Hast du vorm roten Wams nicht mehr
Respekt?
Goethe - Faust- Der Tragödie erster Teil
Ich seh es ein, ihr habt uns nur zum besten.
MEPHISTOPHELES:
Ei! Ei! Mit solchen edlen Gasten
War es ein bisschen viel gewagt.
Geschwind! Nur grad heraus gesagt!
Mit welchem Weine kann ich dienen?
ALTMAYER:
Mit jedem! Nur nicht lang gefragt.
(Nachdem die Locher alle gebohrt und verstopft sind. )
MEPHISTOPHELES (mit seltsamen Gebarden):
Trauben tragt der Weinstock!
Horner der Ziegenbock;
Der Wein ist saftig, Holz die Reben,
Der holzerne Tisch kann Wein auch geben.
Ein tiefer Blick in die Natur!
Hier ist ein Wunder, glaubet nur! Nun zieht die Pfropfen und geniesst!
ALLE (indem sie die Pfropfen ziehen und jedem der verlangte Wein ins Glas
lauft):
O schoner Brunnen, der uns fliesst!
MEPHISTOPHELES:
Nur hutet euch, dass ihr mir nichts vergiesst!
(Sie trinken wiederholt. )
ALLE (singen):
Uns ist ganz kannibalisch wohl,
Als wie funfhundert Sauen!
MEPHISTOPHELES:
Das Volk ist frei, seht an, wie wohl's ihm geht!
FAUST:
Ich hatte Lust, nun abzufahren.
MEPHISTOPHELES:
Gib nur erst acht, die Bestialitat
Wird sich gar herrlich offenbaren.
SIEBEL (trinkt unvorsichtig, der Wein fliesst auf die Erde und wird zur
Flamme):
Helft! Feuer! helft! Die Holle brennt!
MEPHISTOPHELES (die Flamme besprechend):
Sei ruhig, freundlich Element!
(Zu den Gesellen. )
Fur diesmal war es nur ein Tropfen Fegefeuer.
SIEBEL:
Was soll das sein? Wart! Ihr bezahlt es teuer!
Es scheinet, dass Ihr uns nicht kennt.
FROSCH:
Lass Er uns das zum zweiten Male bleiben!
ALTMAYER:
Ich dacht, wir hiessen ihn ganz sachte seitwarts gehn.
SIEBEL:
Was, Herr? Er will sich unterstehn,
Und hier sein Hokuspokus treiben?
MEPHISTOPHELES:
Still, altes Weinfass!
SIEBEL:
Besenstiel! Du willst uns gar noch grob begegnen?
BRANDER:
Wart nur, es sollen Schlage regnen!
ALTMAYER (zieht einen Pfropf aus dem Tisch, es springt ihm Feuer entgegen):
Ich brenne! ich brenne!
SIEBEL:
Zauberei!
Stosst zu! der Kerl ist vogelfrei!
(Sie ziehen die Messer und gehn auf Mephistopheles los. )
MEPHISTOPHELES (mit ernsthafter Gebarde):
Falsch Gebild und Wort
Verandern Sinn und Ort!
Seid hier und dort!
(Sie stehn erstaunt und sehn einander an. )
ALTMAYER:
Wo bin ich? Welches schone Land!
FROSCH:
Weinberge! Seh ich recht?
SIEBEL:
Und Trauben gleich zur Hand!
BRANDER:
Hier unter diesem grunen Laube,
Seht, welch ein Stock! Seht, welche Traube!
(Er fasst Siebeln bei der Nase. Die andern tun es wechselseitig und heben
die Messer. )
MEPHISTOPHELES (wie oben):
Irrtum, lass los der Augen Band!
Und merkt euch, wie der Teufel spasse.
(Er verschwindet mit Faust, die Gesellen fahren auseinander.
SIEBEL:
Was gibt s?
ALTMAYER:
Wie?
FROSCH:
War das deine Nase?
BRANDER (zu Siebel):
Und deine hab ich in der Hand!
