
fa? hrdet werden. Es ist natu? rlich mo? glich, dass jemand
auf organischem Wege zu a? hnlichen oder gleichen
Gedanken wie ein anderer kommt, aber es wider-
spricht dem Begriffe der organischen Entstehung,
dass jemand seinem Werke fremde Gedanken ein-
verleibt oder auch eigene Gedanken am unrechten
Ort verwendet. Doch kann dies in ganz unauffa? lliger
Weise geschehen. Ich komme hiermit zur zweiten
Art der Werkbildung, der mechanischen.
Wenn ich sage mechanisch, so meine ich da-
mit nicht bloss a? usserlich zusammengetan. Es gibt
Maschinen, deren Teile besser ineinanderpassen
als die so manches Organismus. Es gibt Maschinen,
die viel besser funktionieren als mancher Orga-
nismus. Aus der Art, wie ein Werk gefu? gt ist,
kann man noch keinen Schluss ziehen auf seine Ent-
stehungsart und in weiterer Folge auf seinen Wahr-
heitsgehalt. Aphorismen ko? nnen zusammen ein System
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bilden; ein wohlgegliedertes und -gefu? gtes Ganzes
kann trotz alledem blosses Stu? ckwerk sein.
Der Unterschied zwischen organischen und
mechanischen Werken ist von der gro? ssten Wichtig-
keit bei der Beurteilung von Geistesprodukten. Er
ist aber sehr schwer zu machen, sowohl fu? r den
Scho? pfer des Werkes selber als fu? r die Aufnehmenden.
Auch das mechanische Werk entsteht na? mlich, wie
ich gleich na? her ausfu? hren werde, ganz von selbst,
wie das organische, nur nach anderen Prinzipien,
und macht daher auf seinen Scho? pfer den Eindruck
des Gewordenen. Und weil in ihm, eben seiner
automatischen Entstehung wegen, alles klappt, ist
der Aufnehmende geneigt, es fu? r einen Organismus
zu halten.
Das organische Werk erla? utert man sich natu? r-
lich am besten durch den Hinblick auf die Organismen,
das mechanische aber durch eine Betrachtung des
Traumlebens. In unseren Tra? umen ist eine ganz
merkwu? rdige Kraft ta? tig, eine scho? pferische Kraft,
wie man ziemlich allgemein behauptet, angeblich
dieselbe Kraft, welche den produktiven Menschen
zu seinen Leistungen befa? higt. Davon ist aber keine
Rede. Die Genialita? t des Tra? umers und die Traum-
haftigkeit des Schaffens sind eine leicht zu wider-
legende Unwahrheit. Das Wesen des Traumes, wie
man es am besten an den bizarren Tra? umen
demonstrieren kann, besteht in folgendem: Mehrere
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Vorstellungen oder Vorstellungsgruppen, die zufa? llig
zusammentreffen oder alle in Beziehung zu einer
leitenden Idee stehen, passen sich aneinander an
and bilden ein sinnvolles -- wenn auch mitunter
anscheinend sinnloses -- Ganzes. Alles, was man
von den Tra? umen aussagen kann, dass sie z. B.
Gefu? hlsregungen, eine Idee zum Ausdruck bringen,
dass sie ein nachtra? glicher, vollsta? ndiger Ablauf des
Tagseelenlebens sind, charakterisiert sie nicht so
wie jene Fa? higkeit, aus ganz verschiedenartigen und
unzusammenha? ngenden Vorstellungen eine ver-
blu? ffende, gefa? llige, witzige oder doch ertra? gliche
Einheit herzustellen. Was von einzelnen Vorstellungen
gilt, das gilt auch von ganzen Situationen. Kommen
aus irgendwelchem Grunde zwei Situationen im
Traume zusammen, so durchdringen sie einander,
da und dort fa? llt etwas weg, was der Vereinigung
im Wege steht; wo 's not tut, kommt ein Hilfsglied
zur Verwendung, kurz, mit einem Raffinement,
welches man oft anstaunen und bela? cheln zu gleicher
Zeit muss, werden die zwei Situationen ausgeglichen;
a? hnlich etwa, wie sich jemand mit seinen Hausrat an
eine neue Wohnung anpasst. Freud, welcher diese
Vorga? nge in den Tra? umen zuerst untersuchte, sprach
von Kompromissbildungen. Ich habe, was auf dasselbe
hinauskommt, von einer Verbindung der Vorstellungen
nach dem Oesetz des meisten Sinnes gesprochen, weil
das im Traum entstehende seelische Neugebilde von
S w o b o d a, Otto Weiningers Tod. 2
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der Art ist, dass die dabei verwendeten Bestandteile
mo? glichst viel von ihrem Sinn behalten.