ALTMAYER:
Es war ein Schlag, der ging durch alle Glieder!
Schafft einen Stuhl, ich sinke nieder!
FROSCH:
Nein, sagt mir nur, was ist geschehn?
FROSCH:
Wo ist der Kerl? Wenn ich ihn spure,
Er soll mir nicht lebendig gehn!
ALTMAYER:
Ich hab ihn selbst hinaus zur Kellerture-
Auf einem Fasse reiten sehn--
Es liegt mir bleischwer in den Fussen.
(Sich nach dem Tische wendend. )
Mein! Sollte wohl der Wein noch fliessen?
SIEBEL:
Betrug war alles, Lug und Schein.
FROSCH:
Mir deuchte doch, als trank ich Wein.
BRANDER:
Aber wie war es mit den Trauben?
ALTMAYER:
Nun sag mir eins, man soll kein Wunder glauben!
Hexenkuche.
Auf einem niedrigen Herd steht ein grosser Kessel uber dem Feuer. In dem
Dampfe, der davon in die Hohe steigt, zeigen sich verschiedene Gestalten.
Eine Meerkatze sitzt bei dem Kessel und schaumt ihn und sorgt, dass er nicht
uberlauft. Der Meerkater mit den Jungen sitzt darneben und warmt sich.
Wande und Decke sind mit dem seltsamsten Hexenhausrat geschmuckt.
Faust. Mephistopheles.
FAUST:
Mir widersteht das tolle Zauberwesen!
Versprichst du mir, ich soll genesen
In diesem Wust von Raserei?
Verlang ich Rat von einem alten Weibe?
Und schafft die Sudelkocherei
Wohl dreissig Jahre mir vom Leibe?
Weh mir, wenn du nichts Bessers weisst!
Schon ist die Hoffnung mir verschwunden.
Hat die Natur und hat ein edler Geist
Nicht irgendeinen Balsam ausgefunden?
MEPHISTOPHELES:
Mein Freund, nun sprichst du wieder klug!
Dich zu verjungen, gibt's auch ein naturlich Mittel;
Allein es steht in einem andern Buch,
Und ist ein wunderlich Kapitel.
FAUST:
Ich will es wissen.
MEPHISTOPHELES:
Gut! Ein Mittel, ohne Geld Und Arzt und Zauberei zu haben:
Begib dich gleich hinaus aufs Feld,
Fang an zu hacken und zu graben
Erhalte dich und deinen Sinn
In einem ganz beschrankten Kreise,
Ernahre dich mit ungemischter Speise,
Leb mit dem Vieh als Vieh, und acht es nicht fur Raub,
Den Acker, den du erntest, selbst zu dungen;
Das ist das beste Mittel, glaub,
Auf achtzig Jahr dich zu verjungen!
FAUST:
Das bin ich nicht gewohnt, ich kann mich nicht bequemen,
Den Spaten in die Hand zu nehmen.
Das enge Leben steht mir gar nicht an.
MEPHISTOPHELES:
So muss denn doch die Hexe dran.
FAUST:
Warum denn just das alte Weib!
Kannst du den Trank nicht selber brauen?
MEPHISTOPHELES:
Das war ein schoner Zeitvertreib!
Ich wollt indes wohl tausend Brucken bauen.
Nicht Kunst und Wissenschaft allein,
Geduld will bei dem Werke sein.
Ein stiller Geist ist jahrelang geschaftig,
Die Zeit nur macht die feine Garung kraftig.
Und alles, was dazu gehort,
Es sind gar wunderbare Sachen!
Der Teufel hat sie's zwar gelehrt;
Allein der Teufel kann's nicht machen.
(Die Tiere erblickend. )
Sieh, welch ein zierliches Geschlecht!
Das ist die Magd! das ist der Knecht!
(Zu den Tieren. )
Es scheint, die Frau ist nicht zu Hause?
DIE TIERE:
Beim Schmause,
Aus dem Haus
Zum Schornstein hinaus!
MEPHISTOPHELES:
Wie lange pflegt sie wohl zu schwarmen?
DIE TIERE:
So lange wir uns die Pfoten warmen.
MEPHISTOPHELES. (zu Faust):
Wie findest du die zarten Tiere?
FAUST:
So abgeschmackt, als ich nur jemand sah!
MEPHISTOPHELES:
Nein, ein Discours wie dieser da
Ist grade der, den ich am liebsten fuhre!
(zu den Tieren. )
So sagt mir doch, verfluchte Puppen,
Was quirlt ihr in dem Brei herum?
DIE TIERE:
Wir kochen breite Bettelsuppen.
MEPHISTOPHELES:
Da habt ihr ein gross Publikum.
DER KATER (macht sich herbei und schmeichelt dem Mephistopheles):
O wurfle nur gleich,
Und mache mich reich,
Und lass mich gewinnen!
Gar schlecht ist's bestellt,
Und war ich bei Geld,
So war ich bei Sinnen.
MEPHISTOPHELES:
Wie glucklich wurde sich der Affe schatzen,
Konnt er nur auch ins Lotto setzen!
(Indessen haben die jungen Meerkatzchen mit einer grossen Kugel gespielt und
rollen sie hervor. )
DER KATER:
Das ist die Welt;
Sie steigt und fallt
Und rollt bestandig;
Sie klingt wie Glas-
Wie bald bricht das!
Ist hohl inwendig.
Hier glanzt sie sehr,
Und hier noch mehr:
"Ich bin lebendig! "
Mein lieber Sohn,
Halt dich davon!
Du musst sterben!
Sie ist von Ton,
Es gibt Scherben.
MEPHISTOPHELES:
Was soll das Sieb?
DER KATER (holt es herunter):
Warst du ein Dieb,
Wollt ich dich gleich erkennen.
(Er lauft zur Katzin und lasst sie durchsehen. )
Sieh durch das Sieb!
Erkennst du den Dieb,
Und darfst ihn nicht nennen?
MEPHISTOPHELES (sich dem Feuer nahernd):
Und dieser Topf?
KATER UND KaTZIN:
Der alberne Tropf!
Er kennt nicht den Topf,
Er kennt nicht den Kessel!
MEPHISTOPHELES:
Unhofliches Tier!
DER KATER:
Den Wedel nimm hier,
Und setz dich in Sessel!
(Er notigt den Mephistopheles zu sitzen. )
FAUST (welcher diese Zeit uber vor einem Spiegel gestanden, sich ihm bald
genahert, bald sich von ihm entfernt hat):
Was seh ich? Welch ein himmlisch Bild
Zeigt sich in diesem Zauberspiegel!
O Liebe, leihe mir den schnellsten deiner Flugel,
Und fuhre mich in ihr Gefild!
Ach wenn ich nicht auf dieser Stelle bleibe,
Wenn ich es wage, nah zu gehn,
Kann ich sie nur als wie im Nebel sehn! -
Das schonste Bild von einem Weibe!
Ist's moglich, ist das Weib so schon?
Muss ich an diesem hingestreckten Leibe
Den Inbegriff von allen Himmeln sehn?
So etwas findet sich auf Erden?
MEPHISTOPHELES:
Naturlich, wenn ein Gott sich erst sechs Tage plagt,
Und selbst am Ende Bravo sagt,
Da muss es was Gescheites werden.
Fur diesmal sieh dich immer satt;
Ich weiss dir so ein Schatzchen auszuspuren,
Und selig, wer das gute Schicksal hat,
Als Brautigam sie heim zu fuhren!
(Faust sieht immerfort in den Spiegel. Mephistopheles, sich in dem Sessel
dehnend und mit dem Wedel spielend, fahrt fort zu sprechen. )
Hier sitz ich wie der Konig auf dem Throne,
Den Zepter halt ich hier, es fehlt nur noch die Krone.
DIE TIERE (welche bisher allerlei wunderliche Bewegungen durcheinander
gemacht haben, bringen dem Mephistopheles eine Krone mit grossem Geschrei):
O sei doch so gut,
Mit Schweiss und mit Blut
Die Krone zu leimen!