Es gibt nun eine Art des Produzierens, welche
mit den eben geschilderten Tra? umen im Wesen
vollkommen u? bereinstimmt. Zwei Gedanken, die
von Haus aus gar nicht verwandt sind, die -- wie
man sagen ko? nnte -- einen ganz verschiedenen
Familienursprung haben, kommen zufa? lligzusammen;
mit dem einen Gedanken tra? gt man sich z. B. gerade
und mit dem andern wird man durch Lektu? re oder
Gespra? ch bekannt. Wenn diese zwei Gedanken nun
in ihrem A? ussern sehr a? hnlich sind, so werden sie
sich, ohne unser Zutun, leicht miteinander verbinden.
Der eine Gedanke wird auf den andern ? angewendet",
wie auch die Bezeichnung lautet; von der ? nahelie-
genden Anwendung" ist oft die Rede. Auf diese Weise
kommen sehr viele brillante, gefa? llige, geistreiche,
witzige Neugebilde zustande, denen aber allsamt nicht
mehr Erkenntniswert zukommt als unseren Tra? umen.
Die Geschicklichkeit, mit der die einzelnen Bestand-
teile einer solchen Kompromisswahrheit zusammen-
gesetzt sind, ta? uscht ganz daru? ber hinweg, dass man
es mit keiner urspru? nglichen Einheit zu tun hat.
Was durch mechanische Verbindung entsteht, ist
in der Regel nicht mehr als ein Witz. Unter Witz ist
da natu? rlich nicht bloss die launige Rede zu verstehen.
Es gibt Witze bis in die ho? chsten Regionen des
menschlichen Denkens. Dickleibige philosophische
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Werke sind manchmal auf einen einzigen Witz auf-
gebaut, d. h. auf die a? ussere A? hnlichkeit zweier wesens-
fremder Tatsachen. Die Entscheidung, ob man es mit
einem Witz oder einer Erkenntnis zu tun habe, ist,
wie schon fru? her erwa? hnt, nicht leicht. Unter anderem
kann man nach der Wirkung schliessen: Der Witz ver-
blu? fft, der Witz entwaffnet, bringt den Gegner in Ver-
legenheit, unter Umsta? nden reizt er auf: das alles tut
eine Erkenntnis nicht.
Der Unterschied zwischen Witz und Erkenntnis
ist also vor allem ein genetischer: der Witz entsteht
durch a? usserliche Zusammenfu? gung a? usserlich a? hn-
licher Tatbesta? nde; er entsteht so wie alle anorga-
nischen Neugebilde. Zur Erkenntnis geho? rt u? berhaupt
nur eine Tatsache und das erkennende Subjekt; aus
dieser einen Tatsache entsteht im Erkennenden inner-
halb einer bestimmten Frist ganz von selber die Er-
kenntnis. Auch dies ist ein wesentlicher Unterschied
zwischen Witz und Erkenntnis: der Witz kommt
plo? tzlich, die Erkenntnis beno? tigt immer eine Reifezeit.
Eine Folge der verschiedenen Entstehungsart
ist der verschiedene Wert von Witz und Erkenntnis:
Der Witz verra? t das A? ussere der Dinge, die Erkenntnis
offenbart ihr Wesen. Der witzige Kopf entdeckt da
und dort ? wertvolle Beziehungen*, deckt Zusammen-
ha? nge in Hu? lle und Fu? lle auf, aber er bewirkt
damit kaum mehr als eine voru? bergehende Unter-
haltung auf einem Vortragsabend; dauernd bereichert
2*
? ?
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fu? hlt man sich eben auch durch den gla? nzendsten
Witz nicht. Eindringlich ist nur die Erkenntnis.
Der Witz oder, wie man auch sagen ko? nnte,
die sinngema? sse Zusammenstellung, hat auf allen
Gebieten produktiver Beta? tigung eine grosse Be-
deutung. Unter den Dichtern, Malern, Musikern,
Philosophen, u? berall trifft man die witzigen Ko? pfe,
und zwar in der U? berzahl. Die Neugebilde, durch
die sie u? berraschen, entstammen der ehedem fu? r die
wahre Schaffenskraft gehaltenen ? kombinierenden
Phantasie". Die Gabe des Witzes, der gelungenen
Verknu? pfung, ist ha? ufig mit Genie verbunden, aber
fu? r sich allein hat der Witz mit scho? pferischer Kraft
gar nichts zu tun.
Jeder echte Gedanke, der also von seinem Scho? pfer
ausgetragen und geboren wurde, ist ein wirkliches
Lebewesen, das allen denen, die es in sich aufnehmen,
Leben mitteilt. Erkenntnis ist etwas Belebendes. Der
Witz dagegen ist ho? chstens etwas Ergo? tzliches. Der
Witz u? bt einen flu? chtigen Reiz aus, die Erkenntnis
eine lange Nachwirkung.
Zwischen Witz und Erkenntnis besteht aber
noch ein fu? r die vorliegende Untersuchung ausser-
ordentlich wichtiger Unterschied: Die Erkenntnis ist
zwecklos, der Witz verfolgt einen Zweck. In der
Regel wenigstens. Sowohl Tra? ume als auch Witze
kommen ha? ufig bloss dadurch zustande, dass die
A? hnlichkeit zweier Vorstellungen zu einer automa-
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tischen Verbindung fu? hrt; die A? hnlichkeit wirkt in
solchen Fa? llen zwischen den Vorstellungen, wie die
Gravitation zwischen Massen. Allein viel ha? ufiger
ist es doch, dass der Vorstellungsverbindung ein
Zweck zugrunde liegt: Dem Traum z. B. die Be-
friedigung irgendwelcher Regungen, dem Witz eine
Tendenz. Ohne Gefu? hlsregung und ohne Tendenz
mu? ssen die Verha? ltnisse sehr gu? nstig liegen, damit
eine Vorstellungsverbindung zustande kommt. Eine
Absicht jedoch, namentlich eine unbewusste, bewirkt
eine solche Verbindung auch unter ungu? nstigen
Verha? ltnissen, d. h. wenn die Vorstellungen offen-
kundig gar nicht zusammengeho? ren. Ein unter-
dru? ckter Wunsch, ein unterdru? ckter Gram oder Groll
ist wie ein Hammer, der beliebige Vorstellungen
mit aller Kraft zu einem Gebilde zusammen-
schweisst, das dem unterdru? ckten Gefu? hl Befriedi-
gung verschafft. Das obwaltende Verha? ltnis liesse
sich vielleicht in eine ganz strenge Formel bringen:
Je geringer die A? hnlichkeitsaffinita? t zweier Vor-
stellungen ist, um so gro? sser muss der Druck
eines Interesses sein, damit sie zur Vereinigung
gelangen1).
Vor der Nutzanwendung seien diese Ero? rterungen
noch einmal kurz zusammengefasst: Es gibt organische
l) Die Ausfu? hrungen u? ber Traum und Witz nehmen Be-
zug auf die grundlegenden Forschungen Freuds.
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und mechanische Werke; die organischen ent-
stehen durch Entfaltung einer einzigen Idee, die
mechanischen entstehen durch Vereinigung mehrerer
Ideen unter Oberleitung einer uneingestandenen
Absicht. Es ist aber auch sehr wohl mo? glich, dass
ein Werk zum Teil organischen, zum Teil mecha-
nischen Ursprungs ist, zum Teil dem Genie, zum
Teil dem Witz entsprungen, zum Teil zweckloser
Erkenntnis geweiht, zum Teil einem Interesse ge-
widmet.
Was ergibt sich nun bei Anwendung dieser Ge-
danken auf Weiningers ? Geschlecht und Charakter"?
Im Anfang vollzog sich die Bildung dieses Werkes
ganz wie die eines Organismus, der da und dort
neue Zellgruppen ansetzt, allma? hlich zu immer deut-
licherer Gliederung gelangt und dabei in jedem
Stadium den Eindruck einer geschlossenen Einheit
erweckt. Anders wurde dies erst, als Weininger aus
Gru? nden, die hier belanglos sind, sich mit Kant-
Platon'schen Ideen zu bescha? ftigen begann. Er hat
diese Ideen mit seltenem Versta? ndnis in sich auf-
genommen und genial vertieft. Es gibt nicht nur
eine geniale Neuscho? pfung, sondern auch eine geniale
Weiterbildung von Ideen. Wer einen fremden Ge-
danken aufnimmt wie fruchtbarer Boden ein Samen-
korn, der vermag diesem Gedanken eine Neugestaltung
zu geben, die einer Neuscho? pfung an Wert nahezu
gleich kommt. Man kann durch Tatsachen befruchtet
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werden und in der Folge zu Gedanken u? ber diese
Tatsachen kommen, man kann aber auch durch Ge-
danken befruchtet werden und in der Folge zu
legitimen Abko? mmlingen dieser Gedanken gelangen.
Jeder organisch entstandene Gedanke, jeder lebendige
Gedanke ist auch einer solchen Neubelebung durch
einen kongenialen Geist fa? hig. Nicht nur die Zelle
ist unsterblich, sondern auch der Gedanke, wofern
er geboren und nicht verfertigt ist.
Weininger war zweifellos in hohem Grade be-
fa? higt, das von den gro? ssten Philosophen alter und
neuer Zeit u? bernommene Gedankengut in sich frucht-
bringend anzulegen. Er war auf sein von Folgen
begleitetes Verha? ltnis zu Plato und Kant mit Recht
stolz. Denn es ist der einzige Beweis, dass man
fremde Gedanken verstanden hat, wenn man sie
weiterbildet. Man kann etwas nicht vollkommen ver-
stehen, ohne sich damit zu befruchten.