(Sie gehn ungeschickt mit der Krone um und zerbrechen sie in zwei Stucke,
mit welchen sie herumspringen. )
Nun ist es geschehn!
Wir reden und sehn,
Wir horen und reimen-
FAUST (gegen den Spiegel):
Weh mir! ich werde schier verruckt.
MEPHISTOPHELES (auf die Tiere deutend):
Nun fangt mir an fast selbst der Kopf zu schwanken.
DIE TIERE:
Und wenn es uns gluckt,
Und wenn es sich schickt,
So sind es Gedanken!
FAUST (wie oben):
Mein Busen fangt mir an zu brennen!
Entfernen wir uns nur geschwind!
MEPHISTOPHELES (in obiger Stellung):
Nun, wenigstens muss man bekennen,
Dass es aufrichtige Poeten sind.
(Der Kessel, welchen die Katzin bisher ausser acht gelassen, fangt an
uberzulaufen, es entsteht eine grosse Flamme, welche zum Schornstein hinaus
schlagt. Die Hexe kommt durch die Flamme mit entsetzlichem Geschrei
herunter gefahren. )
DIE HEXE:
Au! Au! Au! Au!
Verdammtes Tier! verfluchte Sau!
Versaumst den Kessel, versengst die Frau!
Verfluchtes Tier!
(Faust und Mephistopheles erblickend. )
Was ist das hier?
Wer seid ihr hier?
Was wollt ihr da?
Wer schlich sich ein?
Die Feuerpein
Euch ins Gebein!
(Sie fahrt mit dem Schaumloffel in den Kessel und spritzt Flammen nach
Faust, Mephistopheles und den Tieren. Die Tiere winseln. )
MEPHISTOPHELES (welcher den Wedel, den er in der Hand halt, umkehrt und
unter die Glaser und Topfe schlagt):
Entzwei! entzwei!
Da liegt der Brei!
Da liegt das Glas!
Es ist nur Spass,
Der Takt, du Aas,
Zu deiner Melodei.
(Indem die Hexe voll Grimm und Entsetzen zurucktritt. )
Erkennst du mich? Gerippe! Scheusal du!
Erkennst du deinen Herrn und Meister?
Was halt mich ab, so schlag ich zu,
Zerschmettre dich und deine Katzengeister!
Hast du vorm roten Wams nicht mehr Respekt?
Kannst du die Hahnenfeder nicht erkennen?
Hab ich dies Angesicht versteckt?
Soll ich mich etwa selber nennen?
DIE HEXE:
O Herr, verzeiht den rohen Gruss!
Seh ich doch keinen Pferdefuss.
Wo sind denn Eure beiden Raben?
MEPHISTOPHELES:
Fur diesmal kommst du so davon;
Denn freilich ist es eine Weile schon,
Dass wir uns nicht gesehen haben.
Auch die Kultur, die alle Welt beleckt,
Hat auf den Teufel sich erstreckt;
Das nordische Phantom ist nun nicht mehr zu schauen;
Wo siehst du Horner, Schweif und Klauen?
Und was den Fuss betrifft, den ich nicht missen kann,
Der wurde mir bei Leuten schaden;
Darum bedien ich mich, wie mancher junge Mann,
Seit vielen Jahren falscher Waden.
DIE HEXE (tanzend):
Sinn und Verstand verlier ich schier,
Seh ich den Junker Satan wieder hier!
MEPHISTOPHELES:
Den Namen, Weib, verbitt ich mir!
DIE HEXE:
Warum? Was hat er Euch getan?
MEPHISTOPHELES:
Er ist schon lang ins Fabelbuch geschrieben;
Allein die Menschen sind nichts besser dran,
Den Bosen sind sie los, die Bosen sind geblieben.
Du nennst mich Herr Baron, so ist die Sache gut;
Ich bin ein Kavalier, wie andre Kavaliere.