Allein, damit liess es sich Weininger nicht ge-
nu? gen. Wa? hrend er zu Plato und Kant in ein intimes
Verha? ltnis trat, war er fortwa? hrend mit den Beob-
achtungen u? ber den Unterschied der beiden Ge-
schlechter bescha? ftigt. Da kam es nun -- sei es
durch das besta? ndige Beisammensein der beiden
Gedankengruppen, welches vielleicht a? hnlich wie
beim Menschen die innere Zusammengeho? rigkeit in
der Wirkung ersetzt; sei es aus irgendwelchen Ge-
mu? tsinteressen -- da kam es zu einer Anwendung
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der philosophischen Spekulationen auf das Problem
M und W. Weininger entdeckte eines Tages zu
seiner unausspiechlichen Freude, dass nur M ein
intelligibles Ich habe; und er fand weiter -- mit
welchem Vergnu? gen, mag man an den doppeltfetten
Lettern ermessen -- dass die Platon'sche Unter-
scheidung vom Seienden und Nicht-Seienden voll-
kommen auf M und W passe: Das Weib ist nicht
nur nichts, sondern u? berhaupt nicht.
Diese Verquickung philosophischer Anschau-
ungen mit dem Problem der Geschlechter hat durch-
aus den Charakter eines Witzes in dem fru? her er-
o? rterten Sinne. Ich kann mir sehr gut vorstellen,
dass jemand darauf mit lebhafter Heiterkeit reagiert.
Viele freilich werden bei jener trostlosen Offenbarung
u? ber W eine lebhafte Gefu? hlsbefriedigung empfinden;
sie werden erleichtert aufatmen, freudig bewegt, dass
endlich einer gekommen ist, ? der es ihnen (W na? m-
lich) gesagt hat". Das ist freilich eine etwas ver-
da? chtige Art, Erkenntnis zu begru? ssen. Erkenntnis
soll den Geist befriedigen, aber nicht das Gemu? t.
Allerdings mu? sste sie dazu auch dem Geist ent-
stammen, nicht einem verbitterten Herzen.
Ich habe fru? her dargelegt, unter welchen Um-
sta? nden es besonders ha? ufig zu anorganischen,
witzigen Seelengebilden kommt: wenn na? mlich mit
diesen Gebilden ein lebhaftes Gemu? tsbedu? rfnis --
die unterdru? ckten sind die lebhaftesten -- befriedigt
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werden soll. Dieses Bedu? rfnis liegt nun bei Weininger
ganz offen zutage. Ein anderer an seiner Stelle --
und wie viele nicht in seinem Alter! -- ha? tte ein-
fach gesagt: Die Weiber sind mir Luft. Etwas anderes
wollte Weininger auch gar nicht sagen. Aber er
konnte es, zu seinem Unglu? ck, viel scho? ner sagen.
Die banale vera? chtliche Phrase verband sich unter
dem dru? ckenden Bedu? rfnis abzureagieren mit seinem
philosophischen Wissen und so konnte er seinem
Groll in der Art Ausdruck geben, dass er sagte:
W ist u? berhaupt nicht. Mit der U? bertragung der
Platon'schen Kategorie auf W war aber noch eines
gewonnen: Wer behauptet, die Weiber seien ihm
Luft, der behauptet etwas Subjektives; wer behauptet,
sie seien nicht, etwas Objektives.
Ansicht u? ber M und W? Eine philosophische Be-
trachtung des urspru? nglich naturwissenschaftlich be-
handelten Gegenstandes? Eine andere Ansicht der
Wahrheit? Dieselben Tatsachen, nur mit einem an-
dern Organ erfasst, dem Organ des Geistes, und zu
Gedanken umgewandelt? Mein Empfinden hat diese
Frage von allem Anbeginn verneint. Mir schien
immer, dass da etwas nicht mit rechten Dingen zu-
gehe; gewisse Partien, auf die sich Weininger ge-
rade am meisten zugute tat, machten mir den Ein-
druck des Gewaltsamen.
Dieser Punkt bedarf nun einer eingehenden
Ero? rterung. Denn bei dem philosophischen Teil
seines Werkes ist Weininger zum erstenmal einer
Ta? uschung unterlegen, die ihm spa? terhin zum Ver-
derben werden sollte.
Es gibt zwei Arten, wie Werke entstehen:
organisch und mechanisch. Im ersten Fall ist der
Hergang folgender: Eines Tages blitzt die Grund-
idee des Werkes auf; aus dieser Grundidee ent-
wickeln sich im Laufe der Zeit eine Menge Haupt-
und Seitengedanken, die in ihrer Gesamtheit das
einheitlich geschlossene Werk geben. So ist z. B.
Schopenhauers System entstanden. Er hat diesen
Entstehungsprozess selber vortrefflich geschildert. Es
ist keineswegs notwendig, dass sich der System-
scho? pfer bei jedem Gedanken des Zusammenhanges
mit der Grundidee bewusst ist; fu? r diesen Zusammen-
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hang muss das Unbewusste garantieren. Notwendig
ist nur, dass alle Gedanken in der Art von Einfa? llen
kommen. Die einzelnen Gedanken eines grossen
Systems bilden sich ganz analog wie die Zellgruppen
in einem werdenden Organismus: vo? llig spontan; es
braucht nach dem ersten Anstoss zur Zellteilung
beim Organismus und nach dem Lebendigwerden
der Grundidee beim Werk kein a? usserer Einfluss mehr
hinzukommen. Er darf beim Werk gar nicht mehr
hinzukommen, soll dessen Einheitlichkeit nicht ge-
fa? hrdet werden. Es ist natu? rlich mo? glich, dass jemand
auf organischem Wege zu a? hnlichen oder gleichen
Gedanken wie ein anderer kommt, aber es wider-
spricht dem Begriffe der organischen Entstehung,
dass jemand seinem Werke fremde Gedanken ein-
verleibt oder auch eigene Gedanken am unrechten
Ort verwendet. Doch kann dies in ganz unauffa? lliger
Weise geschehen. Ich komme hiermit zur zweiten
Art der Werkbildung, der mechanischen.
Wenn ich sage mechanisch, so meine ich da-
mit nicht bloss a? usserlich zusammengetan. Es gibt
Maschinen, deren Teile besser ineinanderpassen
als die so manches Organismus. Es gibt Maschinen,
die viel besser funktionieren als mancher Orga-
nismus. Aus der Art, wie ein Werk gefu? gt ist,
kann man noch keinen Schluss ziehen auf seine Ent-
stehungsart und in weiterer Folge auf seinen Wahr-
heitsgehalt. Aphorismen ko? nnen zusammen ein System
? ? Generated for (University of Chicago) on 2014-08-19 08:36 GMT / http://hdl. handle. net/2027/njp. 32101068184017 Public Domain in the United States, Google-digitized / http://www. hathitrust. org/access_use#pd-us-google
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bilden; ein wohlgegliedertes und -gefu? gtes Ganzes
kann trotz alledem blosses Stu? ckwerk sein.
Der Unterschied zwischen organischen und
mechanischen Werken ist von der gro? ssten Wichtig-
keit bei der Beurteilung von Geistesprodukten. Er
ist aber sehr schwer zu machen, sowohl fu? r den
Scho? pfer des Werkes selber als fu? r die Aufnehmenden.
Auch das mechanische Werk entsteht na? mlich, wie
ich gleich na? her ausfu? hren werde, ganz von selbst,
wie das organische, nur nach anderen Prinzipien,
und macht daher auf seinen Scho? pfer den Eindruck
des Gewordenen. Und weil in ihm, eben seiner
automatischen Entstehung wegen, alles klappt, ist
der Aufnehmende geneigt, es fu? r einen Organismus
zu halten.
Das organische Werk erla? utert man sich natu? r-
lich am besten durch den Hinblick auf die Organismen,
das mechanische aber durch eine Betrachtung des
Traumlebens. In unseren Tra? umen ist eine ganz
merkwu? rdige Kraft ta? tig, eine scho? pferische Kraft,
wie man ziemlich allgemein behauptet, angeblich
dieselbe Kraft, welche den produktiven Menschen
zu seinen Leistungen befa? higt. Davon ist aber keine
Rede. Die Genialita? t des Tra? umers und die Traum-
haftigkeit des Schaffens sind eine leicht zu wider-
legende Unwahrheit. Das Wesen des Traumes, wie
man es am besten an den bizarren Tra? umen
demonstrieren kann, besteht in folgendem: Mehrere
? ? Generated for (University of Chicago) on 2014-08-19 08:37 GMT / http://hdl. handle. net/2027/njp. 32101068184017 Public Domain in the United States, Google-digitized / http://www. hathitrust. org/access_use#pd-us-google
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Vorstellungen oder Vorstellungsgruppen, die zufa? llig
zusammentreffen oder alle in Beziehung zu einer
leitenden Idee stehen, passen sich aneinander an
and bilden ein sinnvolles -- wenn auch mitunter
anscheinend sinnloses -- Ganzes. Alles, was man
von den Tra? umen aussagen kann, dass sie z. B.