Du zweifelst nicht an meinem edlen Blut;
Sieh her, das ist das Wappen, das ich fuhre!
(Er macht eine unanstandige Gebarde. )
DIE HEXE (lacht unmassig):
Ha! Ha! Das ist in Eurer Art!
Ihr seid ein Schelm, wie Ihr nur immer wart!
MEPHISTOPHELES (zu Faust):
Mein Freund, das lerne wohl verstehn!
Dies ist die Art, mit Hexen umzugehn.
DIE HEXE:
Nun sagt, ihr Herren, was ihr schafft.
MEPHISTOPHELES:
Ein gutes Glas von dem bekannten Saft!
Doch muss ich Euch ums altste bitten;
Die Jahre doppeln seine Kraft.
DIE HEXE:
Gar gern! Hier hab ich eine Flasche,
Aus der ich selbst zuweilen nasche,
Die auch nicht mehr im mindsten stinkt;
Ich will euch gern ein Glaschen geben.
(Leise. )
Doch wenn es dieser Mann unvorbereitet trinkt
So kann er, wisst Ihr wohl, nicht eine Stunde leben.
MEPHISTOPHELES:
Es ist ein guter Freund, dem es gedeihen soll;
Ich gonn ihm gern das Beste deiner Kuche.
Zieh deinen Kreis, sprich deine Spruche,
Und gib ihm eine Tasse voll!
(Die Hexe, mit seltsamen Gebarden, zieht einen Kreis und stellt wunderbare
Sachen hinein; indessen fangen die Glaser an zu klingen, die Kessel zu
tonen, und machen Musik. Zuletzt bringt sie ein grosses Buch, stellt die
Meerkatzen in den Kreis, die ihr zum Pult dienen und die Fackel halten
mussen. Sie winkt Fausten, zu ihr zu treten. )
FAUST (zu Mephistopheles):
Nein, sage mir, was soll das werden?
Das tolle Zeug, die rasenden Gebarden,
Der abgeschmackteste Betrug,
Sind mir bekannt, verhasst genug.
MEPHISTOPHELES:
Ei Possen! Das ist nur zum Lachen;
Sei nur nicht ein so strenger Mann!
Sie muss als Arzt ein Hokuspokus machen,
Damit der Saft dir wohl gedeihen kann.
(Er notigt Fausten, in den Kreis zu treten. )
DIE HEXE (mit grosser Emphase fangt an, aus dem Buche zu deklamieren):
Du musst verstehn!
Aus Eins mach Zehn,
Und Zwei lass gehn,
Und Drei mach gleich,
So bist du reich.
Verlier die Vier!
Aus Funf und Sechs,
So sagt die Hex,
Mach Sieben und Acht,
So ist's vollbracht:
Und Neun ist Eins,
Und Zehn ist keins.
Das ist das Hexen-Einmaleins!
FAUST:
Mich dunkt, die Alte spricht im Fieber.
MEPHISTOPHELES:
Das ist noch lange nicht voruber,
Ich kenn es wohl, so klingt das ganze Buch;
Ich habe manche Zeit damit verloren,
Denn ein vollkommner Widerspruch
Bleibt gleich geheimnisvoll fur Kluge wie fur Toren.
Mein Freund, die Kunst ist alt und neu.
Es war die Art zu allen Zeiten,
Durch Drei und Eins, und Eins und Drei
Irrtum statt Wahrheit zu verbreiten.
So schwatzt und lehrt man ungestort;
Wer will sich mit den Narrn befassen?
Gewohnlich glaubt der Mensch, wenn er nur Worte hort,
Es musse sich dabei doch auch was denken lassen.
DIE HEXE (fahrt fort):
Die hohe Kraft
Der Wissenschaft,
Der ganzen Welt verborgen!
Und wer nicht denkt,
Dem wird sie geschenkt,
Er hat sie ohne Sorgen.
FAUST:
Was sagt sie uns fur Unsinn vor?
Es wird mir gleich der Kopf zerbrechen.
Mich dunkt, ich hor ein ganzes Chor
Von hunderttausend Narren sprechen.
MEPHISTOPHELES:
Genug, genug, o treffliche Sibylle!
Gib deinen Trank herbei, und fulle
Die Schale rasch bis an den Rand hinan;
Denn meinem Freund wird dieser Trunk nicht schaden:
Er ist ein Mann von vielen Graden,
Der manchen guten Schluck getan.
(Die Hexe, mit vielen Zeremonien, schenkt den Trank in eine Schale,
wie sie Faust an den Mund bringt, entsteht eine leichte Flamme. )
Nur frisch hinunter! Immer zu!
Es wird dir gleich das Herz erfreuen.
Bist mit dem Teufel du und du,
Und willst dich vor der Flamme scheuen?
(Die Hexe lost den Kreis. Faust tritt heraus. )
Nun frisch hinaus! Du darfst nicht ruhn.
DIE HEXE:
Mog Euch das Schluckchen wohl behagen!
MEPHISTOPHELES (zur Hexe):
Und kann ich dir was zu Gefallen tun,
So darfst du mir's nur auf Walpurgis sagen.
DIE HEXE:
Hier ist ein Lied! wenn Ihr's zuweilen singt,
So werdet Ihr besondre Wirkung spuren.
MEPHISTOPHELES (zu Faust):
Komm nur geschwind und lass dich fuhren;
Du musst notwendig transpirieren,
Damit die Kraft durch Inn- und Aussres dringt.
Den edlen Mussiggang lehr ich hernach dich schatzen,
Und bald empfindest du mit innigem Ergetzen,
Wie sich Cupido regt und hin und wider springt.
FAUST:
Lass mich nur schnell noch in den Spiegel schauen!
Das Frauenbild war gar zu schon!
MEPHISTOPHELES:
Nein! Nein! Du sollst das Muster aller Frauen
Nun bald leibhaftig vor dir sehn.
(Leise. )
Du siehst, mit diesem Trank im Leibe,
Bald Helenen in jedem Weibe.
Strasse (I)
Faust. Margarete vorubergehend.
FAUST:
Mein schones Fraulein, darf ich wagen,
Meinen Arm und Geleit Ihr anzutragen?
MARGARETE:
Bin weder Fraulein, weder schon,
Kann ungeleitet nach Hause gehn.
(Sie macht sich los und ab. )
FAUST:
Beim Himmel, dieses Kind ist schon!
So etwas hab ich nie gesehn.
Sie ist so sitt- und tugendreich,
Und etwas schnippisch doch zugleich.
Der Lippe Rot, der Wange Licht,
Die Tage der Welt vergess ich's nicht!
Wie sie die Augen niederschlagt,
Hat tief sich in mein Herz gepragt;
Wie sie kurz angebunden war,
Das ist nun zum Entzucken gar!
(Mephistopheles tritt auf. )
FAUST:
Hor, du musst mir die Dirne schaffen!
MEPHISTOPHELES:
Nun, welche?
FAUST:
Sie ging just vorbei.
MEPHISTOPHELES:
Da die? Sie kam von ihrem Pfaffen,
Der sprach sie aller Sunden frei
Ich schlich mich hart am Stuhl vorbei,
Es ist ein gar unschuldig Ding,
Das eben fur nichts zur Beichte ging;
Uber die hab ich keine Gewalt!
FAUST:
Ist uber vierzehn Jahr doch alt.
MEPHISTOPHELES:
Du sprichst ja wie Hans Liederlich,
Der begehrt jede liebe Blum fur sich,
Und dunkelt ihm, es war kein Ehr
Und Gunst, die nicht zu pflucken war;
Geht aber doch nicht immer an.
FAUST:
Mein Herr Magister Lobesan,
Lass Er mich mit dem Gesetz in Frieden!
Und das sag ich Ihm kurz und gut:
Wenn nicht das susse junge Blut
Heut Nacht in meinen Armen ruht,
So sind wir um Mitternacht geschieden.