Gefu? hlsregungen, eine Idee zum Ausdruck bringen,
dass sie ein nachtra? glicher, vollsta? ndiger Ablauf des
Tagseelenlebens sind, charakterisiert sie nicht so
wie jene Fa? higkeit, aus ganz verschiedenartigen und
unzusammenha? ngenden Vorstellungen eine ver-
blu? ffende, gefa? llige, witzige oder doch ertra? gliche
Einheit herzustellen. Was von einzelnen Vorstellungen
gilt, das gilt auch von ganzen Situationen. Kommen
aus irgendwelchem Grunde zwei Situationen im
Traume zusammen, so durchdringen sie einander,
da und dort fa? llt etwas weg, was der Vereinigung
im Wege steht; wo 's not tut, kommt ein Hilfsglied
zur Verwendung, kurz, mit einem Raffinement,
welches man oft anstaunen und bela? cheln zu gleicher
Zeit muss, werden die zwei Situationen ausgeglichen;
a? hnlich etwa, wie sich jemand mit seinen Hausrat an
eine neue Wohnung anpasst. Freud, welcher diese
Vorga? nge in den Tra? umen zuerst untersuchte, sprach
von Kompromissbildungen. Ich habe, was auf dasselbe
hinauskommt, von einer Verbindung der Vorstellungen
nach dem Oesetz des meisten Sinnes gesprochen, weil
das im Traum entstehende seelische Neugebilde von
S w o b o d a, Otto Weiningers Tod. 2
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der Art ist, dass die dabei verwendeten Bestandteile
mo? glichst viel von ihrem Sinn behalten.
Es gibt nun eine Art des Produzierens, welche
mit den eben geschilderten Tra? umen im Wesen
vollkommen u? bereinstimmt. Zwei Gedanken, die
von Haus aus gar nicht verwandt sind, die -- wie
man sagen ko? nnte -- einen ganz verschiedenen
Familienursprung haben, kommen zufa? lligzusammen;
mit dem einen Gedanken tra? gt man sich z. B. gerade
und mit dem andern wird man durch Lektu? re oder
Gespra? ch bekannt. Wenn diese zwei Gedanken nun
in ihrem A? ussern sehr a? hnlich sind, so werden sie
sich, ohne unser Zutun, leicht miteinander verbinden.
Der eine Gedanke wird auf den andern ? angewendet",
wie auch die Bezeichnung lautet; von der ? nahelie-
genden Anwendung" ist oft die Rede. Auf diese Weise
kommen sehr viele brillante, gefa? llige, geistreiche,
witzige Neugebilde zustande, denen aber allsamt nicht
mehr Erkenntniswert zukommt als unseren Tra? umen.
Die Geschicklichkeit, mit der die einzelnen Bestand-
teile einer solchen Kompromisswahrheit zusammen-
gesetzt sind, ta? uscht ganz daru? ber hinweg, dass man
es mit keiner urspru? nglichen Einheit zu tun hat.
Was durch mechanische Verbindung entsteht, ist
in der Regel nicht mehr als ein Witz. Unter Witz ist
da natu? rlich nicht bloss die launige Rede zu verstehen.
Es gibt Witze bis in die ho? chsten Regionen des
menschlichen Denkens. Dickleibige philosophische
? ? Generated for (University of Chicago) on 2014-08-19 08:37 GMT / http://hdl. handle. net/2027/njp. 32101068184017 Public Domain in the United States, Google-digitized / http://www. hathitrust. org/access_use#pd-us-google
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Werke sind manchmal auf einen einzigen Witz auf-
gebaut, d. h. auf die a? ussere A? hnlichkeit zweier wesens-
fremder Tatsachen. Die Entscheidung, ob man es mit
einem Witz oder einer Erkenntnis zu tun habe, ist,
wie schon fru? her erwa? hnt, nicht leicht. Unter anderem
kann man nach der Wirkung schliessen: Der Witz ver-
blu? fft, der Witz entwaffnet, bringt den Gegner in Ver-
legenheit, unter Umsta? nden reizt er auf: das alles tut
eine Erkenntnis nicht.
Der Unterschied zwischen Witz und Erkenntnis
ist also vor allem ein genetischer: der Witz entsteht
durch a? usserliche Zusammenfu? gung a? usserlich a? hn-
licher Tatbesta? nde; er entsteht so wie alle anorga-
nischen Neugebilde. Zur Erkenntnis geho? rt u? berhaupt
nur eine Tatsache und das erkennende Subjekt; aus
dieser einen Tatsache entsteht im Erkennenden inner-
halb einer bestimmten Frist ganz von selber die Er-
kenntnis. Auch dies ist ein wesentlicher Unterschied
zwischen Witz und Erkenntnis: der Witz kommt
plo? tzlich, die Erkenntnis beno? tigt immer eine Reifezeit.
Eine Folge der verschiedenen Entstehungsart
ist der verschiedene Wert von Witz und Erkenntnis:
Der Witz verra? t das A? ussere der Dinge, die Erkenntnis
offenbart ihr Wesen. Der witzige Kopf entdeckt da
und dort ? wertvolle Beziehungen*, deckt Zusammen-
ha? nge in Hu? lle und Fu? lle auf, aber er bewirkt
damit kaum mehr als eine voru? bergehende Unter-
haltung auf einem Vortragsabend; dauernd bereichert
2*
? ?