MEPHISTOPHELES:
Bedenkt, was gehn und stehen mag!
Ich brauche wenigstens vierzehn Tag,
Nur die Gelegenheit auszuspuren.
FAUST:
Hatt ich nur sieben Stunden Ruh,
Brauchte den Teufel nicht dazu
So ein Geschopfchen zu verfuhren.
MEPHISTOPHELES:
Ihr sprecht schon fast wie ein Franzos;
Doch bitt ich, lasst's Euch nicht verdriessen:
Was hilft's, nur grade zu geniessen?
Die Freud ist lange nicht so gross,
Als wenn Ihr erst herauf, herum
Durch allerlei Brimborium,
Das Puppchen geknetet und zugericht't
Wie's lehret manche welsche Geschicht.
FAUST:
Hab Appetit auch ohne das.
MEPHISTOPHELES:
Jetzt ohne Schimpf und ohne Spass:
Ich sag Euch, mit dem schonen Kind
Geht's ein fur allemal nicht geschwind.
Mit Sturm ist da nichts einzunehmen;
Wir mussen uns zur List bequemen.
FAUST:
Schaff mir etwas vom Engelsschatz!
Fuhr mich an ihren Ruheplatz!
Schaff mir ein Halstuch von ihrer Brust,
Ein Strumpfband meiner Liebeslust!
MEPHISTOPHELES:
Damit Ihr seht, dass ich Eurer Pein
Will forderlich und dienstlich sein'
Wollen wir keinen Augenblick verlieren,
Will Euch noch heut in ihr Zimmer fuhren.
FAUST:
Und soll sie sehn? sie haben?
MEPHISTOPHELES:
Nein! Sie wird bei einer Nachbarin sein.
Indessen konnt Ihr ganz allein
An aller Hoffnung kunft'ger Freuden
In ihrem Dunstkreis satt Euch weiden.
FAUST:
Konnen wir hin?
MEPHISTOPHELES:
Es ist noch zu fruh.
FAUST:
Sorg du mir fur ein Geschenk fur sie!
(Ab. )
MEPHISTOPHELES:
Gleich schenken? Das ist brav! Da wird er reussieren!
Ich kenne manchen schonen Platz
Und manchen altvergrabnen Schatz;
Ich muss ein bisschen revidieren.
(Ab. )
Abend. Ein kleines reinliches Zimmer
Margarete ihre Zopfe flechtend und aufbindend.
Ich gab was drum, wenn ich nur wusst,
Wer heut der Herr gewesen ist!
Er sah gewiss recht wacker aus
Und ist aus einem edlen Haus;
Das konnt ich ihm an der Stirne lesen-
Er war auch sonst nicht so keck gewesen.
(Ab. )
MEPHISTOPHELES:
Herein, ganz leise, nur herein!
FAUST (nach einigem Stillschweigen):
Ich bitte dich, lass mich allein!
MEPHISTOPHELES (herumspurend):
Nicht jedes Madchen halt so rein.
(Ab. )
FAUST (rings aufschauend):
Willkommen, susser Dammerschein,
Der du dies Heiligtum durchwebst!
Ergreif mein Herz, du susse Liebespein,
Die du vom Tau der Hoffnung schmachtend lebst!
Wie atmet rings Gefuhl der Stille,
Der Ordnung, der Zufriedenheit!
In dieser Armut welche Fulle!
In diesem Kerker welche Seligkeit!
(Er wirft sich auf den ledernen Sessel am Bette. )
O nimm mich auf, der du die Vorwelt schon
Bei Freud und Schmerz im offnen Arm empfangen!
Wie oft, ach! hat an diesem Vaterthron
Schon eine Schar von Kindern rings gehangen!
Vielleicht hat, dankbar fur den heil'gen Christ
Mein Liebchen hier, mit vollen Kinderwangen,
Dem Ahnherrn fromm die welke Hand gekusst.