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fu? hlt man sich eben auch durch den gla? nzendsten
Witz nicht. Eindringlich ist nur die Erkenntnis.
Der Witz oder, wie man auch sagen ko? nnte,
die sinngema? sse Zusammenstellung, hat auf allen
Gebieten produktiver Beta? tigung eine grosse Be-
deutung. Unter den Dichtern, Malern, Musikern,
Philosophen, u? berall trifft man die witzigen Ko? pfe,
und zwar in der U? berzahl. Die Neugebilde, durch
die sie u? berraschen, entstammen der ehedem fu? r die
wahre Schaffenskraft gehaltenen ? kombinierenden
Phantasie". Die Gabe des Witzes, der gelungenen
Verknu? pfung, ist ha? ufig mit Genie verbunden, aber
fu? r sich allein hat der Witz mit scho? pferischer Kraft
gar nichts zu tun.
Jeder echte Gedanke, der also von seinem Scho? pfer
ausgetragen und geboren wurde, ist ein wirkliches
Lebewesen, das allen denen, die es in sich aufnehmen,
Leben mitteilt. Erkenntnis ist etwas Belebendes. Der
Witz dagegen ist ho? chstens etwas Ergo? tzliches. Der
Witz u? bt einen flu? chtigen Reiz aus, die Erkenntnis
eine lange Nachwirkung.
Zwischen Witz und Erkenntnis besteht aber
noch ein fu? r die vorliegende Untersuchung ausser-
ordentlich wichtiger Unterschied: Die Erkenntnis ist
zwecklos, der Witz verfolgt einen Zweck. In der
Regel wenigstens. Sowohl Tra? ume als auch Witze
kommen ha? ufig bloss dadurch zustande, dass die
A? hnlichkeit zweier Vorstellungen zu einer automa-
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tischen Verbindung fu? hrt; die A? hnlichkeit wirkt in
solchen Fa? llen zwischen den Vorstellungen, wie die
Gravitation zwischen Massen. Allein viel ha? ufiger
ist es doch, dass der Vorstellungsverbindung ein
Zweck zugrunde liegt: Dem Traum z. B. die Be-
friedigung irgendwelcher Regungen, dem Witz eine
Tendenz. Ohne Gefu? hlsregung und ohne Tendenz
mu? ssen die Verha? ltnisse sehr gu? nstig liegen, damit
eine Vorstellungsverbindung zustande kommt. Eine
Absicht jedoch, namentlich eine unbewusste, bewirkt
eine solche Verbindung auch unter ungu? nstigen
Verha? ltnissen, d. h. wenn die Vorstellungen offen-
kundig gar nicht zusammengeho? ren. Ein unter-
dru? ckter Wunsch, ein unterdru? ckter Gram oder Groll
ist wie ein Hammer, der beliebige Vorstellungen
mit aller Kraft zu einem Gebilde zusammen-
schweisst, das dem unterdru? ckten Gefu? hl Befriedi-
gung verschafft. Das obwaltende Verha? ltnis liesse
sich vielleicht in eine ganz strenge Formel bringen:
Je geringer die A? hnlichkeitsaffinita? t zweier Vor-
stellungen ist, um so gro? sser muss der Druck
eines Interesses sein, damit sie zur Vereinigung
gelangen1).
Vor der Nutzanwendung seien diese Ero? rterungen
noch einmal kurz zusammengefasst: Es gibt organische
l) Die Ausfu? hrungen u? ber Traum und Witz nehmen Be-
zug auf die grundlegenden Forschungen Freuds.
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und mechanische Werke; die organischen ent-
stehen durch Entfaltung einer einzigen Idee, die
mechanischen entstehen durch Vereinigung mehrerer
Ideen unter Oberleitung einer uneingestandenen
Absicht. Es ist aber auch sehr wohl mo? glich, dass
ein Werk zum Teil organischen, zum Teil mecha-
nischen Ursprungs ist, zum Teil dem Genie, zum
Teil dem Witz entsprungen, zum Teil zweckloser
Erkenntnis geweiht, zum Teil einem Interesse ge-
widmet.
Was ergibt sich nun bei Anwendung dieser Ge-
danken auf Weiningers ? Geschlecht und Charakter"?