Ich fuhl o Madchen, deinen Geist
Der Full und Ordnung um mich sauseln,
Der mutterlich dich taglich unterweist
Den Teppich auf den Tisch dich reinlich breiten heisst,
Sogar den Sand zu deinen Fussen krauseln.
O liebe Hand! so gottergleich!
Die Hutte wird durch dich ein Himmelreich.
Und hier!
(Er hebt einen Bettvorhang auf. )
Was fasst mich fur ein Wonnegraus! Hier mocht ich volle Stunden saumen.
Natur, hier bildetest in leichten Traumen
Den eingebornen Engel aus!
Hier lag das Kind! mit warmem Leben
Den zarten Busen angefullt,
Und hier mit heilig reinem Weben
Entwirkte sich das Gotterbild!
Und du! Was hat dich hergefuhrt?
Wie innig fuhl ich mich geruhrt!
Was willst du hier? Was wird das Herz dir schwer?
Armsel'ger Faust! ich kenne dich nicht mehr.
Umgibt mich hier ein Zauberduft?
Mich drang's, so grade zu geniessen,
Und fuhle mich in Liebestraum zerfliessen!
Sind wir ein Spiel von jedem Druck der Luft?
Und trate sie den Augenblick herein,
Wie wurdest du fur deinen Frevel bussen!
Der grosse Hans, ach wie so klein!
Lag, hingeschmolzen, ihr zu Fussen.
MEPHISTOPHELES (kommt):
Geschwind! ich seh sie unten kommen.
FAUST:
Fort! Fort! Ich kehre nimmermehr!
MEPHISTOPHELES:
Hier ist ein Kastchen leidlich schwer,
Ich hab's wo anders hergenommen.
Stellt's hier nur immer in den Schrein,
Ich schwor Euch, ihr vergehn die Sinnen;
Ich tat Euch Sachelchen hinein,
Um eine andre zu gewinnen.
Zwar Kind ist Kind, und Spiel ist Spiel.
FAUST:
Ich weiss nicht, soll ich?
MEPHISTOPHELES:
Fragt Ihr viel? Meint Ihr vielleicht den Schatz zu wahren?
Dann rat ich Eurer Lusternheit,
Die liebe schone Tageszeit
Und mir die weitre Muh zu sparen.
Ich hoff nicht, dass Ihr geizig seid!
Ich kratz den Kopf, reib an den Handen-
(Er stellt das Kastchen in den Schrein und druckt das Schloss wieder zu. )
Nur fort! geschwind!
Um Euch das susse junge Kind
Nach Herzens Wunsch und Will zu wenden;
Und Ihr seht drein
Als solltet Ihr in den Horsaal hinein,
Als stunden grau leibhaftig vor Euch da
Physik und Metaphysika!
Nur fort!
(Ab. )
Margarete mit einer Lampe.
Es ist so schwul, so dumpfig hie
(sie macht das Fenster auf)
Und ist doch eben so warm nicht drauss.
Es wird mir so, ich weiss nicht wie-
Ich wollt, die Mutter kam nach Haus.
Mir lauft ein Schauer ubern ganzen Leib-
Bin doch ein toricht furchtsam Weib!
(sie fangt an zu singen, indem sie sich auszieht. )
Es war ein Konig in Thule
Gar treu bis an das Grab,
Dem sterbend seine Buhle
Einen goldnen Becher gab.
Es ging ihm nichts daruber,
Er leert ihn jeden Schmaus;
Die Augen gingen ihm uber,
Sooft er trank daraus.
Und als er kam zu sterben,
Zahlt er seine Stadt im Reich,
Gonnt alles seinem Erben,
Den Becher nicht zugleich.
Er sass beim Konigsmahle,
Die Ritter um ihn her,
Auf hohem Vatersaale,
Dort auf dem Schloss am Meer.
Dort stand der alte Zecher,
Trank letzte Lebensglut
Und warf den heiligen Becher
Hinunter in die Flut.
Er sah ihn sturzen, trinken
Und sinken tief ins Meer,
Die Augen taten ihm sinken,
Trank nie einen Tropfen mehr.