Im Anfang vollzog sich die Bildung dieses Werkes
ganz wie die eines Organismus, der da und dort
neue Zellgruppen ansetzt, allma? hlich zu immer deut-
licherer Gliederung gelangt und dabei in jedem
Stadium den Eindruck einer geschlossenen Einheit
erweckt. Anders wurde dies erst, als Weininger aus
Gru? nden, die hier belanglos sind, sich mit Kant-
Platon'schen Ideen zu bescha? ftigen begann. Er hat
diese Ideen mit seltenem Versta? ndnis in sich auf-
genommen und genial vertieft. Es gibt nicht nur
eine geniale Neuscho? pfung, sondern auch eine geniale
Weiterbildung von Ideen. Wer einen fremden Ge-
danken aufnimmt wie fruchtbarer Boden ein Samen-
korn, der vermag diesem Gedanken eine Neugestaltung
zu geben, die einer Neuscho? pfung an Wert nahezu
gleich kommt. Man kann durch Tatsachen befruchtet
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werden und in der Folge zu Gedanken u? ber diese
Tatsachen kommen, man kann aber auch durch Ge-
danken befruchtet werden und in der Folge zu
legitimen Abko? mmlingen dieser Gedanken gelangen.
Jeder organisch entstandene Gedanke, jeder lebendige
Gedanke ist auch einer solchen Neubelebung durch
einen kongenialen Geist fa? hig. Nicht nur die Zelle
ist unsterblich, sondern auch der Gedanke, wofern
er geboren und nicht verfertigt ist.
Weininger war zweifellos in hohem Grade be-
fa? higt, das von den gro? ssten Philosophen alter und
neuer Zeit u? bernommene Gedankengut in sich frucht-
bringend anzulegen. Er war auf sein von Folgen
begleitetes Verha? ltnis zu Plato und Kant mit Recht
stolz. Denn es ist der einzige Beweis, dass man
fremde Gedanken verstanden hat, wenn man sie
weiterbildet. Man kann etwas nicht vollkommen ver-
stehen, ohne sich damit zu befruchten.
Allein, damit liess es sich Weininger nicht ge-
nu? gen. Wa? hrend er zu Plato und Kant in ein intimes
Verha? ltnis trat, war er fortwa? hrend mit den Beob-
achtungen u? ber den Unterschied der beiden Ge-
schlechter bescha? ftigt. Da kam es nun -- sei es
durch das besta? ndige Beisammensein der beiden
Gedankengruppen, welches vielleicht a? hnlich wie
beim Menschen die innere Zusammengeho? rigkeit in
der Wirkung ersetzt; sei es aus irgendwelchen Ge-
mu? tsinteressen -- da kam es zu einer Anwendung
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der philosophischen Spekulationen auf das Problem
M und W. Weininger entdeckte eines Tages zu
seiner unausspiechlichen Freude, dass nur M ein
intelligibles Ich habe; und er fand weiter -- mit
welchem Vergnu? gen, mag man an den doppeltfetten
Lettern ermessen -- dass die Platon'sche Unter-
scheidung vom Seienden und Nicht-Seienden voll-
kommen auf M und W passe: Das Weib ist nicht
nur nichts, sondern u? berhaupt nicht.
Diese Verquickung philosophischer Anschau-
ungen mit dem Problem der Geschlechter hat durch-
aus den Charakter eines Witzes in dem fru? her er-
o? rterten Sinne. Ich kann mir sehr gut vorstellen,
dass jemand darauf mit lebhafter Heiterkeit reagiert.
Viele freilich werden bei jener trostlosen Offenbarung
u? ber W eine lebhafte Gefu? hlsbefriedigung empfinden;
sie werden erleichtert aufatmen, freudig bewegt, dass
endlich einer gekommen ist, ? der es ihnen (W na? m-
lich) gesagt hat". Das ist freilich eine etwas ver-
da? chtige Art, Erkenntnis zu begru? ssen. Erkenntnis
soll den Geist befriedigen, aber nicht das Gemu? t.
Allerdings mu? sste sie dazu auch dem Geist ent-
stammen, nicht einem verbitterten Herzen.
Ich habe fru? her dargelegt, unter welchen Um-
sta? nden es besonders ha? ufig zu anorganischen,
witzigen Seelengebilden kommt: wenn na? mlich mit
diesen Gebilden ein lebhaftes Gemu? tsbedu? rfnis --
die unterdru? ckten sind die lebhaftesten -- befriedigt
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werden soll. Dieses Bedu? rfnis liegt nun bei Weininger
ganz offen zutage. Ein anderer an seiner Stelle --
und wie viele nicht in seinem Alter! -- ha? tte ein-
fach gesagt: Die Weiber sind mir Luft. Etwas anderes
wollte Weininger auch gar nicht sagen. Aber er
konnte es, zu seinem Unglu? ck, viel scho? ner sagen.
Die banale vera? chtliche Phrase verband sich unter
dem dru? ckenden Bedu? rfnis abzureagieren mit seinem
philosophischen Wissen und so konnte er seinem
Groll in der Art Ausdruck geben, dass er sagte:
W ist u? berhaupt nicht. Mit der U? bertragung der
Platon'schen Kategorie auf W war aber noch eines
gewonnen: Wer behauptet, die Weiber seien ihm
Luft, der behauptet etwas Subjektives; wer behauptet,
sie seien nicht, etwas Objektives.
